Aidlingens bedeutendster Sohn
Blasius Scheltrub, Abt von Hirsau
Autor: Roman Janssen
Stammt er wirklich aus Aidlingen, der 38. Nachfolger Wilhelms des Seligen als Abt von Hirsau, der Verfechter benediktinischer Reform und zugleich prachtliebende Bauherr seines Klosters? Unter den Aidlinger Namen, die um 1500 recht zahlreich überliefert sind, fehlt nämlich Scheltrub, und lange galt als sein Herkunftsort Öttingen, wie es der ihm befreundete damalige Abt von Sponheim Johannes Trithemius, der von Blasius berufene Historiograph Hirsaus, mitgeteilt hatte. Ernst Klaus Schreiner entdeckte 1964, dass dem ein Lesefehler zugrunde lag und es Ötelingen heißen muss, womit die von ihm vorgenommene Zuweisung zu Aidlingen schon große Wahrscheinlichkeit gewinnt. Bestätigt wird sie tatsächlich durch zwei 1535 überlieferte Einträge über Zahlungen an die Präsenz in der Aidlinger Pfarrkirche, welche wegen der auf den 18. März 1499 datierten Jahrzeitstiftung des Abtes Blasius zu entrichten waren. Einen anderen Abt Blasius haben wir zu dieser Zeit im weiten Umkreis nicht, und das Jahrgedächtnis gibt nur Sinn, wenn es in der Heimatkirche gestiftet ist. Die Namen seiner Eltern überliefert Trithemius mit Heinrich und Katharina, welche, wie er betont, Freie, keine Leibeigenen, gewesen seien. Der Abt soll von regulärer Statur gewesen sein, länger als kurz, von hagerem Körper und wohlproportionierten Gliedern, Haare und Brauen schwarz.
Blasius selbst wird 1479 erstmals fassbar, und zwar in der Aufgabe eines Großkellers, das heißt Wirtschaftsverwalters des Klosters Hirsau. Er wird dort unter dem Reformabt Wolfram Maiser von Berg (1428 – 1460), welcher sein Kloster 1458 der Bursfeldischen Reform1 zuführte, eingetreten und sicher ein enger Vertrauter des Abtes Bernhard von Gernsbach (1460 – 1482) gewesen sein, des „zweiten Gründers von Hirsau“, so sein Ehrentitel, an dessen Maßnahmen zum Neubau des Klausurbereichs er kraft seines Amtes maßgeblich beteiligt gewesen sein muss. Nach der kurzen Zwischenregierung des Abtes Georg, der 1484 wegen Zwiespältigkeiten im Konvent resignierte, wurde er selbst zum Abt gewählt. In dieser Eigenschaft war er nicht nur bemüht, das von seinen Vorgängern begonnene innere Reformwerk voranzutreiben, sondern hat sich vor allem auch einen Namen als der bei weitem aufwendigste Bauherr unter diesen Reformäbten und zudem, nicht ganz selbstverständlich, als erfolgreicher Vermehrer des klösterlichen Besitzes verschafft. Gerade der von ihm betriebenen Aufwand dürfte es allerdings gewesen sein, der 1499 eine solche Mißstimmung im Konvent erzeugte, dass er für einige Zeit der Opposition weichen musste.
Abt Blasius war ein inniger Förderer des Kults des heiligen Aurelius. 1488 ließ er die Gebeine des heiligen Bischofs in der alten, durch das häufige Hochwasser der Nagold gefährdeten Aureliuskirche erheben und „an einen würdigeren und trockeneren Ort“, nämlich in die Krypta hinter dem Hauptaltar der Peter- und Pauls-Kirche überführen. Zehn Jahre später veranlasste er nochmals die Öffnung des Grabes und die Erhebung der Reliquien, welche nach einem feierlichen Pontifikalamt nebst einer Liste aller Konventualen wieder an ihrem mit einer neuen Grabplatte geschmückten Ort beigesetzt wurden. Auch den, wie es hießt, unverwesten Leichnam des seligen Reformabtes Wilhelm ließ er erheben, und dazu förderte er nach Kräften das Andenken an den Grafen Erlefried, der ihm als der Stifter des ersten Klosters und damit als der eigentliche Gründer von Hirsau galt. Das alles war Ausfluss einer programmatischen Haltung, nicht der eines verflachten Reliquienglaubens, wie er am Ende des Mittelalters so gängig begegnet: Graf Erlefried, St. Aurelius und Abt Wilhelm, sie sollten die vorbildhaft-konkreten Bezugspersonen für eine neue Hirsauer Reform sein. Und es hebt den Abt unter vielen Potentaten heraus, dass er in diesem Sinne historisch dachte und den Auftrag gab, die Hirsauer Vergangenheit der Vergessenheit zu entreißen.
Stifterbild des aus Aidlingen stammenden Hirsauer Abts Blasius Scheltrup aus der Allerheiligenkapelle in Hirsau, um 1487/88. Das Bildnis des vor dem Apostelfürsten Petrus knienden Abts dürfte persönliche Züge zeigen (Bild: Württembergisches Landesmuseum)
Was das Bauwesen angeht, so erteilte Abt Blasius gleich zu Beginn seiner Regierung den Auftrag zur Erbauung der Allerheiligenkapelle an der Nordostseite der Peter- und Pauls-Kirche, welche 1489 geweiht wurde. Ihre eigentliche Zweckbestimmung war die zu seiner Grabkirche, und noch zu Lebzeiten ließ er hier, dann doch ganz Kind seiner Zeit, sein Grabmal errichten. Die Kapelle war mit Buntglasfenstern ausgestattet, von denen noch die Bildnisse der Klosterpatrone Petrus und Paulus – ersteres mit dem Stifterbild des Abts, das durchaus persönliche Züge aufweist und im Achsenfenster angebracht war -, des Hirsauer Patrons Aurelius und der Heiligen Nikolaus und Sebastian erhalten sind. Besondere Berühmtheit genoss der Kreuzgang, von dem drei Seiten und das Brunnenhaus sowie die Buntverglasung nach Motiven einer Bilderbibel auf ihn zurückgingen. Weiterhin ließ er am Winter- und Sommerrefektorium bauen und diese ausstatten, ein Badehaus und Fischteiche anlegen, und noch kurz vor seinem Tod entstand das neue Abtshaus. Auch die Ausschmückung der Kirche mit mehreren Altarretabeln[ref]gemalte oder geschnitze Aufsatztafel[ref/], einem Kruzifix und einem Tabernakel für den Hauptaltar sowie einer Orgel kam nicht zu kurz.
