Zeugen einer mittelalterlichen Hauptverkehrsader zwischen Magstadt und Eltingen
„Warmbronner“ Hohlwege
Autor: Dietmar Böhringer
In den 70er Jahren zog Dietmar Böhringer nach Warmbronn. Bald fielen ihm an den Steilhängen des Talkessels beeindruckende Hohlwege auf. Nach und nach entdeckte er immer mehr Spuren alter Verkehrswege. Für das Symposium „Straßen erzählen Geschichte(n)“, das der Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu am 10. Februar 2001 in Sindelfingen abhielt, fasste er seine Erkenntnisse in einem Vortrag zusammen:
„Weit über 150 unterscheidbare Spuren, davon mehr als 20 Hohlwege mit Tiefen von mehr als 3 m konnte ich inzwischen feststellen. Zwar sind die Ausprägungen nicht so stark wie im Löss, dennoch sind die Superlative mit Tiefen bis 6 m bei dem hier vorhandenen Gestein durchaus beachtlich. In dem hufeisenförmigen Waldgürtel um Warmbronn, der sich auch über die Markungen Eltingen, Magstadt und Renningen erstreckt, wurden sie jahrhundertelang konserviert. …
Eine große Zahl von Fuhrwerken und riesige Ochsenherden müssen hier einmal durchgezogen sein. Stets zertraten die Hufe den Untergrund, und die schweren Räder zermahlten die Steine. Führte der Weg über die Ebene verwischten sich die Spuren wieder. In abschüssigem Gelände dagegen schwemmten Regengüsse den Matsch talwärts; dann begann der Zerkleinerungsprozess bei der darunter liegenden Schicht. Auf diese Weise entstanden Wegformen, die „Hohlweg“, „Weghohle“, „Hohle“ oder „Hohle Gasse“ (siehe Wilhelm Tell!) genannt wurden.
In den wenigsten Fällen werden die Warmbronner Hohlwege noch als Verkehrswege genützt. Oft romantisch verwildert findet man sie scheinbar wahllos verteilt im Gelände. Verbindet man aber die bestehenden Wege oder Straßen mit den im Gelände erkennbaren Resten historischer Verkehrswege, so wird ersichtlich, dass praktisch alle dadurch entstehenden Routen denselben Anfangs- bzw. Zielpunkt haben, nämlich Magstadt und Eltingen. Sie müssen Teil einer größeren Verkehrsader gewesen sein.
In den Quellen begegnen uns zwei Nord-Süd-Routen, die unsere Region streifen: Einerseits existierte die „Rheinstraße“ oder „via Rheni“, die von Italien nach Worms und Speyer führte. Auf ihr ist offenbar schon Otto der Große 965 gezogen. Andererseits gab es eine Handelsstraße von der Schweiz zur Frankfurter Messe. Beide Nord-Süd-Routen waren offensichtlich auf weite Strecken identisch, zumindest in unserem Raum.
Diese Fernverkehrsstraße bot dort, wo sie hindurch führte, den Bewohnern vielfältige Verdienstmöglichkeiten. Auch der jeweiligen Herrschaft sicherte sie willkommene Einnahmen. Für die Württemberger waren besonders die Straßenzölle eine wichtige Finanzquelle. So ist es verständlich, wenn es sie ärgerte, dass jener Verkehrsstrom das eigene Territorium nur am Rande anschnitt. Und es verwundert nicht, dass sie versuchten, diesen Zustand zu ändern: Der rechte Weg für die Oberländer gehe von Herrenberg über Ehningen, Leonberg und Vaihingen/Enz, wurde argumentiert, und man zwang die im Süden auf württembergisches Territorium gekommenen Wagen, eine längere Strecke durch Württemberg zu fahren.
Das Warmbronner Hohlwegenetz war ein Teil dieser Route. Zwischen 1466 und 1510 sowie sicherlich noch einige Jahrzehnte mehr überquerte ein mächtiger Verkehrsstrom das Warmbronner Tal. Die Straße dürfte aber schon im frühen Mittelalter, evtl. bereits in vorrömischer Zeit, eine Rolle gespielt haben.
Hohlwege-Schar am „Steig“ Richtung Eltingen (Foto: D. Böhringer)
Die Vorstellung, die wir heute von mittelalterlichen Straßen haben, wird stark geprägt durch das Aussehen der Gassen von Dinkelsbühl, Nördlingen und ähnlicher „mittelalterlicher“ Städte“: holprig, unbequem, aber gepflegt und auch bei Regenwetter sauber.
Die vorliegenden Berichte aus jener Zeit sprechen jedoch eine andere Sprache. Als „eine einzige Schlamm- und Mistlache“ werden die Straßen gelegentlich geschildert, „über die Maßen grundlos und bös“. … Die Namen „Kniebrech“, Radbruch“ oder „Höllental“, die die Fuhrleute schwierigen Stellen gaben und die sich z. T. als Flurnamen erhalten haben, sprechen ebenfalls für sich.
In der Frühgeschichte der Straße waren es Sümpfe und Flüsse, die die Menschen zwangen, über Bergkämme auszuweichen. Wenn der Boden bei nassem Wetter schwierig wurde, hielten sich die Fuhrwerke nicht gern auf derselben Linie. Wo es die Örtlichkeit erlaubte, entwickelten sich mehrere Spuren und Wege nebeneinander. …
Es gibt Hinweise, dass die Warmbronner Talaue bis ca. 1250 eine Moorfläche war, die bis ca. 1600 weitgehend trockengelegt war. Man kann daher davon ausgehen, dass jene vier Hauptrouten, die jeweils von der Überquerungsstelle über den Maisgraben geprägt sind, im Verlauf einiger Jahrhunderte nacheinander entstanden. Die älteste Route dürfte aus der Zeit vor 1250 stammen, als die Talaue für Fuhrwerke noch nicht zu durchqueren war. Entlang dieser Route findet man Abschnitte mit mehr als 20 % Gefälle, die auch für damalige Fuhrwerke, halsbrecherisch gewesen sein müssen.