Ein Hauptwerk keltischer Großplastik aus Stein
Die keltische Stele von Steinenbronn
Autor: Paul E. Schwarz
Man schrieb das Jahr 1864, als Waldarbeiter im Greuthau1, beim Stumpengraben (so nannte man das Roden des Stockholzes samt den Wurzeln), mit ihren Reuthauen plötzlich auf harten Stein stießen. Der damalige Leiter des Forstamts Tübingen, Forstrat A. v. Tscherning, zu dem das Revier Waldenbuch gehörte, hatte offenbar sofort erkannt, dass das, was die Steinenbronner Waldarbeiter aus dem Boden geholt hatten, einen ganz besonderen Fund darstellte. Er ordnete die Überbringung des Steins in die erst zwei Jahre zuvor gegründete Königliche Staatssammlung vaterländischer Kunst- und Altertumsdenkmale in Stuttgart an. Bei der Bevölkerung war das Ereignis wohl bald wieder vergessen. Die an dem Fund beteiligten Zeugen erzählten aber noch ihren Kindern und Kindeskindern von dem rätselhaften Stein. In den königlichen Sammlungen lag der Stein bis zum Anfang unseres Jahrhunderts ohne nähere Untersuchung und Bestimmung seiner Herkunft und Bedeutung.
1914 wurde der bis dahin als merkwürdige Steinfigur oder kurioses Bildwerk bezeichnet Bildstein in einen Katalog der Steindenkmäler des früheren Kunstkabinetts aufgenommen. Erst 1920 wurde der Stein von den Archäologen R. Knorr und F. Drexel untersucht und beschrieben.2 Sie bezeichneten das Denkmal als keltische Steinfigur der Latènezeit und nannten sie, weil der Fundort nur ungefähr mit im Schönbuch, in der Nähe Stuttgarts, angegeben werden konnte, zunächst einfach Stuttgarter Bildsäule.
In jüngster Zeit wurde dann vom Landesdenkmalamt Stuttgart der – vorübergehend auch Waldenbuch zugeschriebene – Fundort Greuthau, Markung Steinenbronn endgültig richtiggestellt. und in die wissenschaftliche Literatur eingeführt. Diese Entscheidung wird dadurch noch unterstrichen, dass vor wenigen Jahren im oberen Waldteil des Greuthau auch zwei keltische Grabhügel entdeckt wurden. Es besteht auch Grund zu der Annahme, dass sich in diesem Bereich in keltischer Zeit außerhalb des heutigen Waldes noch weitere Grabhügel befanden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte ein außerordentlich starkes wissenschaftliches Interesse an der keltischen Vorgeschichte ein. Damit rückte auch die Steinenbronner Stele in den Brennpunkt der Betrachtungen. Als Stele bezeichnete man schon im Altertum, besonders in der griechischen Kulturwelt, freistehende, aufrechte Steinsäulen mit Relief oder Inschriften, die als Grabsteine, Kult- oder Weihesteine Verwendung fanden.
Die Zahl der keltischen Steinbildwerke ist nicht groß. Trotzdem finden sie sich im gesamten keltischen Kulturraum, von Irland über England, Frankreich und Deutschland bis in die Tschechoslowakei. In Frankreich sind es die Menhire, die meist noch eine einfachere Gestaltung aufzeigen.
In unserem südwestdeutschen Raum stellte man eine auffallend dichte Ansammlung solcher steinerner Bildwerke fest. Es wird heute angenommen, dass es sich dabei meist um Bildnisse handelte, die den in dem Grabhügel Bestatteten darstellen sollten. Aber auch die Darstellung von Göttergestalten ist denkbar.
Zufällig sind zwei dieser seltenen keltischen Steinplastiken in unserer engeren Heimat gefunden worden. Es handelt sich um die vollständig erhaltene Figur von Holzgerlingen und den unteren Teil der Stele von Steinenbronn.
Ein Abguss der keltischen Stele steht als Brunnenstock auf dem neuen Steinenbronner Dorfplatz
Die aus dem hier häufig vorkommenden Stubensandstein gearbeitete Statue hat am Sockel einen fast quadratischen Grundriss. Dieser, nur roh behauene, ca. 26 cm hohe Sockel war in den Boden eingelassen.
Der fein bearbeitete Bildteil ist etwa 1 m hoch und hat eine sich nach oben leicht verjüngende Rechteckform.
Die flache, durch Schliff fein geglättete Reliefverzierung zeigt auf den vier Seiten jeweils verschiedene, für die keltische Kunst typische Ornamente, die in der Fachsprache als Fischblasenmuster bezeichnet werden. Diese Schmuckform wurde aber nicht nur auf steinernen Bildwerken angebracht, sondern auch auf Waffen und Rüstungen, wie Helm, Schild und Schwertscheide, sowie auf Gebrauchs- und Schmuckgegenständen, wie Spiegel, Gewandfibeln und Broschen. Sogar auf den keltischen Münzen findet man diese charakteristische Form der keltischen Ornamentik.
