Die Deufringer Pfarrkirche St. Veit
Renaissance auf dem Dorf
Autorin: Susanne Kittelberger
Nicht immer haben Kirchenrestaurierungen der 1970er Jahren zu einem ansprechenden Ergebnis geführt. Allem voran die Modernisierung der Pfarrkirche in Dachtel gilt vielen als abschreckendes Beispiel. Doch wo diese ihrer barocken Heiterkeit völlig beraubt wurde, verströmt die Deufringer Kirche nach der Freilegung ihrer Wandmalereien solch einen Charme, dass der Besuch immer wieder zu einem beglückenden Erlebnis gerät.
Die evangelische Pfarrkirche St. Veit in Deufringen liegt direkt an der Durchgangsstraße von Aidlingen nach Gechingen. Sie steht auf einer Anhöhe und im Südwesten trifft man noch auf Reste der alten Ringmauer, die einst den Kirchhof umgab. Schräg gegenüber steht das Schloss der Herren von Gültlingen, die hier fast 300 Jahre lang die Ortsherrschaft ausübten. Schloss und Kirche, die beiden Sinnbilder weltlicher und geistlicher Herrschaft, – in Deufringen liegen sie nur wenige Schritte auseinander.
Der weiß verputzte Bau mit ockerfarbenen Eckquadern, Westturm, Maßwerkfenstern und einem Anbau für die Sakristei an der Südseite macht von außen einen schlichten Eindruck. Betritt man St. Veit durch das nördliche Eingangsportal und blickt aus dem verschatteten Bereich unter der Ostempore in das helle, weite Kirchenschiff, so versteht man jedoch sofort, weshalb die Landesdenkmalstiftung Baden-Württemberg die kleine Dorfkirche schon einmal zum Denkmal des Monats gekürt hat.
Innenraum der Deufringer Pfarrkirche mit ihrer Wand- und Deckenmalerei. (Bild: S. Kittelberger)
Die weiß verputzen Wände werden von einer prächtigen grauen Scheinarchitektur gegliedert. Form und Ornamentik verraten sofort den Einfluss der Kunst der Renaissance, wie sie sich im 16. Jahrhundert von Italien aus auch im nachreformatorischen Württemberg verbreitete. Es handelt sich um reine Architekturmalerei. Dabei ist anzunehmen, dass im protestantischen Deufringen bei der Neuausstattung der Kirche ganz bewusst auf die bildliche Darstellung religiöser Szenen verzichtet wurde. Schließlich waren auch hier alle Altäre und Heiligenbilder nach der Reformation aus St. Veit verbannt worden. Die Menschen sollten sich ganz auf die Verkündigung des Wortes Gottes konzentrieren können. Auch die Bemalung der Decke ist rein ornamental gehalten und wirkt, – wie Adolf Schahl 1972 treffend anmerkte -, mit ihrem überbordenden Schmuck aus Ranken und Rosetten wie eine „ins Großartige gesteigerte Bauernmalerei“.1Farblich und ornamental sind die Malereien an Decke und Wänden genau auf einander abgestimmt. Unterschiedliche Grauschattierungen, Schwarz, Ockergelb, helle Rottöne sowie ein Hauch von zartem Grün bilden eine noble Farbpalette, die dem Raum seinen ganz besonderen Charakter verleiht.
Die Wandbemalung konzentriert sich vor allem um die Fenster und um die beiden Portale des um 1500 noch im Stil der Spätgotik erbauten Kirchenschiffs. Mit den damals modernen Kunstgriffen der illusionistischen Malerei erhielten die spätgotischen Türen und Maßwerkfenster eine prachtvolle neue Umfassung, in der sich die Ornamentik der Renaissance nun voll entfalten konnte: gemalte Pfeiler und Rundstäbe, Gesimse, Kassetten, Voluten, Dreiecksgiebel mit muschelförmigen Ornamenten und Fruchtbüschel brachten damals frischen Wind in die Kirche. Je eine monumentale Säule verläuft von den Portalumrahmungen im Süden und im Norden bis zu einem unter der Decke laufenden Simsband und gibt so vor, die Decke abzustützen. Im westlichen Teil der Kirche erkennen wir noch einen Schmuckrahmen, der einst genau unterhalb der mittlerweile abgerissenen Westempore verlief.
Architekturmalerei am Südportal der Deufringer Pfarrkirche. (Bild: S. Kittelberger)
Der Clou der ornamentalen Ausschmückung sind jedoch die vollbusigen, fischschwänzigen Sirenen, die im westlichen Nordfenster auf der Sockelbank aufsitzen. In einer etwas anderen Variante finden wir sie auch über dem Dreiecksgiebel des Südportals. Mit ihrem verführerischen Sexappeal erinnern sie nur noch ganz entfernt an ihre Vorläuferinnen in den Kirchen des Mittelalters. Alles zusammen strahlt solch eine Pracht und Sinnenfreude aus, dass man zunächst kaum glauben mag, sich in einer protestantischen Kirche zu befinden.
Für uns heute ist es nur schwer nachzuvollziehen, dass spätere Generationen an dieser herzerfrischenden Dekoration offenbar keinen Gefallen mehr gefunden haben. Doch spätestens mit den tiefgreifenden Umbauten der Veitskirche im späten 18. Jahrhundert wurden die Malereien für einige Jahrhunderte unter den Putz verbannt. Erst das auf Restaurierung von Kirchenräumen spezialisierte Restauratorenpaar Malek befreite sie – wie ihre Pendants im Schloss – zu Beginn der 1970er Jahre wieder aus ihrem Dornröschenschlaf.
Vollbusige Nixe auf der Sockelbank des westlichen Nordfensters. (Bild: S. Kittelberger)
Auch wenn weder Auftraggeber, Künstler noch das genaue Entstehungsdatum der Renaissancemalereien in der Deufringer Kirche überliefert sind, kommt als Auftraggeber eigentlich nur der damalige Ortsadel, die Herren von Gültlingen in Frage.
Eine zentrale Rolle in der Datierung wird der Nische in der Nordwand der Kirche zugewiesen. Diese trägt die Jahreszahl 1564 und könnte die Fertigstellung der neuen künstlerischen Ausstattung dokumentieren. Mit den Methoden der klassischen Stilkritik, verweisen Kunsthistoriker gerne auf Ähnlichkeiten zwischen den Ornamenten der Wandmalereien und denen auf dem Grabmal des 1566 verstorbenen, älteren Jakob von Gültlingen.2Tatsächlich spricht einiges dafür, dass er es war, der die Malereien in Auftrag gegeben hat, um so die Bedeutung der Kirche als Grablege für seine Familie hervorzuheben. Sein Sohn, der später unglücklich aus dem Leben geschiedene jüngere Jakob von Gültlingen, war es dann, der ab 1592 den Neubau eines repräsentativen Familiensitzes in Angriff nahm. Wie die freigelegten Fresken im Turm heute eindrucksvoll belegen, war auch das Schloss reich mit Malereien im manieristischen Stil der späten Renaissance ausgestattet. Es ist also offensichtlich, dass die Herren von Gültlingen Ende des 16. Jahrhunderts viel Ehrgeiz und Geld investierten, um ihrem Deufringer Adelssitz, ein modernes repräsentatives Aussehen zu verleihen.
Wandnische mit der Jahreszahl 1564. Möglicher Weise bezieht sie sich auf die Fertigstellung der Renaissanceausstattung. (Bild: S. Kittelberger)
Die Deufringer Veitskirche war lange keine gewöhnliche Pfarrkirche, sondern eine herrschaftliche Kirche. Davon künden im Innenraum noch drei Grabdenkmäler, die an Familienmitglieder des in Deufringen ansässigen Rittergeschlechts erinnern.
