Rutesheim – Ortsgeschichte im Zeitraffer
Autor: Harald Schaber
Der aufmerksame Besucher registriert schon am Stadtrand von Rutesheim die schnurgerade Straßenführung durch den Ort. Sie geht auf die von den Römern erbaute Steinstraße zurück, die von Bad Cannstatt über Rutesheim nach Pforzheim führte. Im Osten und Südosten fallen breite, rechtwinklig sich kreuzende Straßen auf. Sie wurden nach dem großen Brand von 1837 angelegt und sollten in Zukunft solche Brandkatastrophen verhindern.
Ein historischer Rückblick zeigt, dass schon lange vor Christi Geburt Menschen in und um Rutesheim siedelten. Funde aus der Jungsteinzeit (ca. 4000 – 2000 v. Chr.), aus der späten Bronzezeit (ca. 1200 – 750 v. Chr.) und der älteren Eisenzeit (ca. 750 – 450 v. Chr.) belegen dies. Siedlungsspuren aus keltischen Zeit (ca. 450 v. Chr. bis Christi Geburt) sind in Rutesheim und Umgebung selten. Umso ergiebiger sind dafür die Funde aus der Römerzeit (ca. 15 v. Chr. – 260 n. Chr.), vor allem entlang der um 90 n. Chr. angelegten Römerstraße (Steinstraße). Diese bildete eine wichtige Verbindung zwischen dem Rhein- und Donaugebiet und ermöglichte das Vordringen der hoch entwickelten Mittelmeerkultur. Auch im Rutesheimer Gebiet entstanden große Steinbauten, Säulenhallen und beheizte Baderäume. Bodenfunde, wie z.B. Bronzegefäße und Keramikwaren, lassen einen gehobenen Lebensstil erkennen. Mit dem Vordringen der Alemannen in das Neckarland im Jahr 233 n. Chr. begannen unruhige Zeiten. Archäologen nehmen an, dass die Bewohner des Gutshofs in der Flur Burgfeld ihr wertvolles Bronzegeschirr vergruben, damit es nicht den Feinden in die Hände fiel. Am Ende des 5. Jahrhunderts wurden die Alemannen, die das ganze Neckarland bis zum Rhein in Besitz genommen hatten, von den Franken unterworfen. Rutesheim gehörte nun zum Fränkischen Reich. Nach der Taufe ihres Königs Chlodwig im Jahre 496 haben die Franken das Christentum angenommen.
Ansicht von Rutesheim in den zwischen 1681-1686 angelegten Forstlagerbüchern von Andreas Kieser. Die Originale der Forstlagerbücher werden heute im Landesarchiv Baden-Württemberg in Stuttgart aufbewahrt. (Bild: Landesarchiv Baden-Württemberg, Bestellsignatur H 107/8 Bd 5 Bl. 5, Permalink http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-513559)
Der Flur- und Flurnamensforschung ist zu entnehmen, dass ursprünglich wohl drei Urmarkungen und Ursiedlungen auf der späteren Rutesheimer Gemarkung bestanden: Hof, Miemingen und Bechingen. Jede dieser Urmarkungen hatte Anteil am See, der im Bereich des heutigen Rathauses lag. Im 7. Jahrhundert wurden vermutlich die drei Siedlungen und die drei Markungen zu einem Ort bzw. zu einer Markung zusammengefasst. Ein einflussreicher Mann namens Ruotomar könnte Initiator oder Organisator dieser Maßnahme gewesen sein.
Im Codex des Klosters Lorsch wird der Ort erstmals urkundlich erwähnt: Im Jahre 767 schenkte ein gewisser Hildemar dem Kloster in villa Rothmarsheim eine Hofstatt und 40 Tagwerk Pflugland mit Wiesen, Wäldern und Wassern. Aus dem Schenkungsbuch der Hirsauer Mönche geht dann hervor, dass das Kloster Hirsau in der Zeit vom Ende des 11. bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts in Rutesheim mindestens 14 Bauernhöfe, die Kirche und den halben Zehnten von verschiedenen adeligen Herren geschenkt bekam.
Die Ortsherrschaft über Rutesheim, die vor allem die niedere Gerichtsbarkeit einschloss, kam vermutlich über den Ortsadel, die Herren von Rutesheim, an die Pfalzgrafen von Tübingen. Graf Rudolf von Tübingen veräußerte 1302 die Herrschaft über das Dorf Rutesheim an Graf Eberhardt I. von Württemberg. Im Jahr 1318 erwarben die Württemberger vom Kloster Hirsau die Kirche mit dem Patronatsrecht, den halben Zehnten sowie Klosterbesitzungen in Rutesheim.
Auch nachdem Rutesheim württembergisch geworden war, erlebte das Dorf eine wechselvolle Geschichte. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) brachte für die Rutesheimer Bevölkerung Einquartierungen, Plünderungen, Brandschatzungen, Hunger, Pest und Tod. Im Jahr 1650 werden nur noch 150 Überlebende erwähnt. Es folgten Zeiten des Wiederaufbaus und erneuter kriegerischer Auseinandersetzungen wie die französischen Einfälle in Süddeutschland 1688 und 1693, unter denen auch Rutesheim zu leiden hatte.
Am 30. Juni 1837 wurde Rutesheim von einer großen Brandkatastrophe heimgesucht. Der große Brand hinterließ im Ortsbild tiefe Narben: Das Rathaus, 67 Wohngebäude, 41 Scheunen und verschiedene Nebengebäude wurden ein Raub der Flammen. Die Not der Menschen, die ihr Hab und Gut verloren hatten, war groß. Wenigstens hatte man keine Toten zu beklagen.
Der 2. Weltkrieg ging auch an Rutesheim nicht spurlos vorbei. Am 9. April 1945 wurden durch Tiefflieger-Beschuss und Brände 32 Gebäude zerstört. Zahlreiche Menschen verloren ihr Leben. Nach dem Krieg wuchs die Bevölkerung Rutesheims stark an, vor allem durch den Zuzug von Heimatvertriebenen. Zählte die Gemeinde im Jahre 1939 noch 2114 Einwohner, war sie 1971 bereits auf 7086 Personen angewachsen. Zur Schaffung von Wohnraum wurden neue Baugebiete ausgewiesen. Schulen, Sporthallen und das Rathaus mussten neu gebaut werden. Aus dem landwirtschaftlich geprägten Ort entwickelte sich nach und nach eine Industrie- und Wohngemeinde. Am 1. Januar 1972 haben sich Rutesheim und Perouse zu einer Gemeinde zusammengeschlossen. Aufgrund ihrer Infrastruktur und ihrer kommunalpolitischen Bedeutung wurden der Gemeinde Rutesheim mit Wirkung vom 1. Juli 2008 die Stadtrechte verliehen. Die junge Stadt, die unter dem Motto aktiv, innovativ, lebenswert angetreten ist, blickt hoffnungsvoll in die Zukunft.
Die drei sog. Urmarkungen Hof, Miemingen und Bechingen der späteren Ortschaft Rutesheim. (Aus: Heimatbuch Rutesheim, hrsg. Von der Gemeinde Rutesheim 1970, S. 39)
Mit freundlicher Genehmigung des Arbeitskreises GESCHICHTE VOR ORT
Auf den Internet-Seiten der Stadt Rutesheim finden Sie eine pdf-Version des Historischen Stadtführers Rutesheim aus dem Jahre 2010.
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