Mina Schmidt-Moscherosch gab den Anstoß für das städtische Krankenhaus
Eine Wohltäterin spendete reichlich
Autor: Werner Eberhardt
Wie sich die Bilder gleichen. Anfang des 20er Jahre drohte der Bau des Sindelfinger Krankenhaus am fehlenden Geld zu scheitern. 80 Jahre später sind es wieder die Finanzen, die die Stadt zu einschneidenden Veränderungen zwingen.
Der Bau des Sindelfinger Krankenhauses glich einer unendlichen Geschichte und wäre zum damaligen Zeitpunkt ohne die Unterstützung einer spendablen Frau nicht möglich gewesen. Die Pläne, eine eigene Klinik zu bauen, wurden vom Gemeinderat immer wieder beiseite geschoben, um andere Vorhaben zu verwirklichen.
Der endgültige Anstoß zum Bau eines Krankenhauses kam aus Chicago. Die in Sindelfingen gebürtige Wilhelmine („Mina“) Schmidt-Moscherosch überwies dem damaligen Bürgermeister Hörmann eigene Spenden und Erträge aus Sammlungen, die im Januar 1922 umgewechselt eine Summe von 800 000 Mark ergaben.
An diese Spende hatte sie die Auflage geknüpft, in Sindelfingen ein Heim für entbindende und unterleibskranke Frauen und Säuglinge zu bauen. Bürgermeister Hörmann berichtete dem Gemeinderat am 26. Januar 1922 von dieser Gelegenheit.
Die Spende sollte durch weitere Mittel aus dem Krankenhausbaufonds, dem allgemeinen Baufonds der Stadt, der Amtskörperschaft sowie einem Staatszuschuss ergänzt werden. Der Gemeinderat hielt das Bauprojekt für möglich, nicht aber die Beschaffung der Innenausstattung, die auf 70 Prozent der Baukosten geschätzt wurde. Dennoch gab er im März 1922 grünes Licht für den Bau.
Bereits im selben Monat zeichnete sich aufgrund der Inflation ab, dass die Mittel allenfalls für den Rohbau reichen würden. Die Finanzierung der Innenausstattung war nicht gesichert. Außerdem gab es vor allem beim Bauholz große Schwierigkeiten. Die Stadt hatte gleichzeitig andere Bauprojekte zu finanzieren, so dass die Innenausstattung des sich im Bau befindlichen Krankenhauses unmöglich aus laufenden Mitteln finanziert werden konnte.
Im April 1922 nahm die Stadt deshalb ein Darlehen über 600 000 Mark bei der Württembergischen Landessparkasse auf, das sie in 20 Jahresraten zurückzuzahlen hatte. Damit wurde alles gekauft, was nur irgendwie für den Innenausbau zu erwerben war. Bereits am 3. Mai 1922 war klar, dass alle Kostenschätzungen falsch waren. Die Kosten würden sich nicht wie ursprünglich berechnet auf eine Million Mark, sondern auf drei Millionen Mark belaufen.
Trotzdem entschied sich der Gemeinderat mit knapper Mehrheit für den Weiterbau, und das, obwohl in der Zwischenzeit eine inflationsbedingte Steigerung von 1,85 Millionen Mark eingetreten war. Am 9. Mai 1922 sah niemand mehr einen Ausweg und das Projekt musste eingestellt werden.
Am 12. Oktober 1922 kam die Wende. Der Ehemann von Mina Schmidt-Moscherosch überreichte bei einem Besuch in Sindelfingen einen Scheck von umgerechnet 2,5 Millionen Mark. Weitere Hilfe wurde in Aussicht gestellt.
Kurz vor der Fertigstellung im Sommer 1923 schloss die Stadt einen Gestellungsvertrag mit dem württembergischen Landesverein vom Roten Kreuz ab. Darin war festgehalten, dass die Krankenpflege in den Händen von Charlottenschwestern liegen sollte. Am 23. August 1923 erhielt das Haus den Namen „Wilhelminenheim Städtisches Krankenhaus mit Wöchnerinnenabteilung“. Eingeweiht und eröffnet wurde das Wilhelminenheim am 9. September 1923. Anfänglich hatte es 22 Betten.
