Aidlingen in der Beschreibung des Böblinger Oberamts von 1850
Aidlingen, ein 2 ¼ Stunden westlich von Böblingen gelegenes Pfarrdorf mit 1636 evangelischen und 55 katholischen Einwohnern. Der ansehnliche, ziemlich regelmäßig gebaute Ort hat eine angenehme Lage in dem freundlichen, wiesenreichen Aidthale; allein da das Thal von Westen gegen Osten zieht und die Thalwände gegen Süden bedeutend höher sind als gegen Norden, so ist die Luft etwas feucht und kalt; dessenungeachtet sind Frühlingsfröste nicht häufig und die Ernte tritt einige Tage früher als in den meisten Nachbarorten ein. Gutes Trinkwasser, das jedoch nur aus Pump- und Zieh-Brunnen gewonnen wird, ist in hinreichender Menge vorhanden, überdieß fließt noch die fleißige Aid, welche sowohl im Ort als außerhalb desselben manches Rad in Bewegung setzt, der Länge nach durch das Dorf. Die im Durchschnitt gut aussehenden Häuser sind einfach aus Holz gebaut und häufig mit steinernem Unterstock versehen.
Eine besondere Zierde ist die am östlichen Ende des Orts gelegene, im frühgermanischen (gothischen) Style erbaute Pfarrkirche mit ihrem hohen massiven Thurme. (…) Im Innern ist die Kirche ziemlich hell, übrigens für die stark zunehmende Gemeinde nicht geräumig genug. (…) Der mit einer Mauer umgebene Begräbnißplatz liegt um die Kirche. Nur etwa 50 Schritte von der Pfarrkirche steht das 1824 neu erbaute Pfarrhaus, dessen Unterhaltung dem Staate obliegt. Das ansehnliche Schulhaus mit Lehrerwohnung, welches 1818 auf Kosten der Gemeinde mit einem Aufwand von etwa 8000 fl.1 neu erbaut wurde, ist nur durch einen unbedeutenden Raum von der Kirche getrennt. An der Schule unterrichten 2 Schullehrer und 1 Unterlehrer. Eine Industrieschule besteht seit 15 Jahren. In geringer Entfernung vom Schulhause steht an der Hauptstraße das alte Rathhaus. Ein Gemeindebackhaus wurde 1840 erbaut. Außerhalb des Orts an der Straße nach Deufringen liegt die Tuchfabrik und mechanische Wollespinnerei von Lucas Felder; im Ort selbst befinden sich noch drei Mahlmühlen. Eine weitere Mahlmühle liegt unterhalb des Orts und die Furthmühle etwa 1/8 Stunde von dieser unweit des Einflusses der Aid in die Würm. (…)
Die nicht sehr bemittelten Einwohner erfreuen sich einer dauerhaften Gesundheit; sie sind im Allgemeinen gesellig, gutmüthig und zeichnen sich durch fleißigen und umsichtigen Betrieb sowohl in Gewerben als auch in der Landwirthschaft aus. Ihre Hauptnahrungsquelle besteht im Feldbau, der übrigens wegen des steinigen Bodens sehr beschwerlich ist. (…) Im System der Dreifelderwirthschaft werden die gewöhnlichen Getreidearten, Dinkel, Hafer, Gerste und Roggen gebaut, welche trotz der mit Muschelkalksteinen überdeckten Felder doch im Ganzen gut gedeihen und reichlichen Ertrag liefern. (…) Hopfen wird immer mehr mit gutem Erfolg gebaut und von den Brauereien im Ort selbst oder in der Umgegend verbraucht. (…) An einem südlichen Abhange, der Weinberg genannt, wurde früher Weinbau getrieben. Für die Obstzucht ist der Boden wegen des felsigen Untergrundes weniger geeignet, demungeachtet befindet sie sich eher im Zu- als im Abnehmen. (…) Was die Gewerbe betrifft, so befinden sich, wie schon oben bemerkt wurde, in und außerhalb des Orts 5 Mühlen, unter denen 3 mit Hanfreiben, ferner eine bedeutende Bierbrauerei von Wagner und eine mechanische Wollenspinnerei. Die Tuchmacherei wird vorzugsweise von Lucas Felder und von der Familie Maurer betrieben. Die übrigen Gewerbe dienen meist nur dem örtlichen Bedürfniß; als Nebengewerbe sind Handspinnerei und Korbflechten zu nennen. Im Ort bestehen 5 Schildwirthschaften, worunter 2 mit Brauerei, 1 Handlung und 3 Krämer. (…)
Aidlingen kommt in Urkunden schon sehr früh vor, allein abgesehen hievon, haben sich hier noch Ueberreste aus der Vorzeit erhalten, die nachweisen, daß diese Gegend schon in den frühesten Zeiten bewohnt war. Eine römische Heerstraße (Hochsträß) von Ostelsheim herkommend, führt durch den Ort und überschreitet hier das Aidthal. (…) Ferner haben sich hier noch Namen erhalten, die an den Aufenthalt der Römer lebhaft erinnern, z. B. ½ Stunde nördlich von Aidlingen ein Hügel, über den die Römerstraße zieht, welcher heute noch der Venusberg genannt wird. (…) Nach der allgemeinen Volkssage soll Aidlingen früher auf den sogenannten Lehmthaläckern gestanden seyn; man findet daselbst noch Bruchstücke von Backsteinen etc. (…) Im Jahre 1848 fand man im Ort selbst, … ein weibliches Gerippe, das eine schön gearbeitete broncene Armspange am Armknochen hatte, welche von dem damaligen Oberamtmann Stetter in Böblingen dem württembergischen Alterthumsvereine übergeben wurde. Bei Erbauung des neuen Schafhauses und schon früher in der Nähe desselben, ist man auf menschliche Gerippe gestoßen, die in bloßer Erde lagen und häufig Perlen von Gagat und andere Gegenstände bei sich hatten. Die Volkssage will hier einen alten Kirchhof wissen. In dem 1/4 Stunde südlich von Aidlingen gelegenen Staatswald „Frohnhalde“, wo nach der Sage ein Mönchskloster gestanden seyn soll, wird ein unbedeutender zwischen zwei Einteichungen liegender Terrainvorsprung „der Mönchgarten“ genannt. (…)
Aidlingen, alt Oetlingen, (…) wird jetzt so wie der Bach Aid, woher der Name kommt, nach der Bauernaussprache geschrieben. Der Ort gehörte zur Pfalzgrafschaft Tübingen; (…) Unter diesem pfalzgräflichen Hause stund im Dienstmannsverhältnisse der hiesige Ortsadel. (…) Früher war allhier das Kloster Reichenau im Besitz von Gütern und Einkünften, deßgleichen vom Kirchensatze2; (…) Bald nach 1351 kam der Kirchensatz nebst einem Frohnhof an die Herren von Bondorf. Von Burkard und Otto von Bondorf erkauften die Grafen Eberhard und Ulrich von Württemberg am 23. April 1365 um 955 Pfd. Heller diesen Kirchensatz. (…) Die Ortshoheit selbst scheint gleichfalls in dem 14. Jahrhundert von den Pfalzgrafen von Tübingen an die Grafen von Württemberg übergegangen zu seyn; im Jahr 1436 verschrieb den Ort Graf Ludwig von Württemberg seiner Gemahlin Mechtild. (…)
Quelle: Beschreibung des Oberamts Böblingen. Herausgegeben von dem königlichen topographischen Bureau. Stuttgart und Tübingen 1850.
Der Text wurde gekürzt.
Eine ungekürzte Version der Beschreibung von Aidlingen finden sie auf dem Internet-Portal Wikisource.
Mit freundlicher Genehmigung des Bissinger-Verlags Magstadt.
Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das königliche statistisch-topographische Bureau in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden. Als 26. Band erschien 1850 die Beschreibung des Oberamts Böblingen. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden.
Referenz
↑1 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875. |
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↑2 | aus dem Eigenkirchenwesen entstandenes Patronatsrecht, das dem Kirchherrn ein Mitspracherecht bei der Besetzung der Pfarrstelle einräumt; meist an ein bestimmtes Landgut gebunden und mit diesem übertragbar. |