Zur Vor- und Frühgeschichte des Kreises Böblingen
Spuren der mittleren Steinzeit in Böblingen
Autor: Friedrich Gumbsch
Über einen großen Teil der Hanglage im Böblinger Gewann „Bürklen“ verstreut wurden einzelne und in geringer Anhäufung mehrere Silexabschläge (Feuerstein), Kleinkratzer und Restlinge (Restknollen) gefunden, die ihrer Form und Bearbeitungstechnik nach der Mittelsteinzeit (Mesolithikum, ca. 10.000 bis 6000 v. Chr.) zuzuordnen sind. Es sind sogenannte Mikrolithen in Form von zierlichen Feinstlamellen, wie sie für diesen Zeitabschnitt charakteristisch sind. Die Menschen gingen nämlich mit dem Feuersteinmaterial sehr sparsam um. Sie fertigten nur Kleinstwerkzeuge und Waffen (Pfeilschneiden) an. Offensichtlich hatten sie Materialmangel. Gegenüber der Altsteinzeit hatte es demnach bedeutsame Veränderungen gegeben:
Klimatisch trat seit etwa 13.000 v. Chr. in der nun abklingenden Eiszeit allmählich eine Erwärmung ein. In unserer Landschaft bildete sich eine andere Flora und Fauna aus. Schon gegen Ende der Altsteinzeit kann man anhand von Pollenanalysen beobachten, dass die Landschaft grasbewachsen und mit Sträuchern überzogen war. Mit Beginn der Mittelsteinzeit gediehen schon Kiefern-, Birken- und Haselwälder. In der nun bewachsenen Landschaft muss es schwieriger geworden sein, weiterhin Feuersteine als wichtiges Rohmaterial für Waffen und Werkzeuge zu finden, was möglicherweise Ursache des Materialmangels war.
Die arktischen Großtiere hatten sich zu Beginn der Mittelsteinzeit schon in nördlichere Regionen zurückgezogen. Als Wild ist jetzt Reh, Wildschwein, Rothirsch, Elch, Luchs usw. anzutreffen.
Die Lebens- und aneignende Wirtschaftsweise der Menschen hatte sich nicht verändert. Nach wie vor lebten sie vom Fischen, von der Jagd und vom Sammeln von Früchten usw. Aber anstelle des Großwildes (Großtiere) wurden jetzt die anderen viel wendigeren Tiere gejagt. Die veränderte Landschaft und Tierwelt zwangen zur Pirschjagd. Dazu brauchte man andere Waffen, wie z. B. kleine Pfeilschneiden, die am Kopf von Pfeilschäften eingesetzt wurden.Die Menschen ersannen eine spezielle und wirtschaftliche Bearbeitungstechnik, wodurch sich diese Geräte von Funden anderer Zeitabschnitte eindeutig unterscheiden.
Bevor sie seinerzeit Feuerstein bearbeiteten, erhitzten sie ihn in einem Sandbad. Sie betteten Feuerstein in Sand und entfachten darüber ein offenes Feuer. Bei 290 bis 370 Grad Celsius setzten im chemischen Aufbau des Feuersteins, wie heutige Versuche zeigten, Reaktionen ein, durch die ihm noch innewohnende hydride Gasbestandteile entzogen wurden. Die Feuersteine wurden dadurch viel spröder, ließen sich viel leichter spalten und somit besser verwerten. Diese Bearbeitungstechnik sprach besonders bei Jurahornstein (Feuerstein) an. Mit dieser „Temperung“ – wie der Fachausdruck lautet – veränderte sich auch die Farbe des Feuersteins. Er bekam ein rosa- oder blaufarbenes Aussehen mit einem deutlich erkennbaren Perlglanz. Die Methode der Temperung ging eigenartigerweise wieder verloren. Vielleicht entdeckte man später wieder genügend abbaufähigen Feuerstein, so dass es keine Materialnot mehr gab. Aber anhand des charakteristischen Perlglanzes und ihrer Form können die Funde exakt in die Zeit von 8000 bis 7000 v. Chr. eingeordnet werden.
Die Menschen waren damals noch nicht sesshaft. Sie werden sich vielmehr auf Lagerplätzen aufgehalten haben, von wo aus sie dann die Umgebung absuchten, bis sie schließlich wegen Mangel an Sammelgut wieder weiterzogen. Auf den Lagerplätzen fertigten sie sich ihre Geräte und Waffen an. Dabei hinterließen sie neben gefundenem Werkzeug auch die abgesplitterten, weggeworfenen und verloren gegangenen Abschläge von Feuerstein. Diese werden sich zwar nicht mehr an der ursprünglichen Stelle befunden haben, weil sie durch die Bepflügung des Feldes etwas verschoben wurden. Sie gerieten aber auch in den Verbund mit den Funden aus der Jungsteinzeit, in der allerdings die Fläche überbaut und somit anders genutzt wurde. Auch dadurch mag es zu Verlagerungen gekommen sein. Auch wenn sich die Geräte und Abschläge nicht mehr exakt an der ursprünglichen Stelle befanden, belegen sie doch einen Lagerplatz, der zeitweiligem Aufenthalt diente. Der Aufenthalt von Menschen in der Mittelsteinzeit ist durch die charakteristischen Funde eindeutig bewiesen. Die Vergangenheit unseres Siedlungsraumes wurde damit weiter erhellt.
Getemperte Feuersteinabschläge aus der Mittelsteinzeit. Durch ihre Form und den charakteristischen Perlglanz können die Funde exakt in die Zeit von 8000 bis 7000 v. Chr. eingeordnet werden. (Sammlung F. Gumbsch, Böblingen)
Quelle: Spuren der Steinzeit in Böblingen. Böblingen 1990, herausgegeben von Dr. Günter Scholz, (Böblinger Museumsschriften 2)
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und den Museen der Stadt Böblingen