Modernisierung der Landwirtschaft am Beispiel Warmbronn
Zehntablösung im 19. Jahrhundert
Autoren: Annegret Knoll / Werner Ströbele
Das feudale Herrschaftssystem wurde in der Leonberger Gegend und besonders auch im waldumgebenen Warmbronn von den Bauern besonders erdrückend durch die Frondienstverpflichtungen zur herrschaftlichen Jagd im Schönbuch empfunden. Christian Wagner kannte den Frondienst nur noch aus den Erzählungen seiner Großmutter, die ihm erzählte, dass die Gemeinde ihn als „schwer empfunden“ hätte. Nach einem amtlichen Verzeichnis stellten die Warmbronner allein noch in den letzten fünfzehn Jahren, bevor diese Lasten 1839 gegen Geld erlassen wurden, 1107 Mann und 26 Pferde zum Hagen (Einzäunen) und Jagen.
Mit der Ablösung der Zehntpflichtigkeiten – Folge der Revolution von 1848, als letztem Teil der sogenannten Bauernbefreiung -, fanden die Jahrhunderte alten Herrschaftsverhältnisse ihr Ende. Personale Abhängigkeiten wurden aufgehoben und in Geldverhältnisse umgelegt; der Besitz der Bauern wurde nun rechtlich erst zum frei verfügbaren, privaten Eigentum, mit dem sie tun und lassen konnten, was sie wollten.
Für die wohlhabenden Bauern im Dorf stellten die Ablösungszahlungen “der Bauernbefreiung“ keine Probleme dar, für sie war die Schuld leicht zu tilgen. Für die klein- und unterbäuerlichen Schichten im Dorf, die ohnehin kaum ihr Auskommen bestreiten konnten, waren sie eine zusätzliche Belastung; die Ablösungszahlungen fielen an, unabhängig davon ob die Ernte gut oder schlecht war. Und gerade Bargeld war in diesen Familien knapp. “Das was die Äcker trugen„, so berichtet Christian Wagner, der zu den kleinen Bauern, aber nicht zu den ärmsten gehörte, in seiner Biographie “Aus meinem Leben“, “brauchten wir notwendig selbst, und es musste gut gehen, wenn es nur reichte. – Es waren Steuern und Zehnten, und noch einige Ackerzieler zu bezahlen, wir brauchten Kleider und Schuhe, kurz um, bei größter Einschränkung eben täglich Geld … Kurzum! Es war eine fortwährende Geldnot.“
Die Ablösung der Zehnten war eine wichtige Voraussetzung für die Modernisierung der Landwirtschaft; der Boden wurde rechtlich als privates Eigentum verfügbar. Bevor er jedoch auch der faktisch individuellen und gewinnorientierten Nutzung offen stand, bedurfte es noch eines anderen Vorganges, der zu Lebzeiten Christian Wagners vollzogen wurde; der Aufhebung des Flurzwanges, der im System der Drei-Felder-Wirtschaft unabdingbar war.
Das System der Drei-Felder-Wirtschaft war das überall in Süddeutschland vorherrschende Prinzip der Landbebauung, mindestens seit dem frühen Mittelalter, verschiedentlich wird es auch auf die alemannische Landnahme datiert. Im System der Drei-Felder-Wirtschaft war das Ackerland in drei etwa gleiche Teile, die Zelgen unterteilt. In jeder Zelge herrschte Flurzwang, das heißt jeder Besitzer eines Landstücks musste den Boden in gleicher Weise nutzen. In jährlichem Wechsel dienten die Zelgen als Winterfrucht-Feld (mit Dinkel), Sommerfrucht-Feld (mit Haber) und als Brachland. Durch den Fruchtwechsel und das Brachliegen konnte sich der Boden regenerieren, ein Auslaugen verhindert werden. In Warmbronn verteilten sich die Zelgen folgendermaßen:
Das Beispiel einer Fruchtfolge:
Der Boden konnte nicht individuell genutzt werden, die Dorfgemeinschaft regelte die Bebauung genossenschaftlich: Die Fruchtfolge, die Aussaat-, Ernte- und Bestellzeiten. Die Äcker eines einzelnen Landwirts mussten, damit das System überhaupt funktionieren konnte, möglichst auf alle drei Zelgen gleichmäßig verteilt werden. Nur so war überhaupt eine Versorgung in jedem Jahr gewährleistet. Im Laufe der Zeit zerstückelten sich die Anbauflächen in kleine und kleinste Teile. So entstand das für weite Teile des schwäbischen Landes typische Bild der Äckeraufsplitterung: Die Anteile jedes einzelnen Besitzers verstreuten sich auf der gesamten Flur in einer unrationellen Gemengelage. Zudem, das zeigt noch die Flurkarte von 1834, waren kaum Wege vorhanden. Das bedeutete: Um jedes Stück Land zu nutzen, war ein kompliziertes Absprachesystem, das Zufahrt zu jeder Parzelle und die Bestellung regelte, notwendig. Konflikte waren unausbleiblich. Weg- und Überfahrtsverstöße wurden vom Gemeinderat streng bestraft; in den Gemeinderatsprotokollen finden sich seitenweise entsprechende Vergehen. Von der Gemeinde bezahlte Feldschützen, die die Flur kontrollierten, brachten selbst die kleinsten Übertritte vor.
Dieses komplexe und konfliktträchtige Verhältnis der Produzenten wurde erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgegeben. Im Jahr 1900 berichtet der Lehrer Schüle darüber: “In Warmbronn besteht die Drei-Felder-Wirtschaft, jedoch löst sich diese allmählich auf, denn beinahe kann man auf alle Äcker fahren, ohne fremdes Eigentum zu schädigen.“ Mit der Flurbereinigung, die in den Jahren zwischen 1912 und 1918 die Parzellen neu gliederte, erhielt die Gemeinde ein systematisches Wegenetz: Jeder Acker war nun frei zugänglich und damit war die Notwendigkeit der kollektiven Bearbeitung endgültig aufgehoben, die individuelle Verfügung über Grund und Boden vollends ermöglicht. Christian Wagner stellte sich gegen diese Modernisierung des Feldzugangs. Bei der Abstimmung unter den Warmbronner Bürgern über die Einführung der Flurbereinigung war er unter den wenigen, die dagegen votierten.
Die Ablösung der Landwirtschaft aus den überkommenen feudalen Verhältnissen und die Auflösung der Drei-Felder-Wirtschaft mit dem Flurzwang waren die wesentlichen Voraussetzungen für die neueinsetzende Marktorientierung der bäuerlichen Produktion, für die intensive Nutzung der natürlichen Ressourcen, nicht mehr nur für den eigenen Bedarf, sondern für eine optimale Verwertung.
Erstveröffentlichung: Aus meinem Leben, Jahresschrift 1984/1985 der Christian-Wagner-Gesellschaft e.V. Warmbronn.
Der Text wurde gekürzt.
Wir danken der Christian-Wagner-Gesellschaft e.V. und den Autoren.