Der Nufringer Pfarrer M. Johann Jakob Majer (1664 – 1740)
Sittenstrenger Kirchenmann mit Faible für die Alchimie
Autor: Roman Janssen
Die sicher farbigste Persönlichkeit unter den Nufringer Pfarrern der frühen Neuzeit war M. Johann Jakob Majer. Dieser war am 27. März 1664 in Flözlingen bei Balingen als Sohn des nachmaligen herzoglichen Rats und Prälaten zu Murrhardt M. Johann Majer geboren worden. Im Studienabschlußexamen erreichte er nur eine mittelmäßige Note, doch wurde seine Bewerbungspredigt für das Pfarramt Nufringen, gehalten am 10. September 1691, mit Wohlwollen aufgenommen.1 Majer amtierte 46 Jahre und erreichte damit die zweitlängste Amtszeit eines Pfarrers in Nufringen.
Die frühen Visitationsberichte, etwa diejenigen von 1692, 1706 und 1708, beurteilen ihn als fleißig und vermerken negativ nur, dass er eine schwache Stimme habe, doch sei seine Predigt in der kleinen Kirche zu verstehen.2 Im Winter 1709, der ungewöhnlich streng war, zog er sich auf dem Weg vom Filial Rohrau nach Nufringen schwere Erfrierungen zu. In der Folge litt er je länger je mehr unter heftigen Schmerzanfällen, die tage- und wochenlang anhalten konnten. Nachdem ihm daher mehrfach Vikare zugeordnet werden mussten, versah sein Sohn Johann Anton seit den 20er Jahren dauerhaft dieses Amt. Er betätigte sich auch im Schuldienst und einige Jahre als Privatlehrer für die Kinder des Freiherrn Hiller von Gärtringen.3
Es mag mit diesen persönlichen Umständen zu tun haben, dass Majer ein etwas schwieriger Charakter geworden zu sein scheint. Er begann, übrigens keineswegs unbegründet, einen Feldzug gegen die Schwelgerei, wie man damals übergebührliches Fressen und Saufen nannte, und zwar namentlich der Honoratioren, der Gerichts- und Ratsverwandten.
Im Zusammenhang mit der Absetzung des Schultheißen Kienzle entstand Entzweiung im Dorf: hier der sittenstrenge Pfarrer und sein Anhang, dort die Amtsträger mit dem ihrigen, welche, wie der Dekan einmal höheren Orts berichtete, fast alle im zweiten oder dritten Grad verwandt waren. Im gerechten Eifer ließ sich Majer gelegentlich zu Unbeherrschtheiten hinreißen. So verlangte die Kirchenleitung 1717 von ihm eine Ehrenerklärung gegenüber dem Heiligenpfleger Konrad Supper wegen seiner geäußerten “impertinenz und ohnbescheidenheit„.4 Jedenfalls war das Jahrzehnt von 1717 bis 1727 in Nufringen ungemein spannungsgeladen, und die Konfrontation eskalierte in der Absetzung zweier Schulmeister und 1724 sogar in der von drei Kirchenkonventrichtern. Wegen Nufringen gab es selbst Spannungen im Gemeinschaftlichen Oberamt, da der Vogt bis zu einem gewissen Grad zur Toleranz neigte. Die Dekane jedoch, Hartmann bis 1720, Urlsperger bis 1723 und anschließend Gmelin, standen voll hinter ihrem Pfarrer: Alle bescheinigten ihm einen exemplarischen Wandel ohne jede Klage und völlige Berechtigung seines Anliegens und seines Vorgehens. 1727 fügte der Dekan hinzu, dass Majer sich heimlich über die Bosheit seiner Gegner gräme, welche ihn im Gegenzug beim hochfürstlichen Regierungsrat verklagt hatten, und dass er noch immer seine Unschuld beweisen wolle; „indeme er aber solches immer von Zeit zu Zeit aufschiebet, lebet er in beständiger Unruhe des Gemüths„.5
Zeichnung des 1796 abgerissenen Heidenkirchleins zu Kuppingen des Nufringer Pfarrers Majer. Die Figuren interpretierte er als Botschaft alchimistischer Weisheit und Kunst. (Bild: Stadtarchiv Herrenberg, Graphische Sammlung)
