Die politische Eingliederung der Vertriebenen im Kreis Böblingen
Autor: Dr. Benno Kubin
Gleichlaufend mit der wirtschaftlichen Eingliederung der Heimatvertriebenen vollzog sich auch ihre Eingliederung in das politische Leben. Das Bestreben, beim Aufbau der neuen staatlichen Ordnung mitzuwirken und mitzubestimmen, führte zu der Entsendung der Vertreter der Heimatvertriebenen aus dem Kreis Böblingen in alle politischen Gremien (Gemeinderäte, Kreistag und Landtag). …
Eine Einbindung in die Verwaltung der Gemeinden strebte ein Rundbrief des Landesausschusses für Flüchtlinge im Innenministerium vom 04.03.1947 an. Er wies die Gemeinden an, Ortsausschüsse für Flüchtlinge zu bilden. Vorsitzender dieses Ausschusses war der Bürgermeister, und die Mitglieder wurden aus den Reihen der Gemeinderäte in Verbindung mit den politischen Parteien gewählt. Dabei sollten die Neubürger, die hinzugezogen wurden, entsprechend ihrer Zahl in der Gemeinde jedoch mindestens durch 2 Vertreter unter Berücksichtigung ihrer Herkunftsländer, vertreten sein. Der Vollzug der Bildung dieser Ortsausschüsse war den Flüchtlingsleitstellen bis zum 10. April 1947 zu melden.
Bei einer Besprechung des Innenministeriums mit der Militärregierung für das Land Württemberg-Baden am 15. August 1947 wurde für die politische Betätigung der Flüchtlinge und Ausgewiesenen angeregt, sie in die bestehenden politischen Parteien zu integrieren.
Bei den Gemeinderatswahlen am 7. Dezember 1947 wurden die ersten Heimatvertriebenen in die Gemeinderäte und die Kreistage gewählt. … Dem Kreistag gehörten damals 2 Heimatvertriebene an. Die Kommunalwahlen am 28. Januar 1951 erfolgten auf eigenen Listen (GB/BHE)1 und brachten für die Heimatvertriebenen einen großen Erfolg. Es wurden 36 Gemeinderäte gewählt, sodass insgesamt 51 Vertreter der Heimatvertriebenen den Gemeindegremien angehörten. …
Im Kreistag, für den Wahlen nur alle 6 Jahre stattfanden, gab es 6 Vertreter der Heimatvertriebenen. …
Bei der Landtagswahl am 9. März 1952 erreichte der im Kreis Böblingen für den GB/BHE kandidierende Landesvorsitzende des BdV, Dr. Mocker, über die Landesliste ein Mandat. Der auf der gleichen Liste gewählte ehemalige Bürgermeister von Komotau/Sudetenland, Eduard Fiedler, wurde in der neugebildeten Regierung mit der Leitung eines Ministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte beauftragt. Die Gemeinderatswahlen von 1953 – 1959 brachten noch eine weitere Erhöhung der Zahl der heimatvertriebenen Gemeinderäte auf 67 und der Zahl der Kreisräte auf 8 Mandatsträger. …
1960 kandidierte bei der Landtagswahl Robert Maresch für den GB/BHE und erreichte mit 6 anderen Bewerbern 7 Landtagsmandate für die Partei. Außerdem wurde bei dieser Landtagswahl noch 1 Heimatvertriebener über die CDU-Liste und 1 Heimatvertriebener über die SPD-Liste in den Landtag gewählt. Das Vertriebenenministerium wurde jedoch in der neuen Legislaturperiode nicht mehr gebildet, sondern in ein Staatssekretariat mit Kabinettsrang im Innenministerium umgewandelt. …
Nach den Gemeinderatswahlen im November 1962 gehörten nunmehr 81 Vertriebene den Gemeinderäten an, von denen 74 auf eigenen Listen gewählt waren.
Die Kommunalwahlen am 7. November 1965 brachten in der Zahl der heimatvertriebenen Mandatsträger einen Rückschlag. Es verblieben noch 66 Vertreter in den Gemeinderäten und 6 im Kreistag. …
Bei der nächsten Wahl am 28. Oktober 1968 stieg wohl die Zahl der Heimatvertriebenen in den Gemeinderäten auf 73, doch wurden nur noch 60 auf eigenen Listen und 13 bereits auf anderen Listen gewählt. Die eigenen Listen konnten in 20 Kreisgemeinden eingereicht werden und hatten bis auf Kuppingen Erfolg.
Bei den Kommunalwahlen am 24. Oktober 1971 wurden nur noch in vier Gemeinden eigene Listen von Heimatvertriebenen aus den Reihen des BdV aufgestellt. In Sindelfingen, in Schönaich, in Waldenbuch und in Weil im Schönbuch.
Für den Kreistag kandidierten in allen Wahlkreisen die „Wählergemeinschaft unabhängiger Bürger“. Die auf dieser Liste gewählten Kreisräte schlossen sich der CDU-Fraktion an.
Bei den Wahlen nach diesem Zeitpunkt wurden eigene Listen des Bundes der Vertriebenen nicht mehr aufgestellt. Die Heimatvertriebenen kandidierten auf den Listen der politischen Parteien und den Wahlvorschlägen der freien Wählervereinigungen. Wenn sich dadurch auch die Chancen für die Heimatvertriebenen, Mandate zu erlangen, verschlechterten, kann man in dieser Entwicklung doch einen Abschluss der Eingliederung der Heimatvertriebenen in das politische Leben des Kreises Böblingen erblicken.
Quelle: Die Vertriebenen im Kreis Böblingen – hrsg. vom Bund der Vertriebenen (BdV) – Vereinigte Landsmannschaft und Landesverbände – Kreisverband Böblingen, Redaktion: Dr. Benno Kubin, Röhm Verlag, Sindelfingen, 1992.
Der Text wurde gekürzt
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des BdV-Kreisverbandes Böblingen.
Referenz
↑1 | GB/BHE: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten. Gegründet im Januar 1950 in Schleswig-Holstein. Errang im Sommer 1950 bei Landtagswahlen in Schleswig-Holstein 23,4%, bei den Bundestagswahlen 1953 5,3%, 1957 4,1%, 1961 2,8%. Die Partei bestand bis 1964. Ein Teil ihrer Mitglieder gründeten 1964 die NPD. |
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