Ehningen und seine Schlösser
Autorin: Ulrike Weiß
Seit dem Mittelalter gab es in Ehningen zwei Schlösschen, ein drittes erhob sich wenige Kilometer entfernt in Mauren. Alle drei finden im Lauf des 14. Jahrhunderts erste urkundliche Erwähnung, bestanden aber sicher schon länger. Die beiden Ehninger Burgen lagen südlich der Würm, während sich das Dorf nördlich der Würm ausbreitete.
Die Untere Burg gehörte zunächst der Familie der Sölr von Richtenberg, die sich seit dem späten 13.Jahrhundert in Ehningen nachweisen lässt uns seit 1377 die Patronatsrechte über die Ehninger Kirche hatte. In den vierziger Jahren des 15. Jahrhunderts verkaufte sie ihre Ehnunger Güter, und die Untere Burg ging 1452 in den Besitz der Kartause Güterstein über und fiel damit nach der Reformation an das Haus Württemberg. Die Herzöge von Württemberg belehnten zunächst einige ihrer Hofbeamten mit der Burg. 1627/28 ließ Herzog Johann Friedrich das Gebäude von seinem Baumeister Heinrich Schickardt abreißen und ein neues, anspruchsvolleres und komfortableres Schlösschen errichten, das seine Schwester, Prinzessin Anna, bewohnte. 1652 wurde das Schlösschen verkauft und wechselte mehrfach den Besitzer; zwischen 1681 und 1714 gehörte es der Familie Breitschwert, so dass sich das Obere und das Untere Schloss in einer Hand befanden.
Danach war wieder das Haus Württemberg Eigentümer. Das Schloss war fortan nur noch zeitweise bewohnt und geriet in Verfall. Im März 1768 wurde es an sechs Ehninger Bürger verkauft, die die Gebäude bald abbrachen. (…) Nicht an den Gebäuden der Burg waren die Käufer interessiert, sondern an den „hiernach Zugehörden, Recht und Gerechtigkeiten“, nämlich mehrerer steuer- und abgabefreier Wiesen, drei Fischwassern, verschiedenen Wegerechten sowie den „Gerechtigkeiten“ des Schlossherren gegenüber dem „Flecken Ehningen“, d.h. einem Anspruch auf die zweifache Menge an Brennholz und allen Einkünften der „Allmende“ (dem vom Dorf gemeinsam bewirtschafteten Feld-, Wald- und Wiesenbesitz) und auf eine doppelte Stimme bei der Wahl des Schultheißen.1 Von der Unteren Burg zeugen heute nur noch Bezeichnungen wie „Burgwiese“ oder „Burgstraße“. (…)
Ehningen und seine beiden Schlösser im Jahre 1681 auf der Kieser´schen Forstkarte. Erhalten ist nur die Obere Burg (Breitschwertisches Schloss). Die Untere Burg, 1627/28 von Heinrich Schickardt erbaut, wurde Ende des 18. Jahrhunderts abgerissen. (Bild: Landesmedienzentrums BW/Stuttgart)
Im frühen 14. Jahrhundert gehörte die Burg den Herren von Ehningen. Sie hatte die zeittypische Form: ein gut mannstiefer, breiter Wassergraben umgab die Ringmauer, die ein Areal von 37 x 33 Metern einfasste, und, bei einer Stärke von 1,50 Metern, 7 Meter hoch war. In einer Ecke befand sich der Bergfried, ein Wohnturm von 15 x 8 Meter Grundfläche, der die Ringmauer nach außen nicht überragte. Unterhalb der Mauerkrone lief auf der Innenseite ein Wehrgang um die gesamte Anlage.
Die Burg wechselte mehrfach den Besitzer. 1515 erwarb sie Martin Klemm von Ringelstein, Forstmeister in Nagold, der das Anwesen um- und ausbauen ließ. (…) Ein Bild davon wie das Schloss ausgesehen hat, vermittelt das Böblinger Forstbuch des Andreas Kieser von 1681, in dem die beiden Ehninger und das Maurener Schloss abgebildet sind. Demnach trug die Ringmauer im Norden und Westen verputzte bzw. gemauerte Aufbauten; auf den Bergfried in der Nordostecke war nachträglich ein dreistöckiger Fachwerkbau aufgesetzt worden.An der Gestalt des Schlosses änderte sich bis zum Jahr 1754 offenbar wenig; die Besitzer wechselten allerdings zunächst noch einige Male. Seit 1564 gehört das Schloss Franz Kurz, der Geheimer Kammersekretär Herzog Christophs von Württemberg war und dessen Wappenstein von 1567 sich noch heute im Schlosshof befindet. Er legte 1573 eine Beschreibung des Schlosses und vor allem des zugehörigen Besitzes und aller „Gerechtigkeiten“ an, die im Schlossarchiv erhalten ist. Zu den Rechten und Pflichten des Schlossherrn gehörte ein Anspruch auf den vierfachen Anteil des Ertrags (an Holz, Heu, Obst etc.) der Allmende, wie er einem Ehninger Bürger zustand. Auch hatte die Gemeinde Bauholz zu liefern, falls der Schlossherr Umbauten vornahm. Als Franz Kurz 1575 starb hatte er den Grundbesitz des Schlosses mehr als verdoppelt.
