Zur Schulgeschichte von Rohrau
„Tränen sind seine Speise Tag und Nacht“
Autor: Felix Burkhardt
Rohrau, Filiale von Nufringen, hat wohl erst am Ende des 17. Jahrhunderts eine kleine Schule bekommen. Um 1688 trat Matthias Schurer, ein Schneider aus dem Ort, den Schuldienst an. 1692 unterrichtete er 11 Knaben und 13 Mädchen; er galt als ein frommer Mann, der nicht unrecht informiere und christlich lebe. Als er ins Amt trat, war er fast 60 Jahre alt. …
Einen guten Anfang spürte man 1710, als der 29jährige Michael Wichtermann von Hildrizhausen die Schule übernommen hatte. Mit ihm hatte die Schule einen brauchbaren Mann gefunden. Nur war seine Besoldung sehr niedrig; sie betrug etwa 24 Gulden1 im Jahr. Vom Heiligen2 erhielt er 3 Gulden 30 Kreuzer, vom Flecken 4 Gulden, dazu kamen Mesnergebühr und Schulgeld, das sich auf ungefähr 16 Gulden belief. Die Schulkinder zahlten einen Gulden 30 Kreuzer für Holz zum Heizen der Schulstube. Da der Schulmeister mit dieser Besoldung nicht auskommen konnte, sollte sie von der Stiftsverwaltung zu Herrenberg und der Gemeinde Rohrau verbessert werden. Die Zulage von der Stiftsverwaltung und dem Heiligen erhielt er auch, die Gemeinde aber, die 4 Gulden und 30 Kreuzer zuschießen sollte, wollte sich nicht zur Zahlung bequemen. Da der Vogt zu Herrenberg auf der Seite der Gemeinde stand, wollte der Schulmeister, um sich nicht viele Feinde auf den Hals zu laden, freiwillig auf den Betrag verzichten (1731). Der Ort zählte 1731 215 Einwohner, die Winterschule besuchten 36, die Sommerschule 28 Schüler. … Eifrig pflegte er das Memorieren; seine Schulkinder hatten über 100 Lieder ohne die Psalmen auswendig gelernt. …
1783 war Johannes Bock (Bok) Schulmeister. Er trieb das Zeugmacherhandwerk3, angeblich ohne Abbruch der Schule. Bock stammte aus Oberjesingen und war 1753 geboren. Bei seiner Annahme versprach man, dass man ihm auf dem Rathaus eine Wohnung einrichten wolle. Doch müsse die Schulstube auch die Wohnstube sein.
Die Gemeinde war mit ihm wohl zufrieden. Es fehlte ihm weder an Tüchtigkeit noch an Fleiß. Unangefochten ging aber auch er nicht durch sein kärgliches Schulmeisterdasein. Es wurde ihm 1793 nachgesagt, er treibe während der Schulstunden allerhand Nebendinge, die Kinder zeigten keine Fortschritte in der Lehre, er lasse sie nichts Geschriebenes lesen, sei auch saumselig, geht nicht zur rechten Zeit in die Schule und besorge die Uhr nicht zweckmäßig. Der Schulmeister aber wollte diese Klage nicht auf sich sitzen lassen. Er wandte ein, der Privathass des Schultheißen habe sie „exaggeriert“ (übertrieben). … 62 Schüler hatte er zu betreuen. …
Bei der Schulvisitation am 11.5.1797 war Christoph Friedrich Löffler (geb. 1762) von Hagelloch, anderthalb Jahre im Rohrauer Schuldienst. Durch seine Treue und seinen guten Wandel erwarb er die allgemeine Liebe der Gemeinde, konnte sich aber bei seinem dürftigen Einkommen nur mühevoll durchs Leben bringen. Durch unverdrossene Arbeit, besonders durch Abschreiben, versuchte er, sich und seine Familie vor dem Hunger zu retten (1802). Genügsam fand er sich in seine Lage. Mit seiner Familie, zu der drei Söhne und zwei Töchter gehörten, wohnte er in der Schulstube. Das Oberamt wollte mit den Ortsvorstehern beratschlagen, wie diesem Mangel abzuhelfen sei. Der Schulmeister jedoch erklärte im Beisein der Vorsteher, es sei keine eigene Wohnstube nötig. Die Schulkinder – es waren über 50 – hätten alle Platz in der Stube. Seine eigenen Kinder, die noch nicht in die Schule gingen, könnten während der Schulstunden in anderen Häusern untergebracht werden und störten den Unterricht nicht. Da die Gemeinde keinen eigenen Wald besitze, sei es ihr nicht möglich, ihm Holz abzugeben. Wenn er aber Holz zur Wohnstube kaufen müsse, so ginge seine ganze geringe Besoldung darauf.
