Die Geschichte Deufringens ist eng verbunden mit der Familie der Herren von Gültlingen. Diese gehörten zur Reichsritterschaft und erhielten das Dorf Ende des 14.Jahrhunderts von den Grafen von Württemberg als Lehen. Fast 300 Jahre lang bestimmten sie als Ortsherren die Geschicke des Dorfes und seiner Bewohner. Nicht zu übersehendes Zeugnis dieser Geschichte ist das Schloss. Zusammen mit der Pfarrkirche St. Veit bildet es den Mittelpunkt des Dorfes.
Erbauer des heute noch existierenden Schlosses war Jakob von Gültlingen (gest.1600). Ein Haustein im Erdgeschoß mit der Jahreszahl 1592 markiert wohl den Baubeginn.1 Um den repräsentativen Neubau seiner Familienresidenz in Angriff nehmen zu können, musste er sich hoch verschulden. 1592 bat er seinen Landesherren auch um Erlaubnis, den Flecken Deufringen auf 12 Jahre einem Kreditgeber als Sicherheit verschreiben zu dürfen. In seinem Schreiben beklagte er den baufälligen Zustand des alten Fachwerkgebäudes, das seine Vorfahren dort errichtet hatten und das seinen Ansprüchen an einen standesgemäßen Wohnsitz ganz offenbar nicht mehr entsprach.2 Auch anderenorts, zum Beispiel in Mauren (1617), Mötzingen (ab ca. 1581-83) oder in Poltringen, investierte der Ortsadel damals in neue, moderne Familiensitze.
Das Deufringer Schloss. (Foto: Susanne Kittelberger)
Sein neues Domizil ließ Jakob von Gültlingen direkt gegenüber der Pfarrkirche an den Hang bauen. Von hier aus gesehen präsentiert sich das Schloss als kompakter, dreigeschossiger Block. Die beiden unteren Geschosse wurden massiv gemauert und haben quaderverstärkte Kanten. Darauf aufgesetzt wurde ein Fachwerkgeschoss, das dem Schloss heute sein schmuckes Aussehen verleiht.
Die älteste Ansicht des Schlosses findet sich 1681 im Forstlagerbuch von Andreas Kieser. Auch wenn bei der Darstellung des von Dorf und Kirche deutlich getrennten Schlossbezirks sicher ein wenig „künstlerische Freiheit“ mitgespielt hat, ist das Gebäude mit seinem runden Treppenturm darauf gut zu erkennen.3
Welcher Baumeister mit dem Neubau beauftragt wurde ist nicht bekannt. Vieles spricht jedoch dafür, dass der Leonberger Zimmermeister Mathis Abelin damals am Schloss gearbeitet hat. Dessen Sohn wurde 1596 nachweislich in der Deufringer Kirche getauft. Man war wohl mit seiner Arbeit zufrieden, denn als Paten wurden der Bauherr des Schlosses Jakob von Gültlingen, sowie dessen Frau und Mutter ins Taufbuch eingetragen. Das Kind erhielt den Namen Jakob.4Abelin war seit 1580 städtischer Werkmeister in Leonberg, wo er die Nachfolge seines ursprünglich aus Böblingen stammenden Vaters Jörg Abelin antrat. Offenbar hatte seine Werkstatt einen guten Ruf, denn der herzogliche Baumeister Heinrich Schickhardt beauftragte ihn 1609 auch mit dem Bau eines Ganges vom Leonberger Schloss in die Stadtkirche.5
Ansicht Deufringens von 1681 im Forstlagerbuch von Andreas Kieser. Der runde Treppenturm des Schlosses ist darauf gut zu erkennen. (Bild: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Sig. H 107/3 Bd 10 Bl. 3, Permalink; Link zum Archivalien-Viewer)
Auf alten Fotos kann man erkennen, dass das Fachwerk lange Zeit unter einer Putzschicht verborgen war. Umbauten aus späteren Jahrhunderten und einige unschöne Eingriffe in der Nachkriegszeit hatten das Aussehen des Schlösschens stark in Mitleidenschaft gezogen. Erst im Rahmen der umfassenden Erneuerung Ende der 1970er Jahre wurde das Fachwerk wieder freigelegt und in leuchtendem Ockergelb farbig gefasst. Im Hauptgeschoss im ersten Stock kann man an den rechteckigen Fensterstöcken aus Sandstein auch noch einige bauplastische Schmuckelemente und Steinmetzzeichen ausmachen.
