Weil im Schönbuch in der Beschreibung des Böblinger Oberamts von 1850
„Sie sind kräftig und erfreuen sich einer guten Gesundheit“
Autor: Karl Eduard Paulus
Weil im Schönbuch, ein 2 ¼ Stunden südöstlich von Böblingen gelegenes, marktberechtigtes Pfarrdorf mit dem Sitz eines Revierförsters, eines Amtsnotars und eines prakticirenden Arztes.
Auf einem flachen, ziemlich schmalen Bergrücken, der zwischen den Thälern der Schaich und des Todtenbachs hinzieht, liegt frei und angenehm der große, regelmäßig gebaute, mit reinlichen gekandelten Straßen versehene Ort, dessen mittlerer Theil eben, der nördliche aber etwas gegen das Todtenbachthal und der südliche gegen das Scheichthal hinab gebaut ist. Die Gebäude sind theilweise ansehnliche Bauernwohnungen, zwischen denen sich hier und da auch im städtischen Style erbaute eingeschlichen haben. Von der Südseite gesehen, gewährt der stattliche Ort mit seiner ansehnlichen Kirche, mit dem Pfarrhause und dem zunächst gelegenen ehemaligen Cameralamts-Gebäude1 eine freundliche Ansicht. So reich die Markung an fließenden Wassern und Quellen ist, so sind doch im Ort selbst nur zwei laufende Brunnen vorhanden, dagegen liefern außer diesen noch mehrere Pumpbrunnen gutes Trinkwasser, die das Bedürfniß hinlänglich befriedigen. (…)
Die massive, aus grobkörnigem Keupersandstein erbaute Pfarrkirche liegt an der südlichen Seite des Orts, oben am Abhange gegen das Schaichthal, sie soll nach einer in einem alten Taufregister vorkommenden Nachricht im Jahre 1558, den 9. April nebst 111 Hofstätten, dem Pfarr- und Rath-Haus durch einen Brand, den Enderle Seiz anlegte, eingeäschert worden seyn, was übrigens mit der über dem nördlichen Kircheneingang angebrachten Jahrszahl 1508 nicht übereinstimmt. … Die Kirche gehört offenbar drei Perioden an, und zwar in die früheste von diesen der viereckige, im früh romanischen (byzantinischen) Style erbaute Thurm. … In die zweite Periode gehört das an die Westseite des Thurms im früh germanischen (gothischen) Style angebaute Chor. … Noch neuer als dieses ist endlich das Schiff. … Das Innere der Kirche ist weiß getüncht, geräumig und hell genug, die Decke des Schiffs flach getäfelt und die des Chors hat ein einfaches Kappengewölbe. (…)
Die Baulast der Kirche hat die Stiftungspflege, deren Deficit die Gemeinde deckt. Der Begräbnißplatz, welcher früher um die Kirche lag, ging 1823 ein und ein neuer, 1 Morgen2 großer, wurde am westlichen Ende des Orts angelegt und mit einer Mauer umgeben. Das alte, aber gut erhaltene Pfarrhaus … liegt frei und angenehm nur 30 Schritte von der Kirche. Es ist bequem eingerichtet und gibt mit dem Oekonomiegebäude und der Mauer das Bild eines gut geschlossenen Pfarrhofes. … An die Westseite der Kirche ist die ansehnliche ehemalige Bebenhausen’sche Pflege angebaut, welche später als Cameralamtsgebäude benützt und nach Aufhebung des Cameralamtssitzes von der Gemeinde im Jahre 1843 angekauft und als Rathhaus eingerichtet wurde. Das 1837/38 schön und geräumig erbaute Schulhaus liegt unfern der Kirche an der Straße. … An der Schule unterrichten: 1 Lehrer, 2 Unterlehrer und 1 Lehrgehülfe. Eine Industrieschule besteht seit 1843 und eine Kleinkinderschule, die sich im ehemaligen Rathhaus befindet, seit 1845. Ein Gemeindebackhaus wurde mit dem Cameralamtsgebäude erkauft.
Die Einwohner deren Zahl 2474 beträgt, von denen sich 2453 zur evangelischen und 21 zur katholischen Confession bekennen, sind trotz ihres Fleißes in ihren Vermögensumständen so zurückgekommen, dass die Mehrzahl unbemittelt ist. Sie sind kräftig und erfreuen sich einer dauerhaften Gesundheit, wozu die Luft, welche vermöge der hohen freien Lage und der Nähe der Schönbuchswaldungen sehr rein und gesund ist, viel beiträgt. Das Klima ist im Allgemeinen mild, und an den südlichen Abhängen wärmer als z. B. in Holzgerlingen und Böblingen. Wein, Welschkorn, Bohnen, Gurken etc. gedeihen an gutgelegenen Stellen, dagegen sind in den Thälern Frühlingsfröste häufig. Die Ernte tritt 8–10 Tage später als im Unterlande und zu gleicher Zeit wie in Böblingen ein. Von schädlichen Gewittern wird die Gegend selten heimgesucht, da der westlich gelegene bewaldete Höhenzug eine Wetterscheide bildet. (…)
Die Hauptnahrungsquellen der Einwohner bestehen in Feldbau, Viehzucht, Holzhandel und etwas Gewerbe. … An einer südlichen Halde gegen das Todtenbachthal liegen etwa 15 – 20 Morgen Weinberge, die in günstigen Jahren einen ziemlich guten Wein liefern. … Die sehr ausgedehnte Obstzucht beschäftigt sich hauptsächlich mit Mostsorten und etwas Tafelobst; von Steinobst werden Zwetschgen und Kirschen gezogen. Das Obst gedeiht, besonders wenn Frühlingsfröste nicht schaden, gerne; es wird viel nach Außen verkauft. Die Obstbäume, namentlich die Birnbäume, erreichen hier eine Größe, wie sie selten irgendwo getroffen werden. Die Gemeinde besitzt etwa 900 Morgen Waldungen, unter diesen sind 275 Morgen begriffen, die sie für eine Schönbuchsberechtigung3 im Jahr 1820 von dem Staate erhielt. … Was die Gewerbe betrifft, so befinden sich auf der Ortsmarkung mehrere Mühlen und eine Ziegelhütte. … Die gewöhnlichen Handwerke sind in größerer Anzahl vorhanden, als das örtliche Bedürfniß nöthig hat, besonders sind die Weber zahlreich vertreten; etwa 50 Meister arbeiten größtentheils für den Ort und einzelne nach Plieningen, Tübingen und Stuttgart. Im Ort bestehen 8 Schildwirthschaften4, worunter 1 mit Brauerei. Von den Nebengewerben wird die Handspinnerei für den eigenen Bedarf und von einzelnen auch für Kunden betrieben, auch nähren sich mehrere Ortsangehörige von Korbflechten und Kräutersammeln. Der Handel mit Holz ist nicht unbedeutend. (…)
Wie in allen ehemaligen bebenhausen’schen Orten erhalten die Armen in Weil im Schönbuch jede Woche Brod, auch sind noch einzelne Stiftungen vorhanden, aus welchen jährlich 60 fl.5 für Brod an Ortsarme verwendet werden dürfen. (…)
Weil im Schönbuch wurde ehemals zur Unterscheidung von gleichnamigen Orten auch als „Wile prope Holzgerringen“ (…) bezeichnet.
Der Ort gehörte den Pfalzgrafen von Tübingen; im Jahr 1188 hatte solchen Pfalzgraf Rudolf mit einem Bruder gemeinschaftlich. Im Begriff, das Kloster Bebenhausen zu stiften, nahm er mit seinem Bruder eine Theilung des hiesigen Besitzes vor, und gab seine Hälfte an dieses Kloster; … Auf diese Art festen Fuß fassend, brachte das Kloster Bebenhausen nach und nach den ganzen Ort an sich. (…)
Das hiesige Adelsgeschlecht, die Vögte und Marschälle von Weil, waren ein Zweig der Herrn von Gerlingen und führten gleich diesen zwei Halbmonde im Wappen. … In der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts verschwindet das Geschlecht. …
In Weil im Schönbuch war bis zum Jahr 1806 eine Kloster Bebenhausen’sche Pflege und bis zum Jahr 1843 ein Cameralamt. (…)
Weil im Schönbuch vom Schaichtal aus gesehen. Bereits die Oberamtsbeschreibung von 1850 befand, dass der „stattliche Ort“ von der Südseite gesehen, eine „freundliche Ansicht“ gewähre. (Foto: Susanne Kittelberger)
Erstveröffentlichung: Beschreibung des Oberamts Böblingen. Herausgegeben von dem königlichen topographischen Bureau. Stuttgart und Tübingen 1850.
Der Text wurde gekürzt.
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das königliche statistisch-topographische Bureau in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden. Als 26. Band erschien 1850 die Beschreibung des Oberamts Böblingen. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden. Hier finden Sie auch eine ungekürzte Version von Weil im Schönbuch.
Referenz
↑1 | Kameralamt: in Württemberg untere staatliche Finanzbehörde, seit 1807 an Stelle der ehemaligen Kellereien und geistlichen Verwaltungen, eine der sog. Spezialkassen. |
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↑2 | 1 württ. Morgen = 31,52 Ar. |
↑3 | Wie alle an den Schönbuch angrenzenden Gemeinden, hatte auch Weil i. S. Nutzungs- und Eigentumsrechte am Wald. Diese sog. „Schönbuchgerechtigkeiten“ wurden im Rahmen der Neuordnung des Königreiches Württemberg im frühen 19. Jahrhundert aufgelöst. Für den Verzicht auf die alten Waldgerechtigkeiten erhielten die Gemeinden vom Staat eine Abfindung. |
↑4 | Schildwirtschaften waren, im Gegensatz zu Straußenwirtschaften, berechtigt, Gäste zu beherbigen und zu bewirten. Straußenwirtschaften waren nur zu gelegentlichem Ausschank, meist im Herbst, berechtigt. |
↑5 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875. |