Sagen und Geschichten aus dem Landkreis Böblingen
Die Kapelle im Grund
Eine Sage aus Rutesheim – erzählt von Harald Schaber
Sagen eröffnen uns den Zugang zu einer Welt der Legenden und Traditionen, die im Lauf der Jahrhunderte gewachsen ist und deren geheimnisvolle Ausstrahlung uns nach wie vor umgibt. Dazu zählt auch die Sage von der Kapelle im Grund.
Am Fuße des Burgfeldes – beim heutigen Friolzheimer Weg - stand früher eine Kapelle. Darin befanden sich kostbare und seltene Schätze, darunter auch ein besonders wertvolles Hostiengefäß. Ein unterirdischer Gang soll einst von dort bis zur Rutesheimer Kirche geführt haben. Etwa um 1440 verrichtete dort der Kapuziner Franz Xaver Hugo als Einsiedler den Dienst in dem kleinen Gotteshaus. Er – von seinem Vater als Kriegsmann bestimmt - war Mönch geworden, weil sein schwächlicher Körperbau für den Soldatenberuf völlig ungeeignet war. Er trug eine rotbraune Kutte, hatte eine gleichfarbige Bischofsmütze auf, einen Strick um seine Lenden und ging barfuß. Viele Betrübte holten bei ihm Trost. Er betete, las die Messe, ging zu den Sterbenden im Ort - damals hieß dieser Ruotemßhein – und hatte um die 45 Hofstätten und spendete ihnen die letzte Ölung.
Im Jahr 1449 brach der Süddeutsche Städtekrieg aus. Plündernde Landsknechte belagerten Weil der Stadt und hörten von den Schätzen in der Kapelle. Sie wollten diese rauben und machten sich auf den Weg nach Rutesheim. Hugo wurde gewarnt und versteckte die Schätze in dem unterirdischen Gang. Mit einer brennenden Kerze zog er sich dahin zurück. Der Lichtschein der Kerze verriet den Kriegern sein Versteck. Einer von ihnen drang mit seiner Hellebarde in den Gang ein und entdeckte den Schatz. Als Hugo mit der Kerze leuchten musste, gelang es ihm, dem Söldner seine Waffe zu entreißen und ihm damit den Kopf abzuschlagen. Dann verbarrikadierte er den Eingang und löschte die Kerze. Die enttäuschten Kriegsknechte steckten aus Wut darüber, dass sie nichts gefunden hatten, die Kapelle in Brand. Der Eingang des Ganges wurde durch die Trümmer des abgebrannten Gotteshauses verschüttet. Da um diese Zeit der Durchgang zur Rutesheimer Kirche schon nicht mehr möglich war, starb der eingeschlossene Mönch Hugo den qualvollen Hungertod. Sein Geist hütete noch viele hundert Jahre danach die Schätze.
Erstmals am 29. Mai 1836 erschien er dem Bauer und Gemeinderat Johannes Bolay und bat diesen, ihn durch Handauflegen zu erlösen. Er habe ihn auserwählt, da er vom gleichen Geschlecht sei. Bolay dokumentierte in der Folge zahlreiche weitere Begegnungen mit dem Geist Hugo, der ihm auch die Stelle der ehemaligen Kapelle und in einer Tiefe von 12 Fuß den alten, verfallenen unterirdischen Gang zeigte. Am 30. Oktober 1836, abends um 6 Uhr, war es dann so weit, dass Johannes Bolay den Geist Hugo durch Handauflegen erlöste. Bolays Onkel Friedrich Wagner und der Metzger Georg Eisenhardt wohnten in 150 Schritte Entfernung als Zeugen dem Geschehen bei. Der Sage nach sind die Schätze noch immer in ihrem Versteck. Einer vom Geschlecht Bolay, also ein Nachfahre von Franz Xaver Hugo und Johannes Bolay, soll sie einmal finden und bekommen.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Der Autor, Harald Schaber, ist 1. Vorsitzender des Arbeitskreises GESCHICHTE VOR ORT in Rutesheim
Joseph Hahn hat die Aufzeichnungen Johannes Bolays unter dem Titel: Franz Xaver Hugo, der Kapuziner. Eine durchaus glaubwürdige und sehr erbauliche Geistergeschichte wiedererzählt und veröffentlicht.
Veröffentlicht wurde die Sage auch im Heimatbuch Rutesheim, Rutesheim 1979, S. 394.