Bauer und Dichter zu Warmbronn
Christian Wagner
Autor: Harald Hepfer
Christian Wagner wurde geboren am 5. August 1835 in Warmbronn, einem damals noch kleinen Dorf mit 670 Einwohnern. Sein Vater war Schreiner und betrieb eine kleine Landwirtschaft. Die Eltern wollten den schmächtigen Knaben zum Lehrer ausbilden lassen. „Es war dazumal eine sehr schlechte Zeit für den kleinen Handwerker und Landwirt“, so dass er nach wenigen Wochen die „Präparantenanstalt“ des Lehrerseminars in Eßlingen wieder verlassen musste, um zu Hause in der Landwirtschaft zu helfen.
In dem kleinen Bauernhaus lebten drei Familien, die jeweils zwei kleine Zimmer bewohnten, dazu eine kleine Küche. Die Wagners besaßen 2-3 Stück Vieh. Auf den Äckern bauten sie Dinkel, Hafer, Weizen, Gerste, Kartoffeln, Flachs, Viehfutter an, auch Hopfen und Weber-Karden. Doch die Arbeit auf dem „Gütlein“ reichte nicht aus, um die Familie mit vier Kindern zu ernähren. Wagner verdingte sich als Taglöhner beim Eisenbahnbau und Wegbau, als Holzfäller und als „Schorer“. Nie verkaufte er seine Kälber an den Metzger. Dagegen kaufte er mit seinem letzten Geld einem Wirt drei Gänse ab, die dieser zum Mästen verkaufen wollte. 35 Jahre begleiteten die Gänse den kleinen Mann, mit schlohweißem Haar und eindrucksvollem Gesicht. Seine Katze erwartete ihn am Waldrand, wenn er zu Fuß aus Stuttgart zurückkam, wo er Bücher entlieh. Auf seinen Äckern ließ er das Unkraut stehen, denn das Rot des Klatschmohns und das Blau der Kornblumen waren ihm unverletzlich.
Christian Wagner (1835-1918) vor seinem Haus in Warmbronn. (Foto: Christian-Wagner-Gesellschaft)
In den wenigen Freistunden, besonders an den Sonntagnachmittagen, wanderte Wagner in den Wäldern der Umgebung umher. Und neben der harten Alltagsarbeit schrieb er Gedichte. In seinem Werk „Sonntagsgänge“ stehen Gedichte von Blumen und Menschen, von Geburt und Tod, von Leben und Wiederkehr des Lebens in immer neuen Verwandlungen und Verkörperungen. Diese Gedichte weisen Christian Wagner als einen großen und besonderen Dichter aus. Hermann Hesse nannte ihn „einen Dichter von der alten, heiligen Art, einen Seher und Gläubigen“. Mit Grund, denn Wagner predigte als erster in deutscher Sprache die Ehrfurcht vor dem Leben. Die „Rechtsanerkennung und, daraus hervorgehend, die Achtung und Schonung alles Lebendigen“, dies hat uns Christian Wagner gelehrt und vorgelebt. Er sagte:
„Ich möchte eine größere Wertschätzung des Lebens einführen, nicht gleich der Menschenschätzung nach Mark oder Gulden, sondern nach seinem eigentlichen unbezahlbaren Lebenswert, wo das Gnadenbrot äßen in deinem Hause bis an ihr Ende die Gespielen deiner Kinder, das Kätzchen und der Hund, sowie die gute Nährmutter derselben, die milchgebende Kuh und die eierlegende Henne. – Wo der Markstein stünde gegen die Härte, den Eigennutz und den Undank der Menschen.“
Das Christian-Wagner-Haus in Warmbronn. Die Familie Wagner zog 1834 in das Fachwerkhaus ein. Christian Wagner wurde hier 1835 geboren und bewohnte mit seiner Frau und 4 Kindern eine Stube, Kammer, Küche und Dachboden. Nach dem Tode des Dichters im Jahre 1918 blieben die Räume als Erinnerungsstätte erhalten. Seit 1972 führt die Christian-Wagner-Gesellschaft das Haus als kulturelle Begegnungsstätte
Der Dichter und Kleinbauer Christian Wagner gehört zu den außergewöhnlichsten Persönlichkeiten, die in unserer Region gelebt und gearbeitet haben. Als Autodidakt schuf er ein von der Wertschätzung allen Lebens durchdrungenes literarisches Werk, das die Menschen damals wie heute inspiriert.
