Uralte Rechte regelten bis ins 19. Jahrhundert die Nutzung des Waldes
Die Schönbuchgerechtigkeiten
Autor: Klaus Philippscheck
Als der Schönbuch 1348 mit allen Dörfern und Gütern der Tübinger Pfalzgrafen an die Grafen von Württemberg gekommen war, gingen diese alsbald daran, ihre Rechte und Einkünfte aus dem neuen Besitz in sogenannten Lagerbüchern festzuhalten. Das älteste stammt aus dem Jahr 1383. Doch nicht nur die Herrschaft hatte im Schönbuch ihre Rechte. Seit „undenklichen Zeiten“ hatten fünf Städte, 43 Dörfer, 14 Weiler, sieben Schlösser und Burgen, 31 Höfe, 39 Mühlen, 24 Keltern und ein Schäfer Rechte zur Nutzung dieses Waldes.
Diese sogenannten „Schönbuchgerechtigkeiten“ besagten, dass die Bürger dieser Gemeinden, die sogenannten „Schönbuchgenossen, das Recht hatten, Holz unterschiedlicher Art aus dem Wald zu holen – das sogenannte „Gerechtigkeitsholz“. Aber auch im Frühjahr durfte das Vieh zur Weide in den Wald getrieben werden und im Herbst dann die Schweine wieder zur Eichelmast. Auch Bausteine, Bausand und Töpferton durften aus dem Wald geholt werden.
Das alles waren zwar ewige, unkündbare Rechte, die teils in hochmittelalterliche oder noch fränkische Zeit zurückreichten, andererseits mussten der Herrschaft als Gegenleistung eine sogenannten „Schönbuchmiete“ entrichtet werden. Diese bestand entweder in einer Geldabgabe, wurde aber auch oft in Form von Naturalien abgeliefert. So musste für Brennholz zum Beispiel ein Feuer-Schilling, Feuer-Haber, Rauch-Haber oder auch Feuer-Hühner abgeliefert werden; für Bauholz fiel eine Bau- und Zimmermiete an. Auch Handwerker wie Wagner, Küfer oder Schreiner und Zimmerleute durften gegen die Entrichtung einer Miete ihr Werkholz im Wald schlagen.
So hatte sich schließlich eine Art „geregelter Waldausplünderung“ herausgebildet, die Anfang des 19. Jahrhunderts dazu geführt hatte, dass der Schönbuch zeitweise kaum mehr als Wald wahrgenommen wurde. Hinzu kam, dass der Schönbuch als beliebtes Jagdrevier der württembergischen Landesherren besonders wildreich gehalten wurde und so durch Wildverbiss ebenfalls stark geschädigt war. Sollte der Schönbuch nicht völlig herunterkommen, musste dieser Entwicklung entgegengesteuert werden.
Mit der Erhebung Württembergs zum Königreich im Jahre 1806 setzte eine umfassende Neuordnung der Verwaltungsstrukturen des Landes ein. Die betraf auch die Forstverwaltung. Zunächst wurde gezielt mit der Aufforstung des Schönbuchs begonnen. Auch der Wildbestand wurde drastisch reduziert, 3000 Hirsche und fast alle Wildschweine wurden abgeschossen. Im November 1819 nahm man nach langen Vorbereitungen, die Ablösung der uralten Waldgerechtigkeiten in Angriff. Tiefgreifende Veränderungen in der Landwirtschaft wie die Umstellung von der Waldweidewirtschaft zur Stallfütterung begünstigten dieses Unternehmen.
Zwischen 1821 – 1823 gelang es schließlich in vielen zähen Verhandlungen, den Schönbuchgenossen einen großen Teil solcher Rechte „abzukaufen“. In den Oberämtern Böblingen und Herrenberg verlief dieser Prozess relativ reibungslos; im Oberamt Tübingen war der Widerstand deutlich größer. 1878 konnte Dettenhausen als letzter Ort ausbezahlt werden. Die betroffenen Gemeinden und Körperschaften wurden dafür mit Staatswald entschädigt, der daraufhin vermessen und neu versteint wurde. Grenzsteine im Schönbuch aus der Zeit um 1820 – wie zum Beispiel die der Meierschaft Altdorf – stehen daher oft im Zusammenhang mit der Ablösung dieser uralten Schönbuchgerechtigkeiten. Den neu erstandenen Gemeindewald konnten die neuen Besitzer nun völlig selbstständig nutzen, die Rechte am übrigen Schönbuch mussten sie dafür aber ein für alle Mal aufgegeben.
Frauen beim Reisig sammeln im Wald. Gemälde des französischen Realisten Jean-Francois Millet, um 1858. Das Motiv war v.a. in der sozial engagierten Kunst des 19. Jahrhunderts sehr beliebt. (Bild: Wikimedia Commons/Public Domain, die Originaldatei finden Sie hier)
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors
Der Autor, Klaus Phlippscheck, war Lehrer in Sindelfingen und gehört zu den Mitbegründern des Zeitreise-BB-Projektes. Seine Interessensschwerpunkte sind die Sindelfinger Stadtgeschichte, insbesondere die Webereigeschichte, sowie die Wiederentdeckung vergessener Sindelfinger Persönlichkeiten. Daneben arbeitete er auch zur Geschichte der Mühlen und der Grenzsteine im Landkreis BB.
Literaturhinweise:
Ingrid Gamer-Wallert/ Sönke Lorenz (Hrsg.): Der Schönbuch. Mensch und Wald in Geschichte und Gegenwart. Tübingen 1999.
Walter Hahn: Heimatbuch Weil im Schönbuch – Breitenstein – Neuweiler, hrsg. Von der Gemeinde Weil im Schönbuch, 1988.