Erinnerungen an ein altes Brauchtum
D’Sichelhenkets
Autor: Paul E. Schwarz
In einigen Gemeinden, auch unseres Kreises, wird noch die “Sichelhenkets“ gefeiert. Sinn, Bedeutung und Herkunft dieses “Feschtles“ sind aber kaum noch bekannt. Kein Wunder, ist doch dieser festliche Einschnitt im bäuerlichen Arbeitsleben des Jahresablaufs, wie kein anderes Fest, so untrennbar mit der alten landwirtschaftlichen Struktur unserer Landgemeinden verbunden.
Mit dem rasanten Einbruch der Technik in die Landwirtschaft und in die Methoden des Ackerbaues, mit dem Bauernsterben und der damit verbundenen Industrialisierung, besonders des Getreideanbaues, ist auch sehr rasch die Verbindung mit den alten Arbeitsgewohnheiten und Festbräuchen verloren gegangen und in Vergessenheit geraten. So ist es auch in Steinenbronn. Nur wenige Bürger können sich noch daran erinnern, dass sie die Sichelhenkets nach alter Sitte gefeiert haben.
Unser Foto zeigt eine Gruppe von Steinenbronner Bäuerinnen und Bauerntöchtern, die sich für das Fest der „Sichelhenkets“ vorbereitet haben. Die Arbeitsgeräte, besonders Rechen, Antraggabeln und Sensen mit dem “Reff“ zum Getreidemähen, sind mit Blumen geschmückt. Die Frauen haben Blumen angesteckt und ein frisches weißes “Kopftüchle“ aufgebunden, einige tragen sogar schwarze Blusen wie an Feiertagen.
Frau Hauser hat einen Festtagskuchen gebacken und Frau Hacker trägt auf dem Kopf, über dem Bäuschle, den größten Mostkrug, den es in der Familie gab, gefüllt natürlich, mit dem besten Most vom Keller, den man sich extra für die Ernte aufgehoben hatte. Die Mädchen tragen lange, gebundene Ährensträuße, die oben noch mit Blumen, meist Kornblumen, geschmückt waren.Die Freude über die getane Arbeit und die Zufriedenheit über die eingebrachte Ernte strahlt ihnen aus den Gesichtern. (…)
Für die bäuerliche Bevölkerung unserer Gemeinde, einschließlich der Nebenerwerbslandwirte, galt der Ackerbau bis in die ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts hinein als die wichtigste Grundlage ihres Lebensunterhalts. Etwa 60 % des Ackerfeldes wurden für den Getreideanbau genutzt. Dabei entfiel der größte Anteil auf Sommergerste, es folgte der Dinkel. Diese Getreideart war bei uns nur unter dem Namen “Korn“, dem Sammelbegriff für Getreide, bekannt. Das Getreide wiederum kannte man hierzulande nur unter dem Namen “Frucht“.
Betrachtet man den Getreideanbau als das Rückgrat der damaligen Lebensmittelerzeugung, so versteht man auch, wie wichtig die Getreideernte für die Bauern war. Sie wurde deshalb auch als Ernte schlechthin bezeichnet. So notwendig auch die Heuernte für die Viehwirtschaft war, stand sie doch in der Bedeutung des gesamten Feldertrags weit hinter der Getreideernte zurück.
Mit Bangen und Sorgen begleitete die ganze Bevölkerung das Wachsen und Reifen der Frucht auf den Feldern. Man wusste, dass das tägliche Brot für die ganze Familie im nächsten Jahr nur gesichert war, wenn eine ausreichende Getreideernte eingebracht werden konnte. So war die Ernte die wichtigste Arbeit und das größte Erfolgserlebnis im Jahresablauf des Bauern.
War das Wetter während der Erntezeit gut, ging die Arbeit, wenn auch mit viel Schweiß, doch flott voran. Regnete es dagegen in die abgemähten Sammletsen hinein, sodass sie immer wieder am Boden umgedreht und aufs Neue getrocknet werden mussten, konnte es oft Wochen dauern, bis die Garben endlich in die Scheunen eingefahren werden konnten. Waren dann die letzten Garben eingebracht, ging ein großes Aufatmen durch die Reihen der Helfer. (…) Jetzt durften der Bauer, seine Familie und alle Helfer wohlverdient für ein kurzes Ausruhen die Hände in den Schoß legen und den Erfolg ein wenig feiern.
Und so feierte man auch bei uns das Fest der eingebrachten Getreideernte.
Vor dem Aufkommen der Maschinen in der Landwirtschaft musste alles Getreide von Hand mit der Sichel geschnitten und aufgenommen werden. Später mähte man mit der Sense, wobei diese für die Ernte am “Warb“ (Stiel) mit einem Schild aus Leinentuch, dem sogenannten “Reff“ versehen wurde. Damit mähte man so, dass sich die abgeschnittenen Halme aufrecht gegen die noch stehende Frucht anlehnten und dann armvollweise mit der Sichel aufgenommen werden konnten. Die Sichel war lange das wichtigste Werkzeug für die Ernte. War nun die Erntearbeit beendet, wurden die Sicheln fein säuberlich in der Scheune auf die an der Wand angebrachten Holzhaken gehängt. Von diesem Vorgang des Aufhängens, d. h. Aufräumens der Sicheln hat dann die Feier der Beendigung der Ernte den Namen der „Sichelhenkets“ (oft auch Sichelhenke oder Sichelhenketse) erhalten.
Das Aufhängen der Sicheln an ihrem festen Aufbewahrungsort hatte aber für den Bauern neben der Ordnung noch einen Nebeneffekt. Er konnte mit einem Blick feststellen, ob alle ausgegebenen Sicheln von den Helfern wieder an ihren Platz gebracht worden waren und keine einzige fehlte.
Andererseits war die Feier der Sichelhenkets auch der geeignete Anlass, den für die Ernte angedungenen Knechten und Hilfskräften, den freiwilligen Helfern aus der Nachbarschaft, der Verwandtschaft und den Kindern für ihre fleißige Arbeit zu danken. Nur dieser Personenkreis nahm auch an der Feier teil. Es war also kein Fest der Gemeinde oder der Kirche, wie z. B. Kirchweih, sondern ein spezifisches Familien- oder Hoffest, an dem in der Regel nur diejenigen teilnahmen, die bei der Erntearbeit beteiligt waren. Es kam aber auch vor, dass mehrere Familien, die sich gegenseitig zu helfen pflegten, gemeinsam feierten.
Einen kalendermäßig festgelegten Zeitpunkt für das Fest gab es nicht. Es wurde gefeiert, wie es die Umstände ergaben, entweder an dem Tag selbst, an dem die letzte Garbe eingefahren war, oder am darauffolgenden Samstag oder Sonntag. Manchmal wurden übrigens auch die letzten Garbenwagen festlich geschmückt oder mindestens besonders schön und akkurat geladen.
Zur Feier gab es ein besonders reichhaltiges Festessen mit Fleisch und Beilagen. Zu trinken gab es natürlich jede Menge Most, für die Männer auch ein Schnäpsle. (…)
Erstveröffentlichung: Steinenbronn – Neues von Gestern und Heute. Herausgeber: Gemeinde Steinenbronn, Geiger-Verlag, Horb am Neckar, 1997. S. 58-60
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Gemeinde Steinenbronn.
Der Autor, Paul E. Schwarz (1917-2009), Regierungsdirektor a. D. beim Landesgewerbeamt Baden-Württemberg, war gebürtiger Steinenbronner und hat sich als Heimatforscher um seine Gemeinde sehr verdient gemacht. Er veröffentlichte 46 Arbeiten zur Steinenbronner Ortsgeschichte, war langjähriger Gemeinderat und stellvertretender Bürgermeister in Steinenbronn. Er ist auch Ehrenbürger der Gemeinde Steinenbronn.
Der Artikel erschien erstmals im Gemeindenachrichtenblatt Steinenbronn am 17.08.1989.