Lesen Sie hier einen Text, in dem der Wagner-Kenner Harald Hepfer 1997 darlegte, welche Phänomene ihn an Christian Wagner besonders faszinieren.
Christian Wagner - Visionär und moralische Instanz. Aus: "Warmbronner Schriften 8", 25 Jahre Christian-Wagner-Gesellschaft, hrsg. von Harald Hepfer, Christian-Wagner-Gesellschaft e.V., Warmbronn 1997
Vier Phänomene sind es, die mich immer wieder an Christian Wagner faszinieren: seine Biografie, sein Verhältnis zur Natur, seine Dichtungen und seine Zukunftsvisionen.
Sein Leben
Durch die Autobiografie Christian Wagners „Aus meinem Leben“, seine Lebensläufe und Briefe, Fotos und Notizen, seinem Hausanteil und durch Zeitzeugen wissen wir sehr viel vom Leben dieses Mannes, seinem Denken und Wirken in Warmbronn und können uns daher ein lebendiges Bild machen von ihm als Person, als Ehemann, Familienvater, Bauern und Taglöhner, als Sonntagsgänger und Dichter. Wir wissen, worüber er sich freute und was ihn ärgerte, dass er im Dorf als Sonderling galt – ein Bauer, der Gedichte schrieb -, im Alter Anerkennung fand, 100 Jahre nach Goethe dreimal nach Italien reisen konnte, sich immer wieder aktiv für die Schwachen und Geächteten unserer Gesellschaft eingesetzt hat – viele Zeitungsartikel zeugen davon – und vor allem den Naturschutz gepredigt hat. Doch nicht nur geredet hat er davon, er hat ihn gelebt, was ihm vielfach nur Spott und Hohn eintrug. Was, ein Bauer, der Schulden hat und dann noch Kälber und Gänse vom Metzger zurückkauft, der Unkraut schön findet, Artikel schreibt gegen Grausamkeiten bei der Viehzucht, ein Bittgesuch an das verehrliche Schultheißenamt und Gemeindekollegium schreibt, damit eine „prächtige Birkengruppe nicht ausgetilgt würde“? …
Allein die Beschäftigung mit der Biografie Christian Wagners ist atemberaubend und aufregend. Warum? Weil immer diese Einheit von predigen und handeln, der Gleichklang von Denken und Leben erfahrbar wird: gelebte Glaubwürdigkeit.
Von der möglichsten Schonung für alles Lebendige
Vor mehr als hundert Jahren erschien Christian Wagners Buch „Neuer Glaube“. Im Vorwort lesen wir:
„So habe ich getan, was ich nicht lassen konnte, und Freiheit gepredigt den Armen und Verachteten und der ganzen Natur. Ich habe das Evangelium gepredigt von der möglichsten Schonung für alles Lebendige, und den Krieg angesagt jeder herzlosen Ichlehre.“
In diesem Werk gebraucht Wagner oft die beiden Worte Rechtsanerkennung und Wertschätzung, die uns gegenwärtig und künftig bedeutsam sind oder werden. Wagner war und ist eine moralische Instanz und ein Visionär, weil er einen bestimmten metaphysischen Rückbezug hatte. Sein geistiger Hintergrund, etwa sein Wissen um die Wiederverkörperung (schon Gedichtüberschriften weisen darauf hin: Wiederverkörperung, Wiederverjüngung, Ewigkeitsleben, Erinnerung hinter der Erinnerung, Aus früheren Leben, Wieder ein Stück Ewigkeitsleben, …) trieben ihn dazu, sich als erster „Schreibender“ im deutschen Sprachraum für die „Rechtsanerkennung und Schonung alles Lebendigen“ einzusetzen, sich vor dem Ersten Weltkrieg gegen den „modernen Dämon Nitroglyzerin“ zu stellen. Die Natur war für Wagner nicht ausschließlich zum Gebrauch und Verbrauch da, sondern hat einen eigenen Rechts- und Wertanspruch. Mit großer Innigkeit, unermüdlich und ernst, mit großer Leidenschaft hat Wagner die sich erbarmende Liebe zu aller Kreatur gepredigt und gelebt.