1580 verkaufte seine Witwe den gesamten Besitz an Herzog Ludwig von Württemberg, der ihn seinem Kanzler Dr. Johannes Brastberger zu Lehen gab. Seitdem ist das Schloss stets in derselben Familie weitervererbt worden.
„Breitschwertischer Hoff“ bei Ehningen aus dem Forstlagerbuch des Andreas Kieser, ca. 1680-1690. (Bild: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Sig. H 107/3 Bd 10 Bl. 7., Permalink zum Archivalienviewer.)
1639 wurde es von einem Urenkel des Kanzlers Brastberger, Felix Wilhelm Breitschwert, übernommen. Sein Sohn erwarb 1681 auch das Untere Schloss in Ehningen, wo die Familie offenbar wohnte, bis sie das Anwesen 1714 wieder verkaufte.
Im 18. Jahrhundert scheint sich die Familie finanziell verschlechtert zu haben. Schon Ende der zwanziger Jahre befahl der Herzog von Württemberg die Renovierung des baufällig gewordenen Schlosses. (Der Herzog war der Besitzer, die Breitschwerts hatten als Lehensnehmer das erbliche Nutzungsrecht, aber damit auch Pflichten). (…) Doch erst 1754 konnte der damalige Besitzer, Eberhard Felix Wilhelm Breitschwert, dem herzoglichen Befehl nachkommen. Nachdem er acht Jahre als Offizier beim König von Sardinien im Dienst gestanden hatte, war er 1753 offenbar ein kluge Heirat eingegangen.
Am 22. Mai 1762, einen Monat nachdem seine Frau im Kindbett gestorben war, hielt er, um Erbstreitigkeiten vorzubeugen, fest, was sie zum Neubau beigetragen hatte. (…) Da er „an eigenen Mitteln solches zu thun unvermögend ware“ beteiligte sich seine Frau mit mehr als 3000 Gulden baren Geldes aus ihrem Vermögen. Architekt des Neubaus war Heinrich Heidegger aus Altensteig, über den leider nichts Näheres bekannt ist.
Der nächste Schlossherr, Karl Heinrich Felix Breitschwert, verwaltete den Besitz so schlecht, dass er schließlich sogar unter Vormundschaft gestellt wurde. Nach dessen Tod im Jahr 1796 übernahm sein jüngerer Bruder Johann Ludwig Christian (1758-1841) das Erbe. Er war Jurist im Dienste des Hauses Württemberg und wurde 1824 in den Ritterstand erhoben. (…) Der neue Schlossherr entschloss sich offenbar zu einer umfassenden Sanierung. Er renovierte das Wohnhaus, erneuerte Stall und Scheuern, legte mehrere Wiesen trocken und ließ den Wassergraben um das Schloss zuschütten.
Ostflügel des Ehninger Schlosses im Jahre 2003. (Foto: Susanne Schmidt)
Die nächste grundlegende Instandsetzung war erst Anfang dieses Jahrhunderts nötig. Siegfried von La Chevallerie, der 1913 die Erbschaft angetreten hatte, ließ vor seinem Einzug 1919 die Gebäude renovieren und Teile von Stall und Scheuer, sich entlang der östlichen Mauer an das Wohngebäude anschlossen, zu Küchen und Speisezimmer umbauen. Die Bauleitung hatte die Diplom-Ingenieurin Elisabeth von Knobelsdorff aus Berlin-Charlottenburg, eine Verwandte des Bauherrn.21927 brannten die Wirtschaftsgebäude, d.h. der Südost- und Südflügel des Schlosses ab. Stall und Scheuer wurden in Fachwerktechnik wieder errichtet; außerdem erweiterte man den Ostflügel nach Süden. Die Scheuer, die ehemals die Südwestecke einnahm, errichtete man aus Sicherheitsgründen nicht mehr, damit nicht mehr alle Dächer ineinander übergingen. Stattdessen wurde in der Südostecke ein kleines Türmchen aufgesetzt. Als Architekt war diesmal Felix Krüger, Regierungsbaumeister a.D. aus Bonn, beschäftigt.
Die ehemals von einem Wassergraben umgebene mittelalterliche Ringmauer ist, wenn auch vielfach ausgebessert, bis heute erhalten. Sie besteht weitgehend aus kleinteiligem Bruchsteinmauerwerk; im oberen (im Lauf der Zeit ergänzungsbedürftigen) Bereich fanden auch größere behauene Steine Verwendung. Etliche der alten Schießscharten sind erhalten. Die Mauerkanten sind aus kräftigen behauenen Quadern gesetzt. Die Mauer zieht sich über zwei Stockwerke.