Markantestes bauliches Element der Fassade ist der runde Treppenturm. Er führt über drei Stockwerke bis hinauf in das untere Geschoß des mächtigen Krüppelwalmdachs. Möglicherweise wurde der Turm auch erst in einem zweiten Bauabschnitt an den Gebäudeblock angefügt.6Mit dem an der Hangseite angebauten Aufzugschacht erhielt er mittlerweile ein modernes, gläsernes Pendant.
Über die ehemalige Raumaufteilung im Inneren des Gebäudes sind wir durch eine Besitzbeschreibung aus dem Jahr 1613 gut informiert. Ein Saal, vier Stuben, neun Kammern, eine Küche und zwei Badstuben befanden sich damals im neuerbauten Schloss.7Heute ist der beeindruckendste Raum der große, unter dem ganzen Haus durchlaufende Gewölbekeller, von dem aus eine an die südliche Mauer angelehnte Wendeltreppe direkt in das Hauptgeschoß führt.
Die Fensterumrahmung im Treppenturm des Deufringer Schlosses zeigt das typisch manieristische Roll- und Beschlagwerksdesign der Zeit um 1600. (Foto: S. Kittelberger)
Auch an der künstlerischen Gestaltung der Innenräume wurde beim Neubau vermutlich nicht gespart. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatten die Herren von Gültlingen bereits die Deufringer Pfarrkirche als Familiengrablege in den modernen Formen der Renaissance umgestalten lassen. Als die schönen Wandmalereien dort 1971 freigelegt wurden, vermuteten die Restauratoren ähnliche Malereien auch im Schloss. Tatsächlich wurden sie im Turm bald fündig. Seit der Renovierung des Schlosses erhält man im oberen Bereich der Wendeltreppe nun auch wieder eine Ahnung von der Pracht und Lebendigkeit der einstigen Ausstattung.
Die in Grau- Ocker- und Brauntönen angelegten Fresken zeigen das typisch manieristische Roll- und Beschlagwerksdesign der Zeit um 1600. In Form von Stichen und Gestaltungsvorlagen hatte diese Dekorform, die die Form von Metallbeschlägen nachahmt, im Europa der späten Renaissance flächendeckend Verbreitung gefunden. In Deufringen sind es die Rahmen von Fenstern und Türen im Treppenturm, die auf diese Weise dekoriert wurden. Auch Fruchtbüschel und grotesk geformte Masken wurden in das Ornament eingebunden. Dazu kommen noch medaillonförmige Darstellungen eines Hasen, eines Vogels und eines Mannes mit halblangem Haar und modischem Spitzbart. Ob sich hier der Erbauer, Jakob von Gültlingen, oder sein Nachfolger verewigen ließ? Zweifellos eine reizvolle Vorstellung – allerdings gibt es dafür keinerlei Hinweise.8
Um das weitere Schicksal des Deufringer Schlosserbauers rankt sich allerdings eine rätselhafte und tragische Geschichte (nachzulesen auf zeitreise-bb in dem Aufsatz von Gudrun Emberger „Man richt mich ohne Urtheil und Recht“). Zugetragen hat sie sich nicht in Deufringen, sondern im Remstal. Trotzdem wird sie seither mit dem Familiensitz der Herren von Gültlingen in Verbindung gebracht wird und bildet den Hintergrund für die gerne zum Besten gegebene Legende vom Deufringer Schlossgeist.
In der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober 1600 erstach Jakob von Gültlingen nach einem feuchtfröhlichen Zechgelage in Geradstetten seinen Vetter Konrad von Degenfeld. Vermutlich hielt er die in ein Bettlaken gehüllte Gestalt für ein Gespenst. Für diese Tat wurde er fünf Tage später in Waiblingen hingerichtet.9 Seine Frau, Felicitas geb. Marschalkin von Ebnit, starb nur zwei Jahre später. Das schön gestaltete Grabmal des Ehepaars befindet sich bis heute an der Nordwand der Deufringer Kirche.