„0 grässlicher Irrtum der Menschen, zu wähnen, dass die Tierwelt nur um ihretwegen da sei und folglich rücksichtslos verbraucht werden dürfe. – Jedes Wesen ist vor allem nur da, um sich seines Daseins zu freuen.„
Oswalds Vermächtnis
Vor zehn Jahren erschien – zum 150. Geburtstag Christian Wagners – ein literarischer Blumenstrauß, gebunden von mehr als vierzig heute lebenden Literaten aus fünf Ländern. Schon zu Lebzeiten – und die Jahrzehnte danach – war Christian Wagners dichterisches Werk bekannt und gerühmt. Stellvertretend seien genannt: Julius Hart, Bruno Wille, Hermann Hesse, Theodor Heuß, Hedwig Lachmann, Gustav Landauer, Hans Erich Blaich (Dr. Owlgaß), Kurt Tucholsky, Werner Kraft, Georg von der Vring, Karl Kraus, …
Doch was hilft das Rühmen der Berufenen, es gilt was Tucholsky 1919 schrieb:
„Es war ein in sich gekehrter Künstler und wohl wert, dass wir ihn alle läsen und verehrten.“
Dein ist Alles, all und jede Wonne,
Wann sie aufgeht dir als eigne Sonne;
Jeder Tag vom Licht empor getragen,
Wann er aufgeht dir als eignes Tagen.
Dein ist Alles, all der Blumen Glühen,
Wann hervor sie aus dir selber blühen;
All die Rosenknospen auf der Erden,
Wann sie Rosen in dir selber werden.
Vision von der Aufrichtung eines Friedensreiches
„Lasset euch künden: Es soll verschwinden
Die Qual der Erde, dass Friede werde. „
Ein apokalyptischer Kampf endet – so prophezeit Christian Wagner – mit der Niederlage, welche die Gewaltigen und die Dränger erleiden werden. Auch die stumme Natur wird sich darüber freuen, dass danach nicht mehr Qual, Blutvergießen und Krieg sein wird. Bäume – Kirschbäume, Apfelbäume, Birken, Trauerweiden, Buchen, Tannen, das Grün überhaupt, das Sinngrün – erscheinen in Wagners Dichtungen nicht nur als Sinnbilder für das Leben, als Lebensbaum, sondern als „Werkstatt des Vergebens“, des Wohlseins. Im Rückblick auf das Alte Testament, auf die Bedeutung der Eiche von Sichern oder des Hain Mamre für Abraham wird spürbar, dass zu allen Zeiten und Kulturen Bäume für das jetzige und künftige Leben bestimmend waren und sind. Christian Wagner rät daher auch:
„Wird ein Kindlein dir geboren, pflanze
Einen Baum dafür. – In seinem Glanze
Weile gerne. – Wenn er blüht und grünet,
Denke freudig, dass dein Kind entsühnet.“
Baum im Lichtglanz:
Es gibt Sonnen genug …“
Quelle: Warmbronner Schriften 8″, 25 Jahre Christian-Wagner-Gesellschaft, hrsg. von Harald Hepfer, Christian-Wagner-Gesellschaft e.V., Warmbronn 1997
Der Text erschien zum 5. August 1995, dem 160. Geburtstag Christian Wagners als Erstfassung für „Die Brunnen-Schrift“ zur Einweihung des Christian-Wagner-Brunnens in Warmbronn am 9. September 1995.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Christian-Wagner-Gesellschaft e.V., Warmbronn
Museen im Landkreis BB – Christian-Wagner-Haus-Warmbronn
Erstveröffentlichung: Kennzeichen BB - Heimatkunde für den Landkreis Böblingen. Verlag Waldemar Lutz, Lörrach und Ernst-Klett-Verlage, Stuttgart 1987, S. 130.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors, des Verlages Waldemar Lutz in Lörrach und der Ernst Klett Verlage, Stuttgart, sowie der Christian-Wagner-Gesellschaft in Warmbronn.
Christian-Wagner-Gesellschaft e.V., Warmbronn
Museen im Landkreis BB Christian-Wagner-Haus-Warmbronn