Der Fliegerangriff auf Mauren in der Nacht vom 7. auf 8. Oktober 1943
„Rauch ist alles irdische Wesen“
Augenzeugenbericht von Else Löwis of Menar
Im folgenden Artikel schildert Else Löwis of Menar (1880 1961) die Bombennacht vom 7. auf 8. Oktober 1943 und die Zerstörung von Schloss Mauren. Die Adelige war damals Führerin der NS-Frauenschaft im Kreis Böblingen. Der Angriff, dessen eigentliches Ziel Stuttgart war, richtete vor allem in Böblingen verheerenden Schaden an, aber auch Altdorf, Hildrizhausen, Holzgerlingen und Nufringen wurden damals bombardiert.
Ich schreibe nicht mehr in meinem geliebten Türmchen – das Türmchen ist nicht mehr, das Schloss ausgebrannt bis auf die Grundmauern. Doch ich will mich nicht in Gefühlen und Betrachtungen ergehen, die man heute so noch kaum in Worte fassen kann, sondern einfach berichten, wie alles gekommen ist.
Am Donnerstag, den 7. Oktober, folgte, auf einen schönen Tag ein nebliger Abend, und man ging eigentlich ziemlich ruhig schlafen. Gegen 1/2 zwölf erwachte ich in meinem Türmchen, und kurz darauf erklang der unerwünschte Ton einer fernen Sirene an mein Ohr, dem alsbald Paul Seuberts Hörnerblasen folgte. Ich zog mich ruhig an und stieg mit meinen beiden Luftschutzköfferchen die 78 Stufen zur Haustüre hinunter. Im Schloss herrschte tiefe Stille und Dunkelheit.
Das Gros der Maiden war am Morgen früh zu einer Schwarzwaldwanderung an den Mummelsee aufgebrochen. Nur 5 nicht marschfähige Maiden waren mit einer stellvertretenden Lagerführerin, dem 19 jährigen Frl. Schneider, im Lager zurückgeblieben. Da aber Frl. Schneider kein Telefon im Zimmer hatte – der Bürgermeister von Ehningen rief bei Alarm immer die Lagerführerin an – schlief sie ruhig weiter. Vor der Haustüre wartete schon unser Luftschutzwart Paul Seubert, während Gretel noch unter meinem Türmchen rief, um mich zu wecken. Wir lauschten dann zu dritt in diese neblige Nacht hinaus, weit und breit war nichts zu hören, und von Adelheid hatte ich Order, sie erst zu wecken, wenn man feindliche Flieger oder Schießen höre. Da plötzlich hörte man von Ferne das unheimliche Brummen schwerer Bomber. Als ich Mimas Zimmer erreichte, hatte sie schon der erste dumpfe Krach aus dem Bett geschreckt. Es folgten ein paar weitere Detonationen, die ich noch für Stuttgarter schwere Flak halten wollte, aber zugleich erhob sich ein Brausen und Prasseln und Klirren ums Schloss, ein unheimliches Rieseln in den Mauern, als ob böse Geister losgelassen wären.
Wir packten die beiden Kinder, Elisabeth und Dodi, nur schleunigst in ihre Wolldecken gewickelt, und rannten mit ihnen in den Luftschutzkeller, wo bereits die Maiden und die beiden Melkersfamilien versammelt waren – alle in großer Angst und Aufregung. Ein paar Maiden fingen sogar zu schreien an, aber ein energisches Ruhe“ von Gretel stellte die äußere Haltung wieder her.
Das über dem Würmtal gelegene Schloss Mauren vor seiner Zerstörung in der Nacht vom 7. auf 8. Oktober 1943. (Foto: © Bildarchiv Alexandra Krohmer)
Ich weiß nicht mehr, wie lang wir da unten waren, es mögen 20 Minuten gewesen sein, als dann eine Erschütterung auf die andere folgte und man nun deutlich das Pfeifen und Zischen fallender Bomben hörte. Dann sah Gretel zuerst Feuerschein hinter dem Ausstiegsloch nach Süden flackern. Als ich auf die Kellertreppe hinaustrat, konnte ich mich keiner Täuschung hingeben, dass das Hofgut brannte. Bald darauf sprang das morsche, große Kellertor durch den Luftdruck auf, und man sah in eine Mauer von Rauch und Flammen. Man fühlte es wie ein unentrinnbares Verhängnis herannahen, jetzt kam es, was man nie im Ernst für möglich gehalten und doch bisweilen dunkel gefürchtet hatte.
Nun kamen Herr Schlenker der Wirt und Frau Hertkorn in den Keller und sagten, wir sollten schleunigst das Schloss verlassen und möglichst weit fort vom Haus. So ganz leuchtete mir der Rat nicht ein, weil der Angriff noch nicht ganz vorüber war und doch sicher noch keine Einsturzgefahr bestand. Wir befolgten ihn aber doch, liefen die Lindenallee hinunter auf die Holzgerlinger Straße. Die Mütter mit den Kindern auf dem Arm gingen an den See, wo nochmals eine Bombe niederging, vor der sie sich glatt auf den Boden warfen.
Gretel und ich kehrten um, vergewisserten uns, dass unser Häuschen noch nicht brannte, gingen dann nochmals durch den Saal ins frühere Tenniszimmer, in dem unsere Koffer standen. Das meiste war schon ins Freie geschafft, und den Rest brachten wir mit Hilfe des umsichtigen und tatkräftigen Herrn Schlenker auch noch hinaus.
Es müssen gleich unzählige auch schwere Brandbomben ins Schlossdach gegangen sein, aus dem schon, als wir aus dem Luftschutzkeller kamen, die Flammen schlugen. Unser schöner langer Schlauch, den wir ausprobiert hatten und der das Wasser bis in den obersten Speicher spritzte, hätte auch nicht in Tätigkeit treten können, weil der Windkessel seit ein paar Tagen nicht funktionierte, und zudem sofort bei Beginn des Angriffs der elektrische Strom aussetzte. Auch hat die Treppe offenbar schon bald zu brennen angefangen und brannte über Erwarten schnell hinunter. Es hat ja auch keinen Sinn, sich hinterher mit Überlegungen zu quälen, was man versäumt hat und vielleicht hätte tun können. Man muss sich eben abfinden mit dem, was man verloren hat, und sich dankbar freuen an dem, was einem erhalten geblieben ist – und das ist ja sehr viel. Vor allem ist nichts Lebendiges, weder Mensch noch Tier, zu schaden gekommen. Wäre die Luftmine, die auf dem hinteren Feld niederging oder eine der schweren Sprengbomben aus der Umgegend mitten ins Gut gefallen, so hätte es noch sehr viel schlimmer werden können. Zumindest hätten wir kein Dach mehr über dem Kopf. So stehen doch unser Häuschen unbeschadet, Zubehör, Remise und Hühnerstall, die Melkershäuschen, die Wirtschaft, die Mühle und endlich das älteste Wahrzeichen, die Kirche, unversehrt.
Nur die alten Butzenscheibenfenster des Kirchenchors hat der Druck der Luftmine auf dem hinteren Feld eingedrückt. Ins große Kirchendach, in die Frucht fiel eine Brandbombe, die aber nur glostete und am anderen Morgen gelöscht wurde. Als wir sahen, dass aus dem Schloss nichts mehr zu retten war, gingen wir daran, möglichst viel an Wäsche, Bettstücken und Silber ins Freie zu bringen, denn man musste immer noch damit rechnen, dass das Feuer aus dem Gutshaus auf unser Dach überspringen würde. Zum Glück hielt der Luftzug aus Nordosten an. In unserem Gärtchen sah es bald aus wie in einem Zigeunerlager. Hierher mussten alle Möbel, Betten und Kleider vom Gutshaus und Waschkörbe mit unseren Sachen gestellt werden. Gretels Stolz, das große Erdbeerbeet, sah am anderen Morgen aus, als wäre eine Elefantenherde darüber getrampelt.
Schloss Mauren mit Notdach im Jahre 1964. (Foto: © Bildarchiv Alexandra Krohmer)
Dass endlich, etwa eine Stunde nach Beginn des Brandes, die Ehninger Feuerwehr anrückte, war nur dem energischen Eingreifen des tapferen Frl. Schneiders zu danken. Die Telefonverbindung war sofort nach Beginn des Angriffs unterbrochen, es musste also jemand mit dem Fahrrad hinunter fahren. Händeringend wie Klärchen in Egmont und ebenso vergeblich lief sie eine Zeitlang herum, um einen Mann mobil zu machen. Dann setzte sie sich – noch während des Angriffs – selbst aufs Rad und fuhr hinunter, fiel einmal unterwegs in den Graben, raffte sich wieder auf und fuhr unter lauten “Feuer, Feuer“ Rufen durch Ehningen, bis sie endlich Leben in die wenig hilfsbereite Feuerwehr brachte, die zuerst erklärte, sie können Ehningen nicht vor der Entwarnung verlassen, weil da doch auch noch etwas passieren könnte. Mit der Feuerwehr kam auch die Hitlerjugend, die sich sehr tapfer einsetzte und aus dem unteren Stock, als es auch da schon gefährlich wurde, alles Geschirr und den großen Vorrat an Eingemachtem ins Freie schleppte. Auch eine Abteilung der Ehninger Frauenschaft kam zur Hilfe und hat sich stundenlang mit Umsicht unter Opferbereitschaft bemüht bis zum frühen Morgen.
Mir sind alle diese Stunden, vom Fallen der ersten Bomben bis zu dem Augenblick, als am anderen Morgen die Ostwand des Schlosses krachend zusammenstürzte und wie ein Bergrutsch die Ostterrasse überflutete, auf der wir so manche fröhliche Kaffeestunde in großem Kreis verbracht hatten, nur dunkel in Erinnerung geblieben. Immer wieder meinte ich, der grauenhafte Traum müsse nun bald ein Ende nehmen.
Von Zeit zu Zeit ging man zum Schloss hinüber und betrachtete den fortschreitenden Brand, der von einem der ach so vertrauten Räume zum anderen übergriff. Am längsten hielt das Saalgewölbe stand, das erst von der einstürzenden Ostwand heruntergerissen wurde. Wieviel herrliche Musik ist in den 55 Jahren, auf die ich mich bewusst zurück besinnen kann, unter dieser Wölbung mit der schönen Akustik erklungen! Wie ist dieser Raum untrennbar mit Sanders Gestalt verwachsen und mit all den geliebten Menschen, die dort gespielt und gesungen und zugehört haben. Mir fiel in jener Nacht die Schlussstrophe aus Schillers Siegesfest ein, das ich in früher Jugend in den Ferien in Mauren einst gelernt und neben dem Flügel im Saal Sander deklamiert habe. Er kränkte mich damals tief mit der sicher wahren Bemerkung, dies Gedicht könnte ich ja noch gar nicht verstehen. Was hieße denn zum Beispiel “Rauch ist alles irdische Wesen ?“
Symbol der Vergänglichkeit. Ruine von Schloss Mauren im Jahre 2003 vor der Überbauung. (Foto: S.Schmidt)
Erstveröffentlichung: Mauren ein geschichtliches Kleinod. In: Maurener Impressionen – Dokumentation 20 Jahre Musik und Kunst in Mauren. Festschrift 10 Jahre Sommerreigen zu Gast in Mauren, herausgegeben von der Musik- und Kunstschule der Stadt Böblingen, 2001
Mit freundlicher Genehmigung der Familie Krohmer