Wie weit die Bauarbeiten am Deufringer Schloss damals schon fortgeschritten waren, lässt sich nicht mehr feststellen. Fest steht, dass sein Sohn Jakob Bernhard von Gültlingen das Gebäude später von Heinrich Schickhardt umgestalten ließ. Dieser berichtete später, er habe „1618 vil an disem Schloß gebaut“. Im Bezug zu diesen Arbeiten steht möglicher Weise Schickardts lavierte Federzeichnung eines kunstvollen Ofens aus dem Jahre 1625, von ihm als „Kunstof Teiferingen“ bezeichnet.10
Besondere Energie scheint Jakob Bernhard von Gültlingen auf die Vergrößerung seiner Gartenanlagen verwandt zu haben, insbesondere auf die Anlage eines ummauerten „Lust- und Würzgartens“. Dafür ließ er sogar benachbarte Grundstücke aufkaufen und Gebäude abreißen.11Mit seinem Faible für die Gartenkultur befand sich der Deufringer Schlossherr ganz auf der Höhe seiner Zeit. Man fühlt sich an Leonberg erinnert, wo Schickhardt 1609 für die Witwe Herzog Friedrichs von Württemberg, Sibylla von Anhalt, den berühmten Pomeranzengarten angelegt hat.
Medaillonförmige Darstellungen eines Mannes mit halblangem Haar und modischem Spitzbart im Treppenhaus des Deufringer Schlosses. Ließ sich hier der Erbauer, Jakob von Gültlingen, oder sein Nachfolger verewigen? (Foto: Susanne Kittelberger)
Die Ära der Herren von Gültlingen endete in Deufringen 1699. Damals fiel das Lehen zurück an das Haus Württemberg. Nach einem kurzen Intermezzo im Besitz des Geheimrats Johann Heinrich Freiherr von Schütz (1723-1726) wurde Deufringen dem Amt Böblingen zugeschlagen. Das nun funktionslose Schloss wurde 1746 zum evangelischen Pfarrhaus umgebaut. 1976 endete auch diese Episode. Ein Jahr später kaufte die Gemeinde das Schloss zum Preis von 270.000 DM aus dem Besitz des Landes Baden-Württemberg. Ursprünglich sollte dort das Rathaus der Gemeinde einziehen, denn im Rahmen der Ortskernsanierung war geplant, das alte Rathausgebäude an der Gechinger Straße abzureißen. Da der Denkmalschutz dieses Vorhaben verhinderte, verblieb die Ortsverwaltung am alten Ort und das Schloss wurde schließlich zum Bürgerhaus umgebaut. Als vielseitiger Veranstaltungsort hat sich das 1979 nach umfassender Renovierung eingeweihte Gebäude mittlerweile gut etabliert.
Referenz
| ↑1 | Adolf Schahl, Ehemaliges Schloß der Herren von Gültlingen (jetzt Pfarrhaus) in Deufringen, in: Aus Schönbuch und Gäu, Nr. 6 und 7/1972, S. 23. |
|---|---|
| ↑2 | Siehe hierzu Gudrun Emberger, Aidlingen, Dachtel und Deufringen zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg (1534-1634), in: Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen. Beiträge zur Ortsgeschichte der Gemeinde Aidlingen, 1999, S. 249. |
| ↑3 | Siehe hierzu Roman Janssen, Im Mittelalter und das erste Jahrtausend, in: Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen. Beiträge zur Ortsgeschichte der Gemeinde Aidlingen, 1999, S.84. |
| ↑4 | Adolf Schahl, a.a.O. S. 24. |
| ↑5 | Zu Mathis Abelin siehe Jörg Trugenberger, Die Datierung des Mühlengebäudes der Lahrensmühle, http://www.lahrensmuehle.de/geschichte/44-die-datierung-des-muehlengebaeudes-der-lahrensmuehle.html |
| ↑6 | Diese Vermutung äußerte Adolf Schahl, anhand einiger auffälliger baulicher Details, siehe A. Schahl, a.a.O., S. 23. |
| ↑7 | Emberger, a.a.O., S.249 |
| ↑8 | siehe hierzu: Ute Beitler, Schloß und Kirche in Deufringen. Ein kurzer Überblick zur Bau- und Kunstgeschichte, in: Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen. Beiträge zur Ortsgeschichte der Gemeinde Aidlingen, 1999, S.324-329. |
| ↑9 | Sie hierzu Gundrun Emberger, „Man richt mich ohne Urtheil und Recht“ – der Tod des Schorndorfer Obervogts Jakob von Gültlingen (zu Deufringen), in: Aus Schönbuch und Gäu – Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, hrsg. vom Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu, 4/1992, S.25-26. |
| ↑10 | Siehe hierzu Siegfried Greiner, Heinrich Schickhardt und der „Teiferinger Kunstof“, in: Aus Schönbuch und Gäu – Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, hrsg. vom Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu, 1/1958. |
| ↑11 | Gudrun Emberger, a.a.O., S. 250. |
Lehenweiler – Lehrjahre im Krieg