Es muss den für die Sittenstrenge eifernden Pfarrer hart getroffen haben, dass von seinen fünf Kindern, die das Erwachsenenalter erreicht hatten, sich nicht nur ein Sohn gerade wegen des Delikts der Schwelgerei verantworten musste, sondern drei sich vorehelich vergingen, eine Tochter, deren Mann sein Nachfolger werden sollte, und zwei Söhne, darunter ausgerechnet M. Johann Anton, sein Vikar, der im März 1734 “propter praematuram“, wie es präzise hieß, im 39. Lebensjahr aus dem Kirchendienst entlassen und erst nach einer vierjährigen Pause begnadigt wurde, ohne natürlich noch größere Karriere als die eines Diakons in Freudenstadt machen zu können.6 So kann man verstehen, dass Dekan Gmelin im Visitationsbericht 1735 berichtete, der Pfarrer sei wegen des Liebesexzesses seines Sohns immer noch in tiefster Betrübnis und hoffe auf baldige Auflösung, das heißt auf den Tod.7
Aufgrund seines hohen Alters und seines schlechten Gesundheitszustands – zuletzt hatte er noch das Unglück, “von einem unsauberen Hunde gebissen zu werden, wodurch er auch viel von seiner Lebenscrafft zusezen mußte“ – durfte Pfarrer Majer im September 1737 in den Ruhestand gehen. Er starb, “vermutlich vom Schlag gerührt,“ am 26. Juli 1740 im Nufringer Pfarrhaus. Dekan Jenisch hielt ihm die Leichenpredigt. …8
In seiner Abdankungsrede verschwieg der Dekan, dass Johann Jakob Majer ein besonderes Steckenpferd besessen hatte: Er war der „Chymie“ (Alchemie) zugetan. Um so mehr hat diese Seite des Pfarrers den Vogt Heß interessiert. In seiner Chronik von Kuppingen hat er eine Schrift Majers überliefert mit dem Titel:9 Ein kurtzes muthmaßliches Bedencken über die Rudera der verfallenen Capellen zu Kuppingen.“
In dieser deutete er die Figuren am sog. Heidenkirchle, nämlich 1. einen Jäger mit einem Horn, 2. ein nacktes Kind, darüber zwei Vögel, die ihm etwas aus dem Leibe zu reißen scheinen, 3. ein Brustbild mit nur einer in die Höhe gereckten Hand, dazu ein kleiner Hund, der einen Hasen fängt, 4. ein größerer Hund, nicht als römerzeitliche Altertümer, wie man es zu seiner Zeit tat, sondern als hieroglyphische Figuren, in welchen sich eine Botschaft alchemistischer Weisheit und Kunst bezüglich des “Steins der Weisen“ verberge. Aus der weitschweifigen Exegese sei nur eine kleine Kostprobe mitgeteilt:
Der erste starke Hund oder Wolf bedeutet einen freßenden und alle Metall verzöhrenden spiritum an, der ein sehr brennendes aus den Metallen und Mineralien praeparirtes Feuer ist, welches wie ein freßender Hund oder Wolf den allerfaißtesten Cörper des Goldes, wann es in Fluß stehet, augenblicklich zu einem Staub, Aschen oder Pulver machet und zermalmet, den, wofern man ihme nicht augenblicklich zu Hülfe kommt, die Seele schnell ausfähret und ein todtes nicht werthes corpus zurück läßet.“
Am Schluss wandte sich der Pfarrer zwar gegen das Goldmachen: „Die beßte Kunst, auf eine ehrliche und erlaubte Arth Geld zu gewinnen, ist beten und nach eines jeden Beruf fleißig arbeithen, andere Mittel darzu zu gelangen, seyn Schelmenwercke, Gott zu wieder, und der unerfahrene Nächste wird durch Betrügerey um das Seinige gebracht.“ Doch er musste wohl wegen seines Amtes so reden, denn Heß überliefert glaubhaft, dass er ein ziemliches Vermögen verlaboriert habe. Immerhin ist Majers Passion die einzige erhaltene Originalzeichnung des Kuppinger Heidenkirchleins zu verdanken.10
Das Nufringer Pfarrhaus wurde 1599 von dem herzoglichen Baumeister Elias Gunzenhäuser erbaut – nicht zur vollen Zufriedenheit von Pfarrer Labor, der bald „etliche Defekte“ beklagte. Es wurde 1998 grundlegend saniert. (Bild: Susanne Schmidt)
Erstveröffentlichung: Nufringen – Eine Gäugemeinde im Wandel der Zeit. WEGRAhistorik-Verlag Eberhard Hartenstein + Partner, Stuttgart 1998, S. 160-163
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Verlagsinhaber.