Weissach in der Beschreibung des Oberamtes Vaihingen von 1856
„…merkwürdig erhaltenes Bild eines wohlbefestigten Kirchhofes“
Autor: Karl Eduard Paulus
Weissach, Gemeinde II. Kl. mit 1318 Einw., wor. 9 Kath. – Ev. Pfarrei ; die Kath. sind nach Weil d. St. eingepfarrt.
Das ansehnliche Pfarrdorf liegt 2 1/2 Stunden südwestlich von der Oberamtsstadt, theils in der schmalen Ebene des nicht tief eingefurchten Strudelbach-Thales, größtentheils aber an den leichten Ausläufern der linken Thalgehänge. Der Ort, in welchem im Jahr 1726 30 Häuser vom Feuer verzehrt worden waren, brannte im Jahr 1791 bis auf wenige Häuser ab und wurde dann regelmäßig, mit ziemlich breiten, meist rechtwinkelig sich schneidenden Straßen wieder angelegt, so daß derselbe ein städtisches Ansehen erhielt. Wegen der schmalen Thalebene mußte der Ort enge gebaut und etwas in die Länge gezogen werden; es fehlt daher an den nöthigen Hofräumen, und die Düngerstätten müssen deßhalb, die Hauptstraße ausgenommen, häufig vor den Häusern angebracht werden. Dessen ungeachtet trifft man ziemlich viel Reinlichkeit, zu der die gegen den Bach abhängige Lage des Dorfs manches beiträgt, indem bei Regengüssen die gut erhaltenen, durchaus gekandelten Ortsstraßen ausgeflößt werden. Die Gebäude, meist zweistöckig, mit steinernen Unterstöcken versehen, haben im Allgemeinen ein gutes Aussehen.
Die am nordwestlichen Ende des Dorfs auf einem Terrainvorsprung hoch und frei gelegene Pfarrkirche wurde im Jahr 1811 bedeutend, aber stylwidrig verändert, und trägt nur noch an dem westlichen Giebel, besonders aber an der Nordseite, wo an dem Dachfrieß seltsame Thierfiguren angebracht sind, entschiedene Spuren der früh romanischen Bauweise. Das reinlich herausgeputzte Innere der Kirche hat außer einem, im germanischen Styl1 gut gearbeiteten Taufstein, nichts Bemerkenswerthes. Etwa 20 Fuß von der Kirche steht vereinzelt der viereckige, monströse Thurm, der, mit Ausnahme des obersten, in späterer Zeit aus Holz aufgesetzten Stockwerks, ganz massiv, zum Theil aus Bossagen2 schmucklos erbaut ist; (…) Der Thurm trägt das Gepräge eines sehr hohen Alters, das unzweifelhaft in die Zeit der Erbauung der ursprünglichen Kirche hinaufreicht. Um die Kirche sind kleine, auf die Kirchhofmauer stoßende Gebäude angelegt, unter denen sehr alte Kellergewölbe, vom Volke „Gaden“ (d. i. Vorrathskammern), genannt, sich befinden, welche von den Bewohnern des in der Ebene gelegenen Ortstheiles benützt werden, indem daselbst wegen des zudringenden Wassers keine Keller angelegt werden können. Einige Schritte westlich der Kirche steht ein uraltes, steinernes Gebäude, das sog. Herrenhaus, mit rundbogigem Eingange; … Um diesen Gebäudecomplex (…) lief eine starke, theilweise noch erhaltene Mauer mit Zwinger, so daß das Ganze ein merkwürdig erhaltenes Bild eines wohlbefestigten Kirchhofes liefert. Die Baulast der Kirche liegt der Stiftungspflege, die des Thurms der Gemeinde ob.
Statt des früheren Begräbnißplatzes, welcher unfern nördlich der Kirche liegt, wurde im Jahr 1837 ein anderer mit einem Gemeindeaufwand von 2433 fl.3an einen Bergabhang nordöstlich vom Ort verlegt.
Das vom Staat zu unterhaltende, vor etwa 30 Jahren namhaft verbesserte Pfarrhaus steht der Kirche gegenüber an der Hauptstraße des Orts und bildet mit dem Hofraume, den dazu gehörigen Öconomiegebäuden etc. einen wohlgeschlossenen, gut erhaltenen Pfarrsitz.
Das bei der Kirche schön gelegene, sehr ansehnliche, dreistockige Schulhaus, welches zugleich die Wohngelasse des Lehrerpersonals enthält, wurde im Jahr 1841 mit einem Gemeindeaufwande von 8000 fl. neu erbaut. Neben der Volksschule, an welcher ein Schulmeister, ein Unterlehrer und ein Lehrgehülfe angestellt sind, besteht auch eine Industrieschule.
Das sehr geräumige Rathhaus, welches nach dem Brande von 1791 neu erbaut wurde, befindet sich in gutem Zustande. (…) Von öffentlichen Gebäuden sind überdieß noch vorhanden: eine Kelter mit einem Baum, ein Schafhaus, ein Armenhaus, zwei Gemeindebackhäuser, das eine 1834, das andere 1846 erbaut, und zwei Waschhäuser.
Ein reichlich laufender Brunnen und sechs Pumpbrunnen versehen den Ort das ganze Jahr hindurch mit sehr gutem Trinkwasser; überdieß fließt der bei Flacht entspringende Strudelbach durch den unteren Theil des Orts, wo er an zwei Stellen zu Wetten geschwellt wird. Auf der Markung befinden sich mehrere reichliche Quellen. (…)
Die Einwohner sind im Allgemeinen gesund, kräftig, und werden selten von Krankheiten heimgesucht; mit einem großen Fleiß verbinden sie ein eingezogenes Leben, Sparsamkeit und vielen religiösen Sinn (1/10 der Einwohner bekennt sich zum strengen Pietismus). In Folge der etwas abgeschiedenen Lage des Orts hat sich die einfache Sitte und Tracht der Väter hier noch mehr als in anderen Orten des Bezirks erhalten; ein besonderer Gebrauch ist, daß einige Tage vor der Hochzeit die Braut mit ihren Gespielinnen (Brautjungfern) in sämmtliche Häuser des Orts gehen, und die Inwohner zu ihrem Kirchgang einladen. Am Hochzeittage versammeln sich dann die meisten Einwohner vor dem Hause der Braut, wo den Anwesenden die sog. Hochzeitbrocken durch die Anverwandten der Braut, und zwar durch den Brautführer Wein, und den Brautjungfern Brod gereicht werden. Die Vermögensumstände der Einwohner sind ziemlich befriedigend, indem im Allgemeinen der Mittelstand vorherrscht, und die Zahl der eigentlich Armen klein ist. … Die Haupterwerbsquellen bestehen in Feldbau und Viehzucht; unter den Gewerben, welche meist nur dem örtlichen Bedarf arbeiten, sind die Leineweber (40) vorherrschend.
Übrigens befinden sich im Ort drei Schildwirthschaften4, worunter eine mit Bierbrauerei, zwei weitere Brauereien, ein Kaufmann und ein Krämer; etwa 1/4 Stunde unterhalb des Dorfs steht eine Mühle mit drei Mahlgängen und einem Gerbgang; auch wurde 1846 eine Öl- und Sägmühle nebst Hanfreibe 1/8 Stunde unterhalb der Mahlmühle neu errichtet. (…)
Das Klima ist auffallend rauher als in Vaihingen, und die Ernte tritt um 14 Tage später als dort ein. Hagelschlag kommt selten vor und Frühlingsfröste schaden nicht häufig, dagegen wirken öfter kalte Nebel nachtheilig auf die Obstzucht.
Die Landwirthschaft wird sehr gut und fleißig betrieben; es kommt vorzugsweise Dinkel, sodann Hafer, der sehr gerne gedeiht, und Gerste zum Anbau. In der zum größten Theil angeblümten Brache baut man Kartoffeln Futterkräuter, Angersen5, ziemlich viel Hanf, wenig Reps, Zuckerrüben und sehr viel Mohn; … Ein in neuester Zeit angestellter Versuch mit Hopfen hatte guten Erfolg.
(…) Von den Früchten, welche besonders in etwas nassen Jahrgängen sehr gut gedeihen, werden Dinkel und Hafer in beträchtlicher Ausdehnung an Händler verkauft, die in das Badische absetzen. … Der Weinbau ist von keinem Belang, und wird nur auf 10–12 Morgen betrieben; das Erzeugniß, ein nicht lagerhafter, sog. Schiller,6 bleibt im Ort. … Die mit Mostsorten und Zwetschgen sich beschäftigende Obstzucht ist ziemlich ausgedehnt, der Ertrag derselben aber gering.
