Warmbronner Dorfgeschichte aus neuer Perspektive
Autor: Dietmar Böhringer
Von ca. 1100 bis 1452 gehörte Warmbronn zum Kloster Hirsau. Der Besitz umfasste die ganze Markung; es gab kein freies Gut in Warmbronn. Auf der wichtigsten Hofstätte des Dorfes, die von einem „Maier“ (Hofverwalter) bewirtschaftet wurde, hielt der Pfleger des Klosters dreimal im Jahr Gericht, zu dem alle Inhaber Hirsauischer Güter zu erscheinen und ihren Zins abzuliefern hatten. Danach richtete er die „rügbaren Sachen“, die er strafen oder ungestraft lassen konnte nach seinem Willen. Dieser Hof, der 1574 aus drei Häusern und einer Scheuer bestand, lag beim „oberen Tor“, das 1424 erstmals erwähnt wird. Man muss sich dieses Tor als eine Art Wildgatter vorstellen. Es bildete den Durchlass durch den „Etter“, den Dorfzaun, der sowohl auf der Kieser’schen Zeichnung von 1680 als auch auf Straßers Lithographie von 1840 sehr plastisch dargestellt ist. Da es das „obere“ genannt wird, befand es sich ohne Frage am Ortsausgang Richtung Magstadt, dem höchsten Teil des Ortes, der ca. 15 Höhenmeter über der tiefsten Stelle beim Maisgraben liegt.
Der Hirsauer Hof dürfte damit an der Stelle jenes stattlichen Anwesens gestanden haben, das, Ecke Magstadter Weg / Gartenstraße gelegen, vor kurzem von einer größeren Wohnanlage überbaut wurde, dessen zwei markanteste Gebäude jedoch zum Glück erhalten geblieben sind und als Schmuckstücke dieser Straße gestaltet wurden. Die Eingangstüre des Wohnhauses hat (im Vergleich zu den Nachbarhäusern) ein etwas herrschaftliches Aussehen. Die Jahreszahl 1796 im Türsturz und die Inschrift, die von „Kriegestagen“ spricht, könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich hier um den Wiederaufbau eines früheren Gebäudes handelt, das im Juli dieses Jahres zerstört worden war, als Warmbronn „durch einen Einfall der Franzosen geschädigt“ wurde.
Da der Hirsauer Hof die herrschaftliche Hofstatt war und da alle anderen Höfe des Dorfes zu dieser Herrschaft gehörten, dürfen wir hier die Keimzelle Warmbronns vermuten. – Es überrascht zunächst, dass diese ihren Standort nicht dort hat, wo üblicherweise derartige Keimzellen gewachsener Ortschaften unseres Raumes zu finden sind, nämlich in nächster Nähe der Kirche, dass sie mehr als 300 m entfernt davon an der äußersten Peripherie des alten Dorfkerns liegt. Bisher hätte man große Mühe gehabt, dafür einen plausiblen Grund zu finden; das Wissen um die „Straßengeschichte“ des Warmbronner Tals macht die Erklärung jedoch leicht: Der Hof wurde demnach direkt an der damaligen Durchgangsstraße erbaut (Route 1). In der Frühgeschichte des Dorfes wurden also nicht – wie dies andernorts sicherlich vor sich gegangen ist – ein paar Bauernhöfe gebaut und von ihnen aus Wege zu den benachbarten Ortschaften ausgetreten bzw. später Straßen ausgefahren, hier war offensichtlich zuerst einmal die stark befahrene Straße, an der dann ein erster herrschaftlicher Bauernhof erbaut wurde. Es drängt sich sogar die Vermutung auf, dass sich der Erbauer von der Straße nicht nur eine gute Anbindung an die Nachbargemeinden erhoffte, sondern dass wirtschaftliche Erwartungen mit ihr verknüpft wurden, weil hier lukrative Vorspann- und andere Dienste zu erwarten waren.
Ortsansicht Warmbronns mit Dorfetter um das Jahr 1840 von Gottlieb Straßer. Die Zeichnung zeigt rechts vorn den Bereich des Oberen Tors und den Gebäudekomplex des Hirsauer Hofs. (Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart)
Der heutige Dorfkern mit Kirche, Pfarrhaus, Rathaus, Gasthaus Krone (=Ortschaftsbücherei), Backhaus, erstem und zweitem Schulhaus … muss später entstanden sein: zu einer Zeit, als zumindest Route 2 bereits existierte, denn der Standort der Kirche liegt am Kreuzungspunkt der Routen 2 und 3. Ob zuerst die Kirche stand und dann – in nächster Nähe dieses Ortskerns – der neue Maisgraben-Übergang geschaffen wurde oder ob zuerst die Kreuzung vorhanden war und dann die Kirche gebaut wurde, muss allerdings vorläufig offen gelassen werden.Die in der Oberamtsbeschreibung von 1852 ausgesprochene Vermutung, das Pfarrhaus sei ursprünglich ein Hirsauisches Amtshaus gewesen, passt gut zu der „Straßengeschichte“ des Dorfes: Nachdem sich der Durchgangsverkehr näher an den Maisgraben verlagert hatte, wurde auch der Neubau des herrschaftlichen Verwaltungsgebäudes nicht mehr am ursprünglichen Standort, sondern beim neuen Brennpunkt des Geschehens errichtet.
Die Einwohner Warmbronns werden 1852 als „im Allgemeinen nicht sehr bemittelt“ bezeichnet, während z. B. das benachbarte Renningen mit dem Attribut „stattlich“ versehen wird und der einstige Wohlstand des Nachbardörfchens Eltingen noch heute an den prächtigen Fachwerkhäusern seiner „Carl-Schmincke-Straße“ abzulesen ist. 1721 wird Warmbronn als einer der „rauhesten und ärmsten Flecken des Leonberger Amtes“ bezeichnet. Dies liegt nicht nur an einer schlechten Bodenbeschaffenheit und einer kleinen Markung, sondern auch daran, dass Warmbronn – im Gegensatz zu diesen beiden Ortschaften – früh von der Lebensader und Einnahmequelle einer Durchgangsstraße abgekoppelt worden war.
Der „Hirsauer Hof“ im Jahre 1999. Hier lag vermutlich die Keimzelle Warmbronns (Foto: D. Böhringer)
Erstveröffentlichung: „Warmbronner Hohlwege – Zeugen einer mittelalterlichen Hauptverkehrsader“, Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, 58, 1999, S. 68 -71
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Württembergischen Landesbibiothek Stuttgart