Holocaust-Überlebender Helmut Ullmann im Interview mit Schülern des Goldberg Gymnasiums
„Vergeben, aber nicht vergessen“
Autoren: Schülerinnen und Schüler des Projektes “Buntstift“ am Goldberg-Gymnasium Sindelfingen
„Du kriegst das von der Welt, was du auch reinsteckst.“ Das klingt nach dem Motto eines erfolgreichen Motivationstrainers, aber nicht nach einem Menschen, der im Krieg alles verloren hat. Gesagt hat es jedoch Helmut Ullmann, der mit uns über sein Leben sprach. Er hat neben seiner Schwester Edith als einziger Jude aus Sindelfingen die Zeit des Naziterrors überlebt und erzählt uns seine Geschichte. Wir, das ist eine Gruppe von elf Schülerinnen und Schülern am Goldberg-Gymnasium Sindelfingen unter der Leitung von Michael Kuckenburg, die im Rahmen des Buntstift“-Projektes über das Schicksal der Familie Ullmann recherchiert.
Helmut Ullman wurde am 7. Juli 1926 als zweites Kind der jüdischen Familie Ullmann geboren. Die sehr religiöse Familie stammte aus Haigerloch, wo sie seit mehr als 300 Jahren ansässig gewesen war. Sie waren die einzigen Juden in der Region und in der Gesellschaft etabliert. Die Familie besaß einen Viehhandel und ihre Kinder gingen ganz normal zur Schule.
Als Hitler an die Macht kam, war Helmut Ullmann sechs Jahre alt. Er ging in die erste Klasse und hatte viele Freunde. Auch das Kind bekam bald zu spüren, dass sich das Leben in Deutschland veränderte: „Es kamen Freunde zu mir und sagten: ‚Helmut, wir dürfen nicht mehr mit dir sprechen‘. Außerdem wurde ich in der Schule von meinen Klassenkameraden oft geschlagen. Die Propaganda hat eben gewirkt. Dem Lehrer Dunz verdanke ich, dass es nicht noch schlimmer war, er hat mich beschützt.“
Helmut Ullmanns Eltern standen vor immer größeren Schwierigkeiten. Auch Bürger aus Sindelfingen, sogar ehemals gute Freunde, machten ihnen das Leben schwer. Zu dieser Zeit wurden die Juden immer mehr eingeschränkt und diskriminiert. Der damalige Bürgermeister Karl Pfitzer, ein NSDAP-Mitglied, erließ grundlos ein Verbot gegen den Viehhandel der Ullmanns, was deren finanziellen Ruin bedeutete.
Da die Ullmanns sich immer mehr in die Enge getrieben sahen, schickten sie voller Verzweiflung Helmut mit zehn Jahren alleine nach England. “In Stuttgart am Gleis 16 habe ich meine Familie zum letzten Mal gesehen.“ Im Alter von zehn Jahren musste er sein Leben selbst in die Hand nehmen.
Helmut Ullmann ringt um Fassung bei der Erinnerung an die Angst vor der Fremde, die Ungewissheit über die Familie und die Trauer um das Verlorene. Leise wischt er sich die Tränen aus den Augen. Auch wir sind bestürzt, als er von diesen schrecklichen Ereignissen berichtet.
In England wurde er von einer freundlichen Familie aufgenommen, die schon einen älteren Sohn hatte, und wie ihr eigenes Kind behandelt. Er durfte jederzeit die Synagoge besuchen und fand schnell viele Freunde. Doch der Schmerz über die Trennung von seiner Familie ließ ihn nie richtig los. Mit 15 meldete er sich freiwillig zum britischen Militär. Eigentlich musste man dafür mindestens 16 Jahre alt sein, aber Helmut setzte alles daran, um sich am Kampf gegen Hitler zu beteiligen.
Die ganze Zeit hoffte er darauf, seine Familie nach dem Krieg wiederzusehen. Doch leider zerschlugen sich alle Hoffnungen. Seine Tante aus Amerika teilte ihm brieflich mit, dass seine ganze Familie ausgelöscht war. Er war neben seiner Schwester in Amerika der einzige Überlebende und beschloss, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren.
Die einzigen Erinnerungsstücke an seine Familie bekam er 1947, als er das erste Mal nach dem Krieg Deutschland besuchte. Eine Freundin der Familie hatte sie heimlich aufbewahrt. Die vielen bitteren Erfahrungen haben diesen Mann nicht zu Boden geworfen, sondern er kämpfte und machte Karriere, er gründete mit einem Iren und einem Engländer einen eigenen kleinen Betrieb in Dover. Nach dem Krieg heiratete er eine Engländerin, mit der er zwei Töchter hatte. Sie starb am 14. Oktober 1997. Heute lebt er mit seiner Freundin aus Schottland zusammen.
Helmut Ullmann hat sich trotz dieser Erlebnisse seinen Stolz und seine Lebensfreude bewahrt. Und das hat uns auch am tiefsten beeindruckt, dass er immer noch das Positive in den Menschen sieht und nicht verbittert ist. So sagte er auch: “Man kann vergeben, aber nicht vergessen.“ Seine Lebensgeschichte kann man in dem Buch “My lost time“ lesen, das er bald veröffentlichen wird.
Erstveröffentlichung: Kreiszeitung / Böblinger Bote vom 1. Dezember 2004
Mit freundlicher Genehmigung der Kreiszeitung / Böblinger Bote.
Links zur jüdischen Geschichte:
Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland. (Heidelberg)