Waldenbuchs langer Weg zur Eisenbahn
Erstveröffentlichung: Das 20. Jahrhundert im Spiegel der Zeit. Der Kreis Böblingen im Rückblick von100 Jahren. Röhm Verlag Sindelfingen 1999, S. 69.
Im Waldenbucher Kronensaal war großer Bahnhof für die neue Bahn. Nachdem sich die Schönbuchgemeinde über 30 Jahre für eine eigene Bahnlinie stark gemacht hatte, fuhr 1928 der erste Zug in die Stadt. Doch die Freude an der Strecke war nicht ungeteilt: An den Steinenbronnern hatte man vorbeigeplant.
„Glück auf! Der jüngsten Schönbuchbahn.“ Diesen Wunsch hatte man auf die lorbeergeschmückte erste Lokomotive geschrieben, die am 22. Juni 1928 auf der Nebenstrecke der Reichsbahn von Leinfelden nach Waldenbuch fuhr. An jedem Halt stiegen örtliche Honoratioren bei. Exakt 13.47 Uhr erreichte der Festzug den Endbahnhof Waldenbuch. “Die Zeit der Abgeschlossenheit liegt hinter Euch!„, rief dort Schultheiß Gottlob Fischer den Gästen und “seinen Waldenbuchern“ zu: „Wir sind kein verwunschenes Land mehr.““
Glück, das zeigt das Pathos dieser Begrüßung, versprachen sich von der Bahn auch die Gemeinden, die durch die neue Linie verbunden wurden. Es waren vor allem wirtschaftliche Hoffnungen, die sich an den Verkehrsanschluss an die Landeshauptstadt Stuttgart knüpften.
Über 30 Jahre hatte man sich im Schönbuch um einen Anschluss ans Schienennetz bemüht. Den Anfang machte ein Waldenbucher Komitee schon 1892, das den Bau einer Bahn von Vaihingen nach Tübingen über Waldenbuch forderte.
Mit den anderen Gemeinden an der Strecke wurde eine Trasse erarbeitet, die von Musberg nahe an Steinenbronn vorbei östlich vom Steinenberg nach Waldenbuch führen sollte. Doch die Initiative blieb gegenüber Konkurrenzprojekten auf den Fildern und der Bahn Weil im Schönbuch – Böblingen auf der Strecke.
1919 wurde den Waldenbuchern und ihrem 1905 gewählten Bürgermeister Gottlob Fischer, der sich die “Eisenbahnsache“ zu eigen gemacht hatte, der Bau versprochen. Die Gleise sollten nun als Notstandsarbeit durchs Siebenmühlental gelegt werden. Keine gute Nachricht vor allem für Steinenbronn. “Mein Vater Ludwig hat sich als Gemeinderat bis zum Letzten gegen diese Trasse gewehrt„, erinnert sich Paul Schwarz an die Stimmung in Steinenbronn. Trotzdem wurde gebaut. Zu drei Vierteln war die Bahn fertig, als sie von der Inflation 1923 wieder gestoppt wurde. Drei Jahre später setzte Gottlob Fischer in Berlin den Abschluss der Arbeiten durch.
Die Waldenbucher Freude war nach der hürdenreichen Vorarbeit groß. Bei der Ankunft des ersten Zugs am 22. Juni 1928 spielte der Musikverein auf und „Festdamen“ verteilten Blumen und Abzeichen. Ihren Schultheiß machte die Stadt für sein Eisenbahnengagement am selben Tag zum Ehrenbürger.
In Steinenbronn war man weniger begeistert. Der eigene Bahnhof lag noch nicht einmal auf der Markung der Gemeinde. Paul Schwarz, der “für unser Lied mit dem Schülerchor bei der Einweihung eine Brezel bekommen“ hatte, beschreibt den Weg zur Bahn so: “Von der Ortsmitte bis zum Bahnhof war man 20 Minuten unterwegs.“ Und das auf einer steilen Böschung.
Schon 1956 wurde die Bahn wieder geschlossen. Die Industrie, die sie in die Gemeinden locken sollte, hat die Eisenbahn in Waldenbuch sozusagen beerbt. Dort ist der Bahnhof vom HAKAWERK überbaut worden.
Literaturhinweis:
Anne Lipp/Andreas Schmauder, Ein Jahrhundert Leben in Waldenbuch. Vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, WEGRAhistorik-Verlag, Stuttgart 1996
Einen kurzen Überblick über die Eisenbahngeschichte im heutigen Landkreis Böblingen mit Links zu weiteren Eisenbahnthemen auf www.zeitreise-bb finden sie hier.
Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung