Es war Sommer 1932 und Deutschland in einem inneren Kampf, den man auch Bruderkrieg nennen könnte. In ihm standen sich zwei extreme politische Gegner gegenüber, die sich als unversöhnliche Feinde begriffen hatten: die aufstrebenden Nationalsozialisten, die sich noch in ihrer „Kampfzeit“ befanden, und die Kommunisten. Dass sie in Böblingen aneinander gerieten, war kein Zufall: die Stadt galt nach den Wahlergebnissen während der Weimarer Republik erst als rote, dann als braune Hochburg.
Bei der Gemeinderatswahl 1931 erreichte die NSDAP mit rund 24 Prozent die höchste Stimmenzahl. Bei der Reichstagswahl 1930 erzielte die KPD im Lande 9,5 Prozent, in Böblingen noch 24,1 Prozent.
Über das Geschehen in der Nacht vom 23. auf 24. Juni 1932 gibt es verschiedene Quellen: ein „amtlicher Bericht“ des Stuttgarter Süddeutschen Korrespondenz-Büros, gefärbte Darstellungen des SA-Sturmbannes, des Bezirks-Arbeiter-Kampf-Ausschusses sowie des Landrats, der sich gegen Vorwürfe der NSDAP zur Wehr setzen musste. Daraus müssen wir versuchen, die historische „Wahrheit“ zu filtern. „In der Nacht von Samstag auf Sonntag ereigneten sich in Böblingen schwere Zusammenstöße zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten“, meldete die Presseagentur.
Es hatte zwei Veranstaltungen gegeben, die dabei eine Rolle spielten, einen „Deutscher Abend“ im Flughafenhotel mit SA-Saalschutz aus Stuttgart (Landtagspräsident Mergenthaler habe dort „mit Hetzreden eine Pogromstimmung erzeugt“) und sportliche Wettspiele rund um die Spielplätze und Vereinshäuser des (linken) Freien Turn- und Sportvereins und der Solidarität im Bereich des Oberen Sees. Nach der Darstellung der „Roten“ wurde „die seit Wochen gerüchteweise bekannte Erstürmung (dieser Plätze und Häuser) in der obengenannten Nacht in die Tat umgesetzt“.
Dem Korrespondenten des „Stuttgarter Neuen Tagblatts“ zeigte es sich, „dass die Kommunisten alle Zugangsstraßen nach Böblingen planmäßig besetzt hatten, um heimkehrenden Nationalsozialisten aufzulauern“. Demnach „entspann sich, als die SA abgerückt war, vom Plattenbühl und Bärenhof ausgehend eine große Schlägerei, die sich ganz langsam dem Oberen See entlang immer mehr entwickelte.
Es wurde mit Steinen geworfen und mit Zaunlatten zugeschlagen. Die roten Mordhetzer scheuten sich nicht, auch mit feststehenden Messern gegen die Braunhemden vorzugehen, ja es wurde sogar scharf geschossen. Als gegen 4 Uhr morgens das Überfallkommando aus Stuttgart eintraf, war die ganze Schlägerei zu Ende … Ergebnis: Bei der SA ein schwerverletzter SS-Mann mit Kopfschuss sowie verschiedene leichtverletzte SA- und SS-Männer.“
Bei den „Roten“ liest sich das so: „Als die Mordbestien auf Widerstand stießen, wurde von Seiten der Naziraudi von der Schusswaffe reichlich Gebrauch gemacht. Als „Erfolg“ dieser Aktion liegen vier schwerverletzte Arbeiter im Krankenhaus.“ Mehrere der beteiligten Kommunisten und Stuttgarter SA-Männer wurden später wegen Landfriedensbruchs verurteilt.
„Für die Polizei war dies (Geschehen) durchaus keine leichte Aufgabe; dabei war es nicht so einfach zu wissen, wohin die Sympathie dieser Herren im Blick auf die so volkstümlich bezeichnete Seeschlacht fiel“, schrieb später der Stadthistoriker Schaefer. Auf welcher Seite stand die Polizei am Vorabend des Dritten Reiches bei dieser bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung?
Den Ortspolizisten, der in Verkennung seiner offenkundigen Unterlegenheit meinte, schlichtend eingreifen zu können, haben sie kurzerhand in den Oberen See geworfen.
Der Landrat hatte sich später gegen Vorwürfe des prominentesten Nazis von Stadt und Oberamt, des Studienrats und Gemeinderats Max Luib, zu wehren, er habe die Braunhemden nicht rechtzeitig geschützt, was dieser zurückwies.
Nun wollte es aber der Lauf der Geschichte, dass die Nazis bald an die Macht kamen und dieser Luib einer der einflussreichsten Männer im Oberamt wurde. Es war klar, dass er es dem Landrat bei nächster Gelegenheit „heimzahlen“ würde. Als SA, SS und Stahlhelm am 09. März 1933 im Triumph durch die Stadt zogen, „gedachte unser bewährter Kreisleiter der Größe der Stunde und beglich mit dem Herrn Landrat R. eine kleine Rechnung: „Die wuchtigen Anklagen veranlassten den Herrn Landrat, das Disziplinverfahren gegen sich selbst zu beantragen …“