Während das älteste Epithaph von Junker Sebastian unter der Inschrift lediglich mir den Vollwappen des Ehepaares Gültlingen/Dalla (von Talheim)3geschmückt ist, zeigt das des älteren Jakob von Gültlingen stilistisch bereits deutlich den Einfluss der Renaissance. Das Feld für die Inschrift ist nun wie ein aufgeschlagenes Buch gestaltet, in das die Texte eingemeißelt wurden; auch die darunter angebrachten Familienwappen wurden in ein kreissegmentförmiges Bogenfeld eingepasst. Den oberen Abschluss bildet eine plastisch gestaltete muschelförmige Lünette.
Das Grabmahl des jüngeren Jakob von Gültlingen (gest 1600) ist künstlerisch am anspruchsvollsten und fasziniert bis heute durch seine noble Ausstrahlung. In der Mitte des über drei Meter hohen Epitaphs kniet das verstorbene Ehepaar in Anbetungshaltung vor einem Kruzifix. Auf der linken Seite sehen wir Jakob von Gültlingen, standesgemäß bekleidet mit Rüstung und Schwert, lediglich die Handschuhe hat er zum Beten abgelegt. Die modische Halskrause, der gepflegte Spitzbart, das fein gelockte Haupthaar, die gerade verlaufende Nasenlinie und der elegante Betschemel verleihen dem Ritter das Aussehen eines kultivierten Edelmannes. Ihm gegenüber kniet seine zwei Jahre später verstorbene Frau Felicitas, fast vollständig eingehüllt in ihren üppige Falten werfenden Witwenmantel und einen bis über das Kinn hochgezogenen Schleier. Am Fuße des Kreuzes platzierte der Bildhauer einen grinsenden Totenschädel – sprechendes Vanitassymbol und zeitübergreifendes Memento Mori. Den oberen Abschluss bildet ein geschweifter Aufsatz mit den Familienwappen. Ganz unten im Sockelgeschoß befindet sich die Inschrift des Grabmahls, wobei sich die Formulierung, Jakob habe am 15. Oktober 1600 sein Leben „geendet“, auf seine „ohne Urteil und Recht“ verfügte Hinrichtung bezieht, nachdem er – vermutlich in volltrunkenen Zustand – einen Freund getötet hatte, weil er ihn für ein Gespenst hielt.
Epitaph für Jakob von Gültlingen (gest. 1600) und seine Frau Felicitas (gest. 1602) in der Deufringer Pfarrkirche. (Foto: S. Kittelberger)
Auch wenn die Ausstattung der Renaissance heute im Wesentlichen den Charakter der Veitskirche bestimmt, ist auch das Mittelalter mit einigen herausragenden Kunstwerken vertreten. Wir begegnen ihm vor allem im heutigen Chor mit seinem gotischen Kreuzrippengewölbe, den Kopfkonsolen und dem Schlussstein mit dem Lamm Gottes. Hier, im Bereich unter dem alten Westturm, liegt der älteste Teil der Kirche. Hinter dem Altar gut sichtbar ist das alte, bei der letzten Renovierung vermauerte Westportal, das daran erinnert, dass sich hier bis 1971 der Eingang in die Kirche befand. Im nördlichen Bogen des parabelförmigen Chordurchbruchs befindet sich die seltene Darstellung einer sog. „Hostienmühle“ aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sowie das Sakramentshäuschen, in dem in vorreformatorischer Zeit die Hostien aufbewahrt wurden. Auch diese beiden Schmuckstücke wurden erst bei der letzten Kirchenrestaurierung wieder ans Tageslicht befördert.