Die Gemeinde verehrte 1803 dem anspruchslosen Schulmeister einen Scheffel4 Korn. Gern hätte sie ihn noch weiter unterstützt, doch fehlten der armen Gemeinde die Mittel.
Schulmeister Löffler ließ sich durch seine drangvollen Nahrungssorgen nicht unterkriegen; unverdrossen mühte er sich, „die durch schwere Arbeit abgestumpften Schulkinder zum möglichsten Grad der Bildung zu bringen“.
Fleiß, Treue und Dienstfertigkeit zeichneten ihn aus. Ein eigenes Vermögen besaß er nicht. Er „lebte mit seiner zahlreichen Familie in bitterster Armut und seine Tränen sind seine Speise Tag und Nacht“ (1806). Um ihn für seinen Fleiß zu loben und seine Nahrungssorgen etwas zu lindern, wurden ihm einige Prämien zugesprochen. 1820, als er 76 Schüler zu versorgen hatte, fand er das Urteil: „Ist ein recht fleißiger Lehrer von guten Kenntnissen und vieler Bescheidenheit.“
Bis 1931 waren Schulzimmer und Lehrerwohnung im Rathaus untergebracht.
Bis ins 19. Jahrhundert fand der Schulunterricht in vielen Gemeinden in der Wohnstube des Lehrers statt. Kein Wunder, dass unter diesen Umständen auch dem Rohrauer Schulmeister 1793 nachgesagt wurde, er treibe während der Schulstunden „allerhand Nebendinge“. (Abbildung aus J. M. Bruhn: Die frühe Lehrerfortbildung im jungen Königreich Württemberg. Wiss. Arbeit für die Diplomprüfung in Erziehungswissenschaft Studienrichtung Erwachsenenbildung an der PH Ludwigsburg. Die Arbeit wurde im Internet publiziert: http://www.jmbruhn.de/)
Erstveröffentlichung: Beiträge zur Schulgeschichte des Kreises Böblingen von der Reformation bis um 1800, Böblingen 1971, (Veröffentlichung des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e. V. Band 11), S. 162 – 163.
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e. V.
Literaturhinweis zum Thema „Schulgeschichte“
Johann Michael Bruhn
Die frühe Lehrerfortbildung im jungen Königreich Württemberg.
Wissenschaftliche Arbeit für die Diplomprüfung in Erziehungswissenschaft Studienrichtung Erwachsenenbildung an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.
Die Arbeit wurde im Internet publiziert: http://www.jmbruhn.de/
Referenz
↑1 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875. |
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↑2 | Bezeichnung für das Kirchenvermögen und seine Verwaltung |
↑3 | Zeugmacher: hier wohl Verfertiger leichten wollenen oder seidenen „Zeugs“. Zeug hat vielfältige Bedeutung, z.B. „Bettzeug“ (Bettwäsche), „Werkzeug“, „Zeughaus“ (Gebäude, in dem Waffen und sonstiger zur Verteidigung einer Stadt notwendiger Ausrüstungsbedarf wie „Zaumzeug“, „Sattelzeug“ usw. gelagert wurde); erst heute wird der Begriff „Zeug“ häufig in abwertendem Sinn („dummes Zeug“) verwendet. |
↑4 | altes deutsches Hohlmaß; 1 Scheffel = 8 Simri = 177,2 l |