Siedlungen der Jungsteinzeit bei Maichingen
Zur Vor- und Frühgeschichte des Kreises Böblingen
Autor: Prof. Oscar Paret
Die Besiedlung unseres Landes durch die Bauern der jüngeren Steinzeit beschränkte sich fast ganz auf die. fruchtbaren Lehmflächen. Außerordentlich zahlreich sind die bisher schon in den Lößgebieten, etwa der Heilbronner Gegend und des Langen Feldes, festgestellten Wohnstätten, Gehöfte und Dörfer des 4. und 3. Jahrtausends v. .Chr. Anlässlich der Neubearbeitung der Oberamtsbeschreibung sind auch die urgeschichtlichen Reste des Oberamts Leonberg durch Prof. Dr. Gößler genau erforscht worden. Er wurde dabei unterstützt von Oberlehrer Müller, Zuffenhausen, dessen Spürsinn es gelang, das Bild der steinzeitlichen Besiedelung dieser Gegend durch Feststellung zahlreicher Siedlungen zu ergänzen. Dass diese Wohnplätze an den Lehm und Löß gebunden sind, zeigt sich auch hier. Sie erfüllen die zum Langen Feld gehörigen Gebiete des Bezirks, greifen aber westwärts nur noch auf eine Lößfläche über, die zwischen Rutesheim und Nellingen liegt. Das westwärts anschließende Hecken- und Schlehengäu des Muschelkalks hat noch keine Siedlungen ergeben. Solche treten südwestwärts erst wieder im oberen Gäu der Rottenburger Gegend auf.
Jungsteinzeitliche Messer und Pfeilspitzen aus dem Maichinger Gewann Propstei im Sindelfinger Stadtmuseum
In letzter Zeit ist es dem Landesamt für Denkmalpflege gelungen, eine Steinzeitsiedlung auch in dem wenig ausgedehnten Lößgebiet westlich des breiten Keuperwaldes, der sich vom Schönbuch über Waldenbuch bis zur Bahn Leonberg – Weil der Stadt erstreckt, festzustellen. Es ist die erste im Oberamt Böblingen bekannt gewordene. Sie liegt am Westfuß der Keuperhöhen, 2 km östlich von Maichingen, in der Flur Probstei, die einen flachen, zwischen zwei Tälchen gegen Süd abfallenden Rücken bildet. Hier sind durch den Pflug die mit dunklem, kohlehaltigem Boden erfüllten Hüttengruben angeschnitten worden, so dass sie als schwarze Platten im braunen Acker auffallen. Auf zwei getrennten Parzellen konnten zusammen etwa zwanzig solcher Platten beobachtet werden. Weitere müssen dazwischen und im Umkreis liegen. In den schwarzen Schollen stecken Feuersteinsplitter und Scherben, die nach Ton und ihrer Verzierungsweise durch Linien einer bestimmten Siedlungsschicht der Steinzeit angehören, die man nach ihrer Keramik die Kultur der Spiral-Mäanderkeramik1 nennt. Das Dorf erstreckte sich nordwärts bis nahe an die höchste Stelle (Punkt 458,8) des Rückens. Gerade auf der Höhe war ein einzelner Hüttenplatz zu erkennen, der ganz andere Scherben enthielt, als all die andern. Sie stammen von Gefäßen mit eingestochenen Verzierungen. Es ist eine Keramik, die man nach einem Fundort in Mitteldeutschland die Rössener Keramik heißt2. Sie stammt von einem anderen Volksstamm der Steinzeit, von Menschen, die vermutlich später auf der Anhöhe wohnten, als jene, die die spiralverzierte Keramik zurückgelassen haben. Die Flur Probstei war also zu zwei verschiedenen Zeiten der Steinzeit besiedelt. Jahrtausende nachher, im 2. Jahrhundert n. Chr., hat ein keltisch-römischer Bauer seinen Hof im Südteil der Flur erbaut, wo auf der Terrasse im Winkel der zwei Tälchen, oberhalb des Sträublesbrunnens, noch Baureste liegen. Einige Mauern sind sogar durch einen kleinen Rain angeschnitten.
Als 1959 in der Propstei eine Wohnsiedlung errichtet wurde, stieß man erneut auf Reste der beiden jungsteinzeitlichen Siedlungen. Fritz Heimberger erwähnt u.a. Funde von spiralbandverzierten und „Rössener“ Scherben, Werkzeuge wie Feuersteinklingen, den tönernen Fuß eines Gefäßes, eine Flachhacke aus Hornblendschiefer, ein kleines Schuhleistenkeilchen aus grauem Gestein, eine Handmühle und Pfeilspitzen.
Jungsteinzeitliche Getreidemühle aus dem Gewann Propstei in der Vor- und Frühgeschichtlichen Abteilung des Sindelfinger Stadtmuseums
Quelle: Aus Schönbuch und Gäu. Beilage des Böblinger Boten, 15/1950 (erstmals veröffentlicht im Juni 1930 in der „Monatschrift Württemberg“)
Mit freundlicher Genehmigung des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e. V.
Literaturhinweis:
Fritz Heimberger
Maichingen – Unsere Heimat im Wandel der Jahrhunderte
Sindelfingen, 1981, S. 18
Referenz
↑1 | Spezielle Form der im sog. Altneolithikum (älteste Phase der Jungsteinzeit) auftretenden Bandkeramik. Die Linearbandkeramische Kultur, etwa 5500 bis 4900 v. Chr., wurde benannt nach den bänderartigen Verzierungen ihrer Tongefäße. |
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↑2 | Jungsteinzeitliche Kulturgruppe, etwa 4600 bis 4300 v. Chr.; namensgebend wurde ein Gräberfeld im Ortsteil Rössen von Leuna (Kreis Merseburg) in Sachsen. |