Die Belegschaft bestand aus dem Leitendem Arzt, Oberschwester, Wirtschaftsschwester, Hebammen- und Pflegeschwester und zwei, später drei Dienstmädchen. Verwalter war zunächst Bürgermeister Hörmann. War Bürgermeister Hörmann der geistige Vater des Sindelfinger Krankenhauses, so kam Mina Schmidt-Moscherosch die Rolle der Hebamme zu. Denn ob das Krankenhaus ohne ihre Spenden vor den 60er Jahren je entstanden wäre, ist fraglich.
Wilhelmine Schmidt-Moscherosch stammte aus armen Verhältnissen. Sie wurde am 17. März 1868 in Sindelfingen geboren und hatte 14 Geschwister und das in einer Zeit, in der in Baden-Württemberg der Hunger grassierte und die Weichen für die Auswanderung vieler Armen in die „Neue Welt“ gestellt wurden.
Bekannt ist, dass Mina Moscherosch das elterliche Haus nach ihrer Konfirmation verlassen hat und zunächst in Stuttgart als Kindermädchen arbeitete. Zwei Jahre später wurde sie in die Katharinenpflege aufgenommen. Dort lernte sie nähen.
Weitere Stationen waren Erdingen, Tübingen und Frankfurt. Abends, nach der Arbeit, besuchte sie die Fortbildungsschule. Außerdem fand sie eine Trachtenschule, wo sie die Fächer Deklamation und Ballett besuchte. Nach zwei Jahren in Frankfurt fand sie eine Zeitungsanzeige, in der ein Kindermädchen für eine in Chicago lebende Familie gesucht wurde. Mina Moscherosch konnte die Reisekosten aus eigener Tasche finanzieren, ihr Pass und ihre Referenzen wurden in der neuen Heimat für gut befunden.
Als im Jahre 1887 ihr Jugendfreund Julius Schmidt aus Tübingen nach Chicago kam, wo er eine Stelle in einem Baugeschäft fand, begann eine neue Phase in Mina Moscheroschs Leben. Am 5. Oktober 1887 heirateten die beiden und unterstützten mit ihrem Einkommen zunächst Julius Schmidts früh verwitwete Mutter und in den nachfolgenden Jahren die Familien Moscherosch und Schmidt.
1892 erhielt das Ehepaar die amerikanische Staatsbürgerschaft und konnte sich um die Jahrhundertwende über zwei Söhne freuen. Die Jahrhundertwende brachte den USA eine kurze Depression. In dieser Zeit nutzte Mina Schmidt-Moscherosch ihre Fertigkeiten im Nähen und eröffnete neben einem Kostümgeschäft auch eine Tanzschule. Sie stellte Kostüme und Perücken aus verschiedenen Epochen der amerikanischen Geschichte aus.
Ihr Fachwissen war auch von Akademikern geschätzt, so dass sie am 29. Dezember 1936 in der North-West-University von Chicago einen Vortrag über „50 Jahre im Dienst der Kostümkunde in Amerika“ hielt. Nicht nur für Sindelfingen erwies sich Mina Schmidt-Moscherosch als Wohltäterin. Sie wurde auch für Hilfsleistungen im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet und als die Quäker 1920 zur Hilfe für hungernde Kinder aufriefen, spendete sie reichlich.
1943 zog sich Mina Schmidt-Moscherosch aus dem Arbeitsleben zurück und verbrachte die letzten Lebensjahre im Schwesternheim der Heiligen Familie zu Nazareth in Chicago. Ihre Ersparnisse waren nach zwei Weltkriegen und zahlreichen Hilfeleistungen verbraucht.
Am 8. Dezember 1961 starb Wilhelmine Schmidt-Moscherosch. Eine Gedenktafel im Foyer des Städtischen Krankenhauses erinnert an sie.
Erstveröffentlichung: Sindelfinger Zeitung, August 2003
Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung