Der Ihinger Hof in der Beschreibung des Leonberger Oberamts von 1852
„Der landwirthschaftliche Betrieb des Guts ist ausgezeichnet“
Autor: Eduard Paulus
Eine Gemeinde-Parzelle von Renningen ist der in einem abgeschiedenen Markungstheil (…) befleißende, der Familie v. Vischer gehörige Ihinger Hof. Die Hofgebäude sind auf der Hochebene 1/2 Stunde südwestlich von Renningen und 1 Stunde östlich von Weil der Stadt, zunächst der von Stuttgart über Magstadt nach Weil der Stadt führenden Vicinalstraße gelegen. Der sehr ansehnliche Hof besteht aus 3 Wohngebäuden und 13 meist großen Ökonomie- und Stallgebäuden, welche zwei namhafte Hofräume nebst einem schön angelegten Garten einschließen; inmitten derselben befindet sich ein in städtischem Style erbautes zweistockiges Wohngebäude mit Thürmchen und Uhr. Am östlichen Ende des Hofs, wo sich noch ein kleiner Begräbnißplatz befindet, stand früher auch eine Kirche1 Gutes Trinkwasser liefern ein laufender und zwei Pumpbrunnen; überdieß sind noch drei Wetten angelegt. Bei der hohen freien Lage des Hofs ist die Luft etwas rauh, aber gesund, und die Aussicht, besonders südlich von den Hofgebäuden, sehr ausgedehnt. Der Boden besteht im Allgemeinen aus einem sandigen, mit einigen Procenten Kalk gemischten Lehm, dem theils die Lettenkohlengruppe, theils der Hauptmuschelkalk zur Unterlage dienen.
Der, von dem verstorbenen Besitzer, Rittmeister von Vischer, rationell eingerichtete landwirthschaftliche Betrieb des Guts ist ausgezeichnet und wirkt auch durch sein Beispiel vortheilhaft auf die Umgegend. Der Ackerbau wird in 9 Schlägen, von denen jeder etwa 50 Morgen beträgt, nach folgender Rotation getrieben: 1) Hackfrüchte (Kartoffeln, Rüben, Kraut), 2) Sommerfrüchte (Gerste, Hafer), 3) dreiblätteriger Klee, 4) Dinkel, 5) Wickenfutter, 6) Dinkel, 7) reine Brache, 8) Reps und 9) Dinkel. Außer diesen 9 Schlägen bestehen noch etwa 80-100 Morgen Außenfelder, welche keinem regelmäßigen Fruchtumlauf unterworfen sind, sondern abwechselnd mit Luzerne angebaut oder als Schafweiden benützt werden, jedoch später wieder unter den Pflug kommen. (…)
Die Wiesen, von denen der Morgen durchschnittlich 20-25 Ctr. Heu und 10-12 Ctr. Öhmd ertragen, können wegen der hohen Lage nicht bewässert werden.
Die Obstbaumzucht ist sehr ausgedehnt und einträglich; feineres Tafelobst wird nicht gepflegt.
Zu dem Hofgut gehören 323 Morgen Waldungen, deren durchschnittlicher jährlicher Ertrag zu 900-1000 fl.2 angegeben wird.
Eigentliche Pferdezucht findet nicht statt, dagegen ist die Rindviehzucht ausgezeichnet… . Früher wurde die Rigirace gezüchtet, gegenwärtig wird aber eine Kreuzung von Rigi-Kühen und einem Berner Farren mit ausgezeichnetem Erfolg versucht. Die Zuchtstiere, deren 2 auf dem Hofe stehen, sind Schwarzschecken aus dem Berner Oberland. Der Handel mit Vieh ist unbedeutend.
Die Milch wird (…) an den Speisemeister, der eine Käserei und Wirthschaft betreibt, abgegeben; es werden sowohl Schweizer- als Backsteinkäse bereitet und meist im Inland abgesetzt.
Die Schafzucht ist sehr namhaft und dehnt sich auf etwa 800 Stück feinere Bastarde aus, deren Wolle zu 100-120 fl. per Ctr. meist auf dem Hofe selbst verkauft wird.
Um’s Jahr 1170 wird Ihingen erstmals genannt, als das Kloster Hirschau hier ein Gut erhielt. (…) Im Jahr 1478 erscheint Ihingen als der Herrschaft Württemberg Eigenthum und derer von Weil der Stadt Lehen, in einem deßwegen abgeschlossenen Vertrage vom 20. Juli (…). Ein württembergischer Lehenbrief für Weil der Stadt ist vom 11. Okt. 1379 (…).
Andreä’s Landbuch von 1744 sagt: „davon gehören nur einige Äcker zur Magstädter Collectation als auf deren Markung liegend, sonst aber gehört dieser Hof mit allen niedergerichtlichen Juribus dermalen dem Baron von Leiningen, die hohe Jurisdiction aber gehört Württemberg zur Vogtei Böblingen.“
Weil der Stadt verkaufte den Ort zu Bestreitung der schwedischen Satisfactionsgelder (im Betrag von 8100 fl.) im Jahr 1649 für 5500 fl. (…) an den württembergischen Oberlandrath Heinrich Achilles von Bouwinghausen von Wallmerode (…). Von der Tochter des Letzteren, einer vermählten von Donopp, ging der, zu 18.000 fl. angeschlagene Hof sofort auf deren drei Töchter über, worauf der Gemahl einer derselben, Mor. Sigf. v. Leiningen, seinen beiden Schwägerinnen zwei Drittel des Anschlags hinausbezahlte und dadurch (1650) alleiniger Besitzer des Gutes wurde; er steuerte zum ritterschaftlichen Canton Neckar-Schwarzwald (…). Von den Erben des Herrn v. Leiningen, nämlich von den Schwestertöchtern desselben, oder deren Erben von Gaisberg, von Göllnitz und von Troyst, erkaufte im Jahr 1809 der Vormünder des Kaufmanns Gustav Leonhard Vischer in Calw das Gut. In Folge dieses Besitzes wurde Vischer sofort im Jahr 1814 in den Adelsstand erhoben und im Jahr 1817 in die württembergische Ritterschaft aufgenommen. Er starb im Jahr 1837 als württembergischer Rittmeister a. D. Seine Erben sind die gegenwärtigen Besitzer des Hofes.
Wie erwähnt, gehört der Ihinger Hof ursprünglich zur Vogtei Böblingen, von welcher er in herzoglichen Zeiten mit Malmsheim, als dieses wieder mit dem Oberamt Leonberg vereinigt wurde, an letztes Oberamt gelangte; seit 1851 ist er eine Theilgemeinde von Renningen. Es bestund hier im 15. Jahrhundert eine eigene Kirche, welche laut Mandat Papst Pius II. vom 31. Januar 1461 an Sigfried von Renningen, Probst zur heiligen Dreifaltigkeit in Speyer, der Kirche Weil der Stadt incorporirt wurde (…).
Im vorigen Jahrhundert wollte die Pfarrei Magstadt den Filialverband des Ihinger Hofs zu Magstadt geltend machen; die Besitzer desselben, Herren von Leiningen, erkannten ihn aber nicht an, sondern hielten sich bei amtlichen Pfarrgeschäften bald an diese, bald an jene Pfarrei. Seit 1814 ist der Hof der Pfarrei Renningen zugetheilt, von der Theilnahme an den Kirchen- und Schulbau-, Pfarraufzugs- und Vicariatskosten aber bestimmt freigesprochen.
Grenzstein des Ihinger Hofes aus dem Jahr 1580. Das große „W“ zeigt, dass sich das Hofgut bis zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs 1648 im Besitz des Spitals der Reichsstadt Weil der Stadt befunden hatte. (Foto: Klaus Philippscheck)
Erstveröffentlichung: Beschreibung des Oberamts Leonberg. Herausgegeben von dem Königlichen statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1852, S.229.
Der Text wurde gekürzt.
Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das königliche statistisch-topographische Bureau in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 Verwaltungsbezirke, der sog. Oberämter, und ihrer Gemeinden. Als 30. Band erschien 1852 die Beschreibung des Oberamts Leonberg. Auf dem Internet-Portal Wikisource, einer Sammlung von urheberrechtsfreien oder unter einer freien Lizenz stehenden Quellentexten, kann diese mittlerweile vollständig abgerufen werden. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Version der Beschreibung von Renningen und des Ihinger Hofes.
Referenz
↑1 | Im Jahre 1825 ist die Kirche vollends eingefallen |
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↑2 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 € gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875. |