Schließlich begegnen wir ihm sogar im Kirchenschiff. Erst auf den zweiten Blick nimmt man die runden, mit einem Kreuz geschmückten Medaillons wahr, die sich an manchen Stellen über die unter den Fenstern angebrachten Volutenranken schieben. Es handelt sich dabei um sog. „Apostelkreuze“ wie man sie oft in mittelalterlichen Kirchen vorfindet und die an die feierliche kultische Einweihung des Gebäudes erinnern. In Alt-Württemberg verschwand dieser Brauch mit der Reformation, da der Protestantische Glaube die Weihe von Gegenständen ablehnte. Die Apostelkreuze entsprechen demnach einer älteren Dekorationsschicht des Kirchengebäudes. Dass sie heute wieder sichtbar sind, entsprang dem Konzept der Restauratoren und Denkmalpfleger, die hier mehrere Ausstattungs-Schichten sichtbar machen wollten, um so den Gang der Zeit zu visualisieren. In Deufringen wurde dadurch eine künstliche, modernen Vorstellungen entsprungene Situation geschaffen, die es so nie gab, die jedoch neben ihrem historischen Erkenntniswert auch einen hohen ästhetischen Reiz besitzt.
So erlebt man die renovierte Deufringer Kirche St. Veit tatsächlich als ein Geschenk, das ältere und jüngere Vergangenheit geschickt mit der Gegenwart und der Zukunft in Beziehung setzt.
Darstellung der Hostienmühle in der Deufringer St. Veit-Kirche. (Foto: S. Kittelberger)
Die Deufringer Pfarrkirche St. Veit hat eine lange Baugeschichte. In deren Verlauf hat sich die Gestalt des Gebäudes mehrfach stark verändert. Das heutige Erscheinungsbild der Kirche ist ohne deren Kenntnis nicht zu verstehen. Dies sind die wichtigsten Eckpunkte:
Deufringer Pfarrkirche St. Veit mit Resten der mittelalterlichen Umfassungsmauer von Südwesten aus gesehen. (Bild: S. Kittelberger)
Literaturhinweise
Ute Beitler: Schloß und Kirche in Deufringen. Ein kurzer Überblick zur Bau- und Kunstgeschichte. In: Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen – Beiträge zur Ortsgeschichte. Aidlingen 1999. S. 313-329.
Adolf Schahl: Die evang. Pfarrkirche (St. Veit) in Deufringen. Ihre Bau- und Kunstgeschichte bis zur Erneuerung von 1971/72. In: Aus Schönbuch und Gäu. Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, hrsg. vom Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu, Nr. 4 u. 5/1972, S.13-16 (Teil 1) sowie Nr. 6 u. 7/1972 (Fortsetzung), S. 21-22.
Adolf Schahl: Die neue Gestalt der Evangelischen Pfarrkirche Deufringen. In: Aus Schönbuch und Gäu. Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, hrsg. vom Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu, Nr. 8 u. 9/1972, S.29-31.
Links
Zeitreise BB: Die Darstellung der Hostienmühle in der Deufringer St.Veit-Kirche
Baugeschichte von St. Veit in Deufringen auf www.kirchebb.de
Denkmalstiftung Baden-Württemberg: Die St. Veit-Kirche in Aidlingen – Deufringen, Landkreise Böblingen
Referenz
↑1 | Adolf Schahl, Die evang. Pfarrkirche (St. Veit) in Deufringen. Ihre Bau- und Kunstgeschichte bis zur Erneuerung von 1971/72. In: Aus Schönbuch und Gäu. Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, hrsg. Vom Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu, Nr. 4 u. 5/1972, S.16. |
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↑2 | Siehe hierzu Adolf Schahl, Die neue Gestalt der Evangelischen Pfarrkirche Deufringen. In: Aus Schönbuch und Gäu. Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, hrsg. vom Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu, Nr. 8 u. 9/1972, S.31. und Ute Beitler, Schloß und Kirche in Deufringen. Ein kurzer Überblick zur Bau- und Kunstgeschichte. In: Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen – Beiträge zur Ortsgeschichte. Aidlingen 1999. S. 320. |
↑3 | Dalla ist die mundartliche Form des Namens Talheim; die Herren von Talheim (Landkreis Heilbronn) gehörten wie die Herren von Gültlingen zur Reichsritterschaft. Siehe hierzu A. Schahl, Die Ev. Pfarrkirche St. Veit in Deufringen, a.a.O., S.21. |