Eine heimatgeschichtliche Fundgrube
Die Mauritiuskirche in Sindlingen
Autor: Hans-Dieter Frauer
Die Mauritiuskirche in Sindlingen ist wieder zu einem schmucken Juwel geworden. Das Gotteshaus erlaubt einen weiten Blick zurück in die Heimatgeschichte: mit seinem Namen, seiner Gestalt, seinen stattlichen Grabepitaphien, den Wappen und nicht zuletzt mit der Büste der Herzogsgattin Franziska von Hohenheim. Selbst Mesnerin Doris Walter, die das Gotteshaus seit knapp sechs Jahren sorgfältig betreut, verkörpert ein Stück lebendiger Heimatgeschichte.
In Sindlingen ist eine Kirche erstmals im Jahre 1275 erwähnt. Mit der Martinskirche in Ober- und der Michaelskirche in Unterjettingen ist sie eine von drei Kirchen, die mit demselben Buchstaben beginnen. Der frühere Landeshistoriker Hans-Martin Decker-Hauff, Pfarrersohn aus Oberjettingen, hat aus diesen Namen nicht nur auf etwa zeitgleiche Entstehung, sondern auch auf eine vierte M-Kirche, eine Marienkirche, geschlossen, die es im näheren Umkreis einmal gegeben haben muss. Er vermutete sie in einem längst „abgegangenen“, also ausgestorbenen, verfallenen und verlassenen Ortsteil.
Die Mauritiuskirche entstand im 15. und 16. Jahrhundert, ihre barocke Innendecke erhielt sie vermutlich auf Anregung Franziskas im späten 18. Jahrhundert. Vor den soeben abgeschlossenen 120 000 Euro teuren Renovierungsarbeiten wurde sie zuletzt 1978/1979 durchgreifend saniert. In dem schmucken Gotteshaus mit seinen 55 Plätzen findet regelmäßig ein Mal im Monat ein Gemeindegottesdienst statt, daneben kommen öfter Familien zu Trauungen und Taufen.
In der Mauritiuskirche stehen fünf Grabepitaphien. Das größte erinnert mit seiner Aufschrift an den „Freireichshochwohlgeborenen Herr, Herr Adolph Wilhelm Freiherr von Welz, Freiherr zu Eberstein und Spiegelfeld auf Hailegg Welzenegg Lumburg und Ebenfels“, der von 1636 bis 1702 gelebt hat. Direkt unter der Kanzel ist der Grabstein von Siegfried Ehrenreich, Baron von Bernerdin zum Bärentum auf Pregerat, der von 1720 bis 1782 lebte. Mit ihm starb die Familie Bernerdin im Mannesstamme aus: ihr hatte Sindlingen seit 1640 gehört. Damals hatte es der württembergische Herzog Eberhard III. an einen Andreas Bernerdin verkauft, der wegen seines evangelischen Glaubens aus seiner Heimat Kärnten vertrieben worden war. In Sindlingen erinnert an die Familie auch eines der Wappen im Kirchenfenster.
Mauritiuskirche in Sindlingen. Die 1275 erstmals genannte bescheidene Schlosskapelle erhielt ihre Ausstattung im 18. Jahrhundert. (Foto: Wikimedia Commons / Public domain)
Die berühmteste Angehörige der Familie Bernerdin war Franziska, nachmalige Reichsgräfin von Hohenheim (1748 bis 1811). Sie erhielt Sindlingen nach dem Tode von Siegfried Ehrenreich. Die zweite Ehefrau von Herzog Karl Eugen (1728 bis 1793) war der gute Engel Württembergs, unter ihrem Einfluss wandelte sich der despotische Karl Eugen in der zweiten Hälfte seiner langen Regierung vom Tyrannen und Willkürherrscher zum verantwortungsbewussten Landesvater.
Gerade mit Sindlingen war Franziska eng verbunden: hier hat sie ihre Ferien verbracht, hier lebte sie nach dem Tod Karl Eugens im Sommer und hier hat sie ihre Segensspuren hinterlassen. Der aus Altdorf stammende Pietist Michael Hahn verdankt es ihr, dass er in dem damals staatsrechtlich nicht zu Württemberg gehörenden Sindlingen in Ruhe leben konnte; er liegt auf dem kleinen Friedhof begraben. Franziska hat 1792 das bis heute verwendete Abendmahlsgerät gestiftet, sie war Taufpatin bei ungezählten Mädchen von Sindlingen und Orten der Umgebung. Der Vorname Franziska ist daher im Bereich Jettingen bis heute oft anzutreffen: auch ein Kind von Mesnerin Doris Walter und ihrem Mann Gerd trägt diesen Namen.
In Franziskas Armen ist Herzog Karl Eugen 1793 in Hohenheim gestorben. Für die Witwe, die man mit Gewalt vom Totenbett ihres Mannes entfernen musste, begann nun eine Zeit der Demütigungen und Kränkungen. Sie wurde zunächst wie eine Staatsgefangene in Stuttgart festgehalten, durfte bei der Beisetzung des Herzogs nicht dabei sein und kam erst frei, als sie auf alles verzichtet hatte, was ihr der Herzog in seinem Testament vermacht hatte. Der neue Regent, Herzog Ludwig Eugen, verachtete Franziska zutiefst und ließ einen Schauprozess gegen sie vorbereiten. Trotz gründlichster Suche fand sich aber keinerlei belastendes Material, denn Franziska hatte nie etwas Böses getan. Sie lebte bis zu ihrem Tode am 1. Januar 1811 sommers meist in Sindlingen, winters in Kirchheim/Teck. Dort ist sie auch gestorben. Entgegen einer ausdrücklichen Bestimmung im Testament Karl Eugens wurde sie aber nicht an seiner Seite in Ludwigsburg bestattet; sie liegt in der Martinskirche in Kirchheim begraben.
In Sindlingen hat man der Fürstin schon immer die Treue gehalten. In der Kirche steht eine wohl 1804 von Daniel Mack geschaffene Büste. Niemand weiß, wie sie nach Sindlingen kam. Nachgewiesen ist sie bereits 1828. Sie trägt die Inschrift: „Durch Frömmigkeit und Wohltätigkeit zeichnete sie sich aus. Ihr Herz schlug warm für Gott und Menschen.“ An Franziska erinnert auch das für sie geschaffene „Hohenheim-Wappen“ im Kirchenfenster.
Kanzel und Epitaph des Siegfried Ehrenreich, Baron von Bernerdin zum Bärentum auf Pregerat. Der 1782 verstorbene Baron war der letzte männliche Nachkomme der Familie Bernerdin. (Foto: Kirchengemeinde Unterjettingen)
Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Für die Fotos bedanken wir uns bei der Kirchengemeinde Unterjettingen.
Der Autor, Hans-Diether Frauer, ist Historiker und Publizist. Er lebt in Herrenberg und ist ein ausgewiesener Kenner der württembergischen Geschichte und Kirchengeschichte. Er hat mehrere Bücher verfasst und ist ein gefragter Vortragsredner.