Die Gemeinde ist im Besitz von 660 Morgen Waldungen (Eichen, Buchen, Forchen), welche bei einem 40- und 70jährigen Umtriebe jährlich etwa 200 Klafter und 12.000 Stück Wellen ertragen, wovon jeder Bürger eine Gabe von 1/4 Klafter7und 121/2 Stück Wellen8erhält; überdieß reicht die Gemeinde den Ortsbürgern unentgeldlich das sog. Flickholz zur Erneuerung und Ausbesserung ihrer Wohnungen. Der Rest des jährlichen Holzerzeugnisses wird verkauft und sichert der Gemeindekasse alljährlich eine Einnahme von 1500–2000 fl. (…)
Der Gemeindehaushalt ist geordnet und eine Gemeindeschadensumlage findet nicht statt, ungeachtet die an einem Deficit leidende Stiftungspflege unterstützt werden muß. (…)
In dem Gemeindewald Sauhag, 1/2 Stunde nördlich vom Ort, wo nach der Volkssage eine Stadt gestanden sein soll, findet man noch Grundreste römischer Gebäude. Als man den neuen Begräbnißplatz anlegte, wurden alte Gräber, in denen Waffen, namentlich sog. Sachse sich befanden, entdeckt. Etwa 1/2 Stunde östlich von Weissach stand die Burg „Kapfenhard“, deren Mauern längst verschwunden sind. (…)
Im Ort selbst, in der Nähe des Pfarrhauses, steht der sog. Abtsstein, an dessen Stelle nach der Volkssage ein für vogelfrei erklärter Abt, Johann von Maulbronn, von den Weissachern im Jahr 1212 erschlagen wurde, welcher Begebenheit auch das Weissager Kirchenbuch von 1599 Erwähnung thut (…). Statt des ursprünglichen, bei dem Brande 1791 zu Grunde gegangenen Steins wurde an dessen Stelle der gegenwärtige neu gesetzt; derselbe enthält einen Abtsstab mit den Buchstaben MB (Maulbronn); in beiden Seiten des Stabs steht je die Zahl 12.
Weissach kommt im 9. Jahrhundert, wo nicht früher, als Wizaha vor unter den Orten, wo das Kloster Weissenburg begütert war (…) und um 1100 im Schenkungsbuch das Kloster Hirsau. …
Ursprünglich gräflich vaihingisch, wurde ein Haupttheil desselben um 1150 von dem Grafen Egino dieses Hauses an das Kloster Maulbronn vergabt; … Im Jahr 1254 wurde zu Recht erkannt, daß der Ritter Berthold Strubecho Kirchenvogt in W. sei, dem Abt von Maulbronn aber die übrigen Rechte daselbst zukommen.
Heinricus scultetus de Wizach im Anfang des 14. Jahrhunderts … ist der älteste bekannte hiesige Schultheiß. (…)
Bei Weissach war ein jetzt abgegangener Ort Bonlanden (in Urk. K. Friedrichs für Kloster Maulbronn vom 8. Jan. 1156 erscheint dieses Klosters grangia de Bonenlanden); ein Wald in der Nähe heißt noch der Bonlander Wald.
Die Kirche kam mit dem Kloster Maulbronn, welchem sie im Jahr 1361 incorporirt.9 worden war, an Württemberg, und so ist auch heutzutage der Pfarrsatz landesherrlich. (…)
Die mittelalterliche Kirchenburg ist das Wahrzeichen des Ortes Weissach. Das in der Oberamtsbeschreibung von 1856 erwähnte „merkwürdig erhaltene Bild eines wohlbefestigten Kirchhofs“ hat sich bis heute erhalten. (Foto: qwesy qwesy, 2012, Lizenz: Creative Commons BY 3.0, Kurzfassung: CC-BY-3.0, Originaldatei: Wikimedia Commons)
Der Text wurde gekürzt.
Erstveröffentlichung: Die Beschreibung des Oberamtes Vaihingen. Herausgegeben von dem Königlichen statistisch-topographischen Bureau. Stuttgart, 1856.
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das “königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden. Als 37. Band erschien 1856 die Beschreibung des Oberamts Vaihingen. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Version der Beschreibung von Weissach
Referenz
↑1 | gemeint ist im gotischen Stil |
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↑2 | Bossenwerk, Rustika; Steinquader, die auf der Stirnseite nur grob behauen (bossiert) sind. |
↑3 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 € gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875. |
↑4 | Schildwirtschaften waren, im Gegensatz zu Straußenwirtschaften, berechtigt, Gäste zu beherbergen und zu bewirten. Straußenwirtschaften waren nur zu gelegentlichem Ausschank, meist im Herbst, berechtigt. |
↑5 | alte Bezeichnung für Futterrüben. |
↑6 | Schillerwein ist ein Verschnitt aus roten und weißen Trauben. |
↑7 | Das/die Klafter ist ein historisches Raummaß für Bennholz in der Forstwirtschaft; 1 Klafter Holz entspricht der Menge von 3 Raummetern. |
↑8 | Die Welle ist ein altes Volumenmaß in der Holzwirtschaft; war dem Reisigholz vorbehalten. |
↑9 | Mit „Inkorporation“ (“ Einverleibung“ ) wird jener Vorgang bezeichnet, der eine Pfarrkirche einer geistlichen Institution, z.B. einem Kloster unterstellt. Die Einkünfte der Pfarrei gehen an die inkorporierende Institution über, die nun auch die Seelsorge organisiert. |