Das Ehninger Schloss im Jahre 1928. Siegfried von La Chevallerie hatte das alte Gemäuer vor seinem Einzug renovieren lassen. (Foto aus: Der Erste Weltkrieg – Menschen und Schicksale im Landkreis Böblingen. Hrsg. vom Landkreis Böblingen 2016, S. 99.)
Die dem Dorf zugewandte Nordfront des Schlosses ist seit je her Schau- und Eingangsseite. Früher (…) lief die Straße direkt auf den Schlosseingang zu und endete dort. An der grundsätzlichen Gliederung dieser Schauseite hat sich, trotz der Neubauten, zumindest seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht viel verändert. In der Nordostecke der Ringmauer erhebt sich das Hauptwohngebäude noch heut am Platz, ja sogar auf den Grundmauern des Bergfrieds aus dem 14. Jahrhundert. Schon bei der ersten grundlegenden Schlosserneuerung nach 1515 wurde dort ein dreistöckiger Wohnbau aufgesetzt, und an derselben Stelle wurde 1755 das neue Wohngebäude errichtet. Sein Mansardwalmdach3, das heute die Gesamterscheinung des Schlosses prägt, ist eine typische Bauform der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (während das einfach Walmdach bereits im 16. Jahrhundert bei kleineren Schlossbauten häufig verwendet wurde). (…) Das Breitgelagerte, Behäbige dieser Dachform scheint dem Zeitgeschmack entsprochen zu haben. (…)
Die Mitte der Nordflanke nimmt, heute wie vor 400 und 500 Jahren, das Eingangstor ein, früher durch eine Zugbrücke über den Wassergraben zu erreichen. Im Scheitel des Torbogens befindet sich ein altes Doppel- oder Heiratswappen, vermutlich das des Eberhard Felix Wilhelm von Breitschwert und seiner Frau Heinrike von Schleppegrell, die 1754/55 den Neubau ausführten. Nur die Umrisse der Wappenschilder sind heute noch zu erkennen. Darüber ist das Wappen der jetzigen Besitzer angebracht: im Feld einsteigendes Pferd, darunter der Wahlspruch „Nunquam retrorsum“ (=Niemals zurück), und über dem Wappenfeld ein Krone. Links des Eingangstors befindet sich das Wappen des letzten Freiherren von Breitschwert (gest. 1910), der das Schloss 1891 übernahm. (…)
War auch die finanzielle Situation des Ortsadeligen, wie wir gesehen haben, nicht immer glänzend, seine soziale Stellung im Dorf war immer etwas besonderes. Als einziger Bürger wohnte er nur zeitweise in Ehningen, er stand als Offizier in auswärtigen Diensten oder hatte als Jurist Hofämter in Stuttgart inne. Selbst wenn er hauptberuflich seine Landwirtschaft umtrieb, wird er doch kaum selbst Hand angelegt haben. Für’s „Grobe“ hatte er einen Verwalter, meist vermutlich einen gebürtigen Ehninger. (…) Häufig sind der Burgherr und seine Frau als Paten der Dorfkinder im Kirchbuch verzeichnet, und auf dem Friedhof erhielten sie aufwendige Grabsteine mit langen Inschriften. (…)
Die Nordfront des Schlosses. Früher lief die Straße direkt auf den Schlosseingang zu und endete dort. (Foto: Susanne Kittelberger)
Erstveröffentlichung: Häuser und Inschriften in Ehningen – Zeugen der Ortsgeschichte (Ehningen – Beiträge zur Ortsgeschichte), hrsg. von der Gemeinde Ehningen in Zusammenarbeit mit dem Heimatgeschichtsverein Ehningen e.V., Geiger-Verlag, Horb a. N., 1991, Text u. Gestaltung: Ulrike Weiß, S. 112-121.
Der Text wurde gekürzt.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Gemeinde Ehningen und des Heimatgeschichtsverein Ehningen
Referenz
↑1 | Das Original des Kaufvertrags befindet sich heute noch in Besitz der Nachkommen eines der Käufer. |
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↑2 | Elisabeth von Knobelsdorff (1877-1959) beendete im Jahre 1911 als erste deutsche Frau ihr Studium zur Diplom-Ingenieurin der Architektur. 1921 wurde sie – wiederum als erste Frau in Deutschland – zum Regierungsbaumeister ernannt. Ab 1923 arbeitete sie als freiberufliche Architektin in Berlin-Charlottenburg. Sie entstammte demselben Adelsgeschlecht wie der Offizier und Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699-1753), der als Hauptvertreter des friderizianischen Rokoko gilt. Siehe den Eintrag in Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_von_Knobelsdorff) |
↑3 | Als Walmdach bezeichnet man eine Dachform, bei der die Giebel des Satteldachs durch schräge Dachflächen ersetzt werden. Beim Mansarddach (nach dem franz. Baumeister F. Mansard) ist der untere Teil des Daches steiler abgenickt als der obere. Dadurch lässt sich der untere Teil leichter als Wohnraum nutzen. Das Mansardwalmdach kombiniert beide Formen. |