Johann Bruecker wurde vor 50 Jahren Ehrenbürger
Warum Schönaich vom Rasierapparat profitierte
Autor: Michael Stürm
Vor rund 50 Jahren bedachte das moderne Märchen auch Schönaich mit einem Kapitel: Johann Bruecker – Erfinder und Millionär – besuchte damals die Gemeinde das erste Mal und hinterließ dort eine Spur der Wohltat. Heute vor einem halben Jahrhundert wurde er zum Ehrenbürger der Gemeinde ernannt.
Die Geschichte, die was vom guten Onkel aus Amerika hat, begann für Schönaich im Jahr 1953. Johann Bruecker (1881-1965), der Mann, der der Männerfraktion dieser Welt mit seinem „Sunbeam-Shavemaster“ zur elektrischen Bartentfernung verholfen hatte und damit zu einem vermögenden Mann geworden war, befand sich auf der Suche nach seinem Bruder Peter. Der war nach den Kriegswirren als Heimatvertriebener in Schönaich sesshaft geworden und teilte das Schicksal vieler, die sich in der von Zuwanderern und Flüchtlingen überfüllten Gemeinde wiederfanden: ein Leben in drangvoller Enge von Massenunterkünften.
Wenige Tage nach dem Wiedersehen stand Bruecker bei Schönaichs Bürgermeister Fritz Übele im Büro. Im Kopf den Plan zum Bau zweier Mehrfamilienhäuser für die Unterbringung seiner Verwandtschaft, in der Tasche das hierfür notwendige Geld, mit dem die Gemeinde diese Schenkung auf die Beine stellen sollte – „als Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot der Vertriebenen in Deutschland“, wie es im Vertrag der hierfür gegründeten Stiftung hieß.
Drei Tage später war Spatenstich und Schönaich hatte seinen Gönner, der bis heute Spuren hinterlässt. „Das war die Initialzündung für die Wohnungspolitik Schönaichs“, sagt Kämmerer Walter Gorhan heute. Mittlerweile besitzt die Gemeinde über 200 Wohnungen, verfügt über ein Seniorenheim am Eisenbahnweg und betreute Altenwohnungen im „Hasenbühl“, die von der Bruecker-Stiftung finanziert worden sind. Längst haben Senioren die Vertriebenen als Stiftungsadressaten abgelöst.
Als „sehr, sehr großzügigen, sozial eingestellten Menschen“ hat Reinhold Rometsch den Schönaicher Ehrenbürger kennengelernt. Rometsch, ein Großneffe Brueckers, lebte mit seiner Familie in einem der gestifteten Häuser.
Nach wenigen Jahren war das Modell der Mietfreiheit auf Lebenszeit freilich von der Gemeinde, die offenbar Geld benötigte, für beendet erklärt worden. Die Bewohner wurden ausbezahlt und die Gemeinde vermietete die Wohnungen „an gut bezahlende Mieter“, wie sich Zeitzeugen erinnern. Der Ertrag kam dann den Stiftungszwecken zugute.
Rund zwanzig Jahre zuvor, im Jahr 1937, gelang dem USA-Emigranten aus Donauschwaben Johann Bruecker mit dem ersten gebrauchsfähigen Elektro-Rasierer eine bahnbrechende Erfindung. Die Bilderbuch-Karriere vom mittellosen Auswanderer im Land der unbegrenzten Möglichkeiten war perfekt.
Das viele Geld, das er mit diesem Patent verdiente, war für Johann Bruecker nie ein erstrebenswertes Gut. Der aktive Christ, mit der Pfeife im Mund als Markenzeichen, fühlte sich wohl, wenn er sich der Tüftelei hingeben und anderen helfen konnte. Junge Menschen, auch aus Schönaich, erhielten durch ihn die Möglichkeit, zu studieren, die lutherische Kirche im kalifornischen Glandale, seinem langjährigen Wohnort, profitierte ebenso von den Wohltaten Brueckers.
In den späteren Lebensjahren stand Schönaich im Mittelpunkt seines Lebens. Immer länger wurden die Aufenthaltszeiten in Deutschland, das er rund 30-mal besuchte. Vor allem der Süden und eben die kleine Gemeinde in der Nähe von Stuttgart hatten es ihm angetan. „Das Aichtal“, erzählt Reinhold Rometsch, „erinnerte ihn immer an die Landschaft der Region um Los Angeles.“ Im noblen Reichsbahnhotel in Stuttgart bewohnte Bruecker eine Suite und ließ sich täglich von einem Fahrer per Mietwagen nach Schönaich chauffieren, wo er sich bei der Firma Hesse & Heinzelmann eine Versuchswerkstatt eingerichtet hatte, um an weiteren Erfindungen zu experimentieren.
Ende der 50er Jahre wurde Johann Bruecker dann das Desinteresse an Geld zum Verhängnis. 1958 versiegten die Gewinnanteile aus den Rasierapparate-Lizenzen. Die fehlenden Einkünfte und der Kontakt mit Menschen, die Bruecker nicht immer nur Gutes tun wollten, ließen den Mann mit dem großen Herzen langsam verarmen.
1962 wählte Johann Bruecker, der mittlerweile auch als Namensgeber der Schönaicher Grundschule fungierte, die Gemeinde als neuen Lebensmittelpunkt. Zurückgezogen und zuletzt schwer gezeichnet von einer Krankheit, die eine Beinamputation zur Folge hatte, verbrachte er die letzten drei Lebensjahre in einer der Wohnungen, die er selbst einmal der Gemeinde stiftete. „Sein Vermächtnis war auf eine Stube reduziert“, sagt Walter Gorhan. Der Wohltäter schlüpfte in die Rolle des Empfängers.
Erstveröffentlichung: Kreiszeitung/Böblinger Bote vom 19. März 2004
Mit freundlicher Genehmigung der Kreiszeitung/Böblinger Bote
Literaturhinweis:
Walter Jehle, Schönaicher Ortsgeschichte – Begebenheiten und Gschichtla. Hrsg.: Gemeinde Schönaich 2003, S. 152-153 und 324-326.
Karl Götz, Johann Bruecker. Der Mensch, der Erfinder, der Wohltäter. Hrsg.: Johann-Bruecker-Stiftung Schönaich, o. J. (um 1960).