Eine Kapelle für den Heiligen Antonius in Gültstein
Abgebrochen und vergessen
Autor: Dr. Roman Janssen
Im Jahre 1467, am 2. Februar, vermittelte der Prior der Karthause Güterstein einen gütlichen Vergleich zwischen Abt Bernhard von Hirsau und Antonius Lyasse, Vorsteher des Antoniterhauses in Freiburg und Generalvikar1 seines Ordens für ganz „Alamania“. Gegenstand war die in Gültstein unterhalb des Ortes zu Ehren des hl. Antonius erbaute, aber noch nicht geweihte Kapelle. Dem Abt als dem örtlichen Kirchherrn wurden die Vogtei und das Patronat, damit auch das Recht, den Kaplan2 zu präsentieren, zuerkannt. Die Einkünfte wie entstehende Kosten für die Kapelle, deren Güter im Einzelnen aufgeführt werden, fielen je zur Hälfte dieser wie den Antonitern zu. Ferner sollten drei Schlüssel angefertigt werden, von denen der erste den Heiligenpflegern3, der zweite dem Pfarrer namens des Abtes, der dritte den Antonitern ausgehändigt werden sollte.Zur Vorgeschichte der Kapelle ist nur so viel bekannt, dass sie bereits einige Jahre zuvor im Hirsauer Lagerbuch nebst einem ihr zugehörigen Hofplatz, dieser gelegen „am Hungertor“, erwähnt wird. Man kann also nur Rückschlüsse aus der Urkunde ziehen, und anzusetzen ist dabei bei den Antonitern.
Die Hospitaliten vom heiligen Antonius, so ihr vollständiger Titel, waren eine im 11. Jahrhundert in St. Didier de la Motte4 gegründete Laienbruderschaft zum Zwecke der Krankenpflege, und zwar ursprünglich insbesondere zur Pflege derjenigen, die an dem Übel des „heiligen Feuers“ erkrankt waren, das auch Antoniusfeuer5 genannt wurde, weil man den Heiligen um Schutz bzw. um Heilung anrief. Papst Bonifaz VIII. gab den Antonitern, welchen auch die Krankenpflege der päpstlichen Hofhaltung oblag, den Status von Chorherren, die nach der Regel des heiligen Augustinus lebten. Ihre Tracht war schwarz mit einem blauen T (Antoniuskreuz) auf dem Rücken. Die Oberleitung besaß der Generalabt von St. Didier de la Motte, den Filialhäusern standen im späten Mittelalter Präzeptoren vor. Kaiser Maximilian verlieh den Antonitern einen Reichsadler mit goldener Krone als Wappen.
Hintergrund der Einigung von 1467 war also, dass kurz zuvor eine weitere kirchliche Institution in Gültstein Fuß gefasst hatte, sei es durch einen aus dem Ort stammenden Antoniter, sei es durch eine Stiftung zugunsten der Krankenpflege. Der Abt von Kloster Hirsau jedenfalls veranlasste es, dafür Sorge zu tragen, in seinen kirchlichen Rechten nicht beeinträchtigt zu werden. Den Antonitern wiederum scheint Erfolg in ihrer Sache beschieden gewesen zu sein. Nicht nur war der Urkunde zufolge die Vermögenslage der Kapelle gesichert; der erwähnte Hofplatz am Hungertor war zudem dem Ortsteil benachbart, der bis in die Gegenwart den Namen Spittel (Spital) trägt. Wenngleich sich aus nachreformatorischer Zeit keine Zeugnisse hierfür mehr finden, kann doch als sicher gelten, dass es zu einer solchen Spitalgründung gekommen ist.
Die Kapelle zum heiligen Antonius selbst lag unterhalb des Ortes, wenn nicht alles trügt, an der Straße nach Altingen. Ihr weiteres Schicksal:
1581 besaß Peter Haidlauff eine „Behaußung unten im Dorff, ligt zu allen ortten an der Allmandt6, ist vor Jaren ein Kappell gewesen unnd ime käufflichen zugestellt„. 1625 war Hans Mayer Inhaber der ehemaligen „Cappellin„. 1661 befand sich das Gebäude im Besitz des Fleckens, welches er vor etlichen Jahren „zu einem Armenhauß an sich erkaufft“ hatte. Gut 100 Jahre später diente es als Schafstall und scheint bald nach dem Ortsbrand von 1784 abgebrochen worden zu sein. Längst war der einstige Titelheilige vergessen. Heute erinnert nichts mehr an die Kapelle des hl. Antonius.
Der heilige Antonius, Schutzherr des Antoniterordens. Darstellung des Heiligen neben der Hl. Katharina auf dem rechten Flügel des „Haslacher Altars“. Der prächtige Altarschrein stand einst in der kleinen Haslacher Filialkirche und befindet sich heute im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart. (Foto: Württembergisches Landesmuseum Stuttgart)
Quelle: Die Peterskirche in Gültstein – 1091 – 1991, hrsg. von der Ev. Kirchengemeinde Gültstein, Herrenberg 1991, S. 33 – 34.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Kirchengemeinde Gültstein
Der Autor, Dr. Roman Janssen, leitete über 25 Jahre das Herrenberger Stadtarchiv und genießt einen ausgezeichneten Ruf als Historiker, Mittelalterspezialist und Autor.
Referenz
↑1 | Persönlicher Stellvertreter des Erzbischofs in allen Verwaltungsaufgaben, Leiter des Erzbischöflichen Ordinariats. |
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↑2 | Dem Gemeindepfarrer untergeordneter und ihn unterstützender Priester |
↑3 | Verwalter des Kirchenvermögens, des sog. „Heiligen“ |
↑4 | St-Didier-de-la-Motte liegt in der Dauphiné; das Stammkloster, St. Antoine, befindet sich zwischen Grenoble und Valence. |
↑5 | Das Antoniusfeuer wurde durch mit Mutterkornpilz vergiftetes Getreide hervorgerufen. Oft kam es zu regelrechten Massenvergiftungen. Der Mutterkornpilz setzt sich während der Getreideblüte an der Ähre fest und entwickelt sich zu einem ca. 4 cm langen blauschwarzen, kornähnlichen Gebilde. Nach Entdeckung dieses Zusammenhangs sank nicht nur die Zahl der Erkrankungen rapide, sondern auch Bedeutung des Antoniter-Ordens. Durch päpstliches Dekret wurden die letzten noch in Deutschland verbliebenen Häuser dem Johanniterorden einverleibt. |
↑6 | Allemde, Allmand: gemeinschaftlich genutztes Weideland |