Außerhalb von Hirsau betätigte sich Abt Blasius ebenfalls als Bauherr und ließ etwa im Kastell Stammheim 1491 ein neues Haus und eine Kapelle, in der er 1495 ebenfalls ein Jahrgedächtnis stiftete, und 1499 ein weiteres Haus, in beiden Jahren zudem in Herrenberg einen Fruchtkasten errichten, womit er dort den Hirsauer Klosterhof begründete.
Reich ist die Palette seiner Gütererwerbungen für das Kloster. Die wichtigsten lagen in Waldeck, Kentheim, Weil der Stadt, Schafhausen, Lützenhardt, Ostelsheim, Hessigheim, Gechingen und Deufringen (Zehntanteil), Riederchingen und Effringen; die Dörfer Haugstett und Altbulach kaufte er 1494 für 782 Gulden. 1495 konnte der Abt dem neuen Herzog Eberhard von Württemberg 1.000 Gulden gegen 5 Prozent Zins leihen.
Überreste der Allerheiligenkapelle an der Nordseite der Klosterkirche St. Peter und Paul in Hirsau bei Calw. Der Bau der Kapelle wurde von Abt Blasius Schletrup in Auftrag gegeben; hier wurde er auch zur letzten Ruhe gebettet. (Bild: Frank Vincentz, Lizenz: CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons)
Gibt es außer der Jahrgedächtnisstifung von 1499 in der Aidlinger Pfarrkirche Hinweise dafür, dass Abt Blasius sich eine besondere Beziehung zu seinem Heimatort bewahrt hat? Dafür scheint es tatsächlich wenigstens ein Indiz zu geben, nämlich die Verehrung, welche er den Aidlinger Kirchenheiligen gerade auch bei seinen Stiftungen in Hirsau angedeihen ließ. So erscheint der Pfarrpatron Nikolaus als Altarheiliger und dargestellt auf einem Glasbild in der Allerheiligenkapelle, und für den Nikolausaltar in Hirsau hat er ein neues Retabel in Auftrag gegeben. Das allein würde bei der ungemeinen Popularität dieses Heiligen, gerade auch in Hirsau, freilich nichts besagen, wenn nicht ein noch viel dichterer Bezug an dem von ihm 1500 in Hirsau gestifteten Magdalenenaltar festzustellen wäre. Dieser war gleichsam vorab zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit, Jesu Christi, der Jungfrau Maria und der Heiligen Familie des Erlösers geweiht und sodann dem Apostel Andreas und Maria Magdalena, denen eine recht lange Liste von Konpatronen folgt. Maria, Andreas, Maria Magdalena – das ist genau die Patronfolge des jüngeren Aidlinger Nebenaltars, soweit denn überliefert. Wenn man berücksichtigt, dass eine hierarchische Erweiterung der Eingangssequenz am Ende des Mittelalters wohl sehr viel häufiger war, als konkret überliefert ist, so hätten wir es hier schon mit einem merkwürdigen Zusammenfall der Zufälle zu tun. So liegt es eher nahe, auch die Heiligen der Frühmesse in Aidlingen auf einem seiner beiden Hirsauer Altarstiftungen zu suchen, aber bei der Fülle der hier insgesamt vertretenen Patronate könnte hier wirklich nur reine Spekulation walten.
Abt Blasius starb am 22. Juli 1503 und wurde in der Allerheiligenkapelle beigesetzt. Er war „ein in Civil- und Kirchen-Sachen wohl erfahrener, kluger, geschickter und tapfferer, und dabey frommer und ehrlicher Mann, welcher dieses Closter mit vielen Gebäuen gezieret, und demselbigen 18. Jahr., 9. Monath und 12. Tag vorgestanden„, so lautet der Nachruf in der Klosterchronik. Sein Freund Trithemius glaubte berichten zu können, es habe seit über 300 Jahren kein anderer Abt so viel für das Kloster bewirkt wie Blasius Scheltrup, der die Abtei Hirsau an Einkünften aus neuen Besitzungen um schätzungsweise mehr als 10.000 Gulden reicher zurückgelassen und gleichwohl 24.000 Gulden für den Ausbau und die Ausstattung des Klosters und die Neuwerbungen aufgewandt habe.
Kloster Hirsau um 1830, Litho v. C. Obach. ( © Landesmedienzentrum Baden-Württemberg / Robert Bothner. Signatur: LMZ992275)
Quelle: Aidlingen, Lehenweiler, Dachtel und Deufringen. Beiträge zur Ortsgeschichte Aidlingen 1999, S. 177-180.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Gemeinde Aidlingen
Der Autor, Dr. Roman Janssen, leitete über 25 Jahre das Herrenberger Stadtarchiv und genießt einen ausgezeichneten Ruf als Historiker, Mittelalterspezialist und Autor.
Referenz
↑1 | Benediktinerreform, ausgehendvon der Abtei Bursfelde bei Münden an der Weser |
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