Vom Grafenhaus zum Filmzentrum
Der Böblinger Gasthof Bären
Autor: Matthias Staber
Jeder Böblinger kennt das Fachwerkgebäude mit dem imposanten Bären. Dass der „Gasthof Bären“ einmal ein waschechtes Wasserschloss war, vom Oberen See umschlossen, wissen die wenigsten.
„Leider lebt kein Mitglied der Familie mehr, das direkt berichten könnte, ich bin ja nur eine angeheiratete Bauer, aber 48 Ehejahre mit einem sehr traditionsbewussten Mann haben mir schon einige Kenntnisse der Geschichte des „Bären“ vermittelt“, so die Mitinhaberin des Gebäudes, Inge Bauer, in ihrem anekdotenreichen Vortrag. Danach ist das Gebäude – 23 verschiedene Besitzer im Laufe der Geschichte hat der ehemalige Stadtarchivar Hans-Jürgen Sostmann recherchiert – als Herrensitz außerhalb der Stadtmauern Böblingens errichtet worden.
Als Besitzer um 1087 wird ein Rudolph von Breitenstein vermutet. Sicher ist: Im 13. und 14. Jahrhundert gehört es den Pfalzgrafen von Tübingen, danach den württembergischen Grafen. Bis ins 16. Jahrhundert ist das Gebäude komplett vom Oberen See umschlossen. Man hat es sich als eine Böblinger „Burg Kalteneck“ vorzustellen, aus dessen Fenster Federwild geschossen wird.
Erstmals als „Beerenwürth“ erwähnt wird 1707 Johan Voltzer. Hans-Jürgen Sostmann geht davon aus, dass damals in einem Graben um das Gebäude der damaligen Mode entsprechend Wölfe und Bären gehalten wurden. Die Geschichte der Familie Bauer als Besitzer des „Bären“ beginnt im Jahr 1900: Der Stuttgarter Bäcker- und Konditormeister August Bauer kauft das Gebäude. Er baut eine Kutscherei und einen Saal für 300 Personen an den „Bären“ an: Die zukünftige Geschichte der Bären-Filmspiele beginnt am Horizont zu dämmern.
Doch zunächst ist der „Bären“ für den Zwiebelrostbraten von Katharina Bauer, geborene Lehle, bekannt. Die resolute Frau wollte von der Idee, einen der ersten Kinematographen für die Wirtschaft anzuschaffen, nichts wissen. Heimlich kauft August Bauer das Teufelsding und kann es 1914 zum Einsatz bringen: Der ersten Fliegerabteilung, der „FE – A10“, des Böblinger Flughafens1 dient der Kinematograph als Truppenunterhaltung, was eine Beschlagnahmung des Saales verhinderte.
Ein typischer Kinoabend damals bestand aus mehreren kurzen Stummfilmen, begleitet vom elektrischen Klavier.
August Bauers Sohn Otto ließ 1928 auf dem Grundstück der Bärenlichtspiele ein neues Gebäude errichten, den Filmpalast. In den dreißiger Jahren trat der Tonfilm auch in den Böblinger Bärenlichtspielen seinen Siegeszug an. Gegen den Widerstand der erstarkenden deutschnationalen Kreise setzten die örtlichen Gewerkschaften, die Arbeiter als Ordner stellten, durch, dass damals der Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ in Böblingen gezeigt wurde.
1943 wurden Bärensaal und Filmpalast bei einem Bombenangriff zerstört, 1947 wieder aufgebaut: Die Söhne August Bauers Heinz und Walter, führten nach dem Krieg das Kino weiter. Unter Schwierigkeiten: Die Beheizung war während der Währungsreform ein Problem, weshalb jeder Gast ein Brikett2 mitbringen musste. Seit 1991 wird der Familienbetrieb Bärenlichtspiele in der vierten Generation betrieben.
Das Gasthaus selbst war seit 1933, dem Tod Katharina Bauers, verpachtet worden. Seit 32 Jahren beherbergt es nun den „Wienerwald“.
Quelle: Sindelfinger Zeitung vom 19. Oktober 2001
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung
Referenz
↑1 | Mit der Stationierung einer „Flieger-Ersatz-Truppe“ wurde Böblingen 1915 Garnisonsstadt. Auf dem Gelände zwischen heutiger Wolfgang-Brumme-Allee, Autobahn A 81 und Eisenbahngelände befand sich der Flugplatz, der bis in die 30er Jahre des 20. Jh. als erster württembergischer Verkehrsflughafen diente. |
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↑2 | Aus Kohlestaub gepresstes, etwa 25 – 30 cm langes, 5 – 6 cm hohes, 6 – 7 cm breites Heizmaterial, das sehr langsam verbrannte und daher für anhaltende Wärme sorgte. |