Ein weiteres, im keltischen Kulturkreis in der frühen Latènezeit häufig auftretendes Schmuckelement ist auf dem Gürtel zu sehen. F. Drexel hat es als Treppen- oder Zinnenmuster bezeichnet. Besonders deutlich ist diese Ornamentik auf der Zeichnung – Ansicht D – von R. Knorr zu erkennen. F. Drexel wertet gerade das Auftreten dieses sog. Hallstattmotivs auf der Steinenbronner Stele als Beweis für eine sehr frühe Entstehung des Bildwerks.
Die vom Gürtel herabhängenden Streifen stellen Gewandfalten oder von einem Panzer herabfallende Riemen dar. Das Fischblasenmuster setzt sich auch oberhalb des Gürtels bis zu den Bruchrändern fort.
Über dem Gürtel ist auf der Vorderseite der linke Arm mit der Hand noch erhalten, lediglich die Mittelglieder der sich um die Kante herumlegenden Hand sind abgesplittert, während die zierlichen Fingerspitzen auf der Schmalseite erhalten sind. Der rechte Arm fehlt, vermutlich war er nach oben, zur Brust, abgewinkelt. Stellt man sich die Ergänzung von Oberkörper und Kopf der Figur etwa nach den wenigen Funden des in Frage kommenden Kulturkreises vor, so kommt man zu dem Ergebnis, dass es sich um die Darstellung einer Gottheit handeln muss.
Prof. Dr. Kurt Bittel kommt nach dem Vergleich der Steinenbronner Stele mit der Statue von Holzgerlingen zu dem Schluss: Das Werk von Steinenbronn steht erheblich über dem von Holzgerlingen und muss aus der Hand eines für seine Zeit bedeutenden keltischen Bildhauers hervorgegangen sein.3 Nach seiner Auffassung muss das Bildwerk im ausgehenden 4. Jahrhundert v. Chr. entstanden sein.
Die Stele von Steinenbronn gehört, neben dem Obelisken von Pfalzfeld, dem Kopf von Heidelberg, dem Kultbild von Holzgerlingen, der Steinfigur von Hirschlanden und der 1996 ausgegrabenen Sandsteinplastik eines Keltenfürsten von Glauberg in der Wetterau, zu den bedeutendsten keltischen Steindenkmälern in Deutschland.
Das Original der Stele befindet sich im Landesmuseum Stuttgart, der erste Abguss erhielt einen würdigen Platz in der neugestalteten Ortsmitte, ein zweiter Abguss steht an dem archäologischen Lehrpfad in der Nähe der Riesenschanze bei Echterdingen.
Die keltische Stele von Steinenbronn, Zeichnung: R. Knorr, Zeitschr. Germania, Jg. 1921
Erstveröffentlichung: Steinenbronner Gemeindenachrichten vom 23. 06. 1988
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Gemeinde Steinenbronn
Der Autor, Paul E. Schwarz (1917-2009), Regierungsdirektor a. D. beim Landesgewerbeamt Baden-Württemberg, war gebürtiger Steinenbronner und hat sich als Heimatforscher um seine Gemeinde sehr verdient gemacht. Er veröffentlichte 46 Arbeiten zur Steinenbronner Ortsgeschichte, war langjähriger Gemeinderat und stellvertretender Bürgermeister in Steinenbronn. Er ist auch Ehrenbürger der Gemeinde Steinenbronn.
Eine Neuveröffentlichung dieses und anderer heimatgeschichtlicher Artikel von Paul E. Schwarz erschien 1997 in dem Sammelband Steinenbronn – Neues von Gestern und Heute, hrsg. von der Gemeinde Steinenbronn, Geiger-Verlag, Horb am Neckar 1997.
Literaturhinweis:
Das Rätsel der Kelten vom Glauberg
Ausstellungskatalog Frankfurt a. M. 2002
Konrad Theiss Verlag GmbH Stuttgart 2002
Sabine Rieckhoff / Jörg Biel
Die Kelten in Deutschland
Konrad Theiss-Verlag GmbH, Stuttgart 2001
Wolfgang Kimmig
Eisenzeitliche Grabstelen in Mitteleuropa. Versuch eines Überblicks.
In: Fundberichte Baden-Württemberg 12, 1987, S. 251-297
Kurt Bittel / Wolfgang Kimmig / Siegwald Schiek
Die Kelten in Baden-Württemberg
Konrad Theiss-Verlag, Stuttgart 1981
Referenz
↑1 | Waldteil der Steinenbronner Markung zwischen der Hasenhofstraße und der Schweißerstraße am Abhang des Reichenbachtals zur Schlößlesmühle. |
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↑2 | R. Knorr: Eine keltische Steinfigur der Latènezeit aus Württemberg und das Kultbild von Holzgerlingen. Germania 5/1921, S. 11-17. |
↑3 | K. Bittel/W. Kimmig/S. Schiek: Die Kelten in Baden-Württemberg, Konrad Theiss-Verlag, Stuttgart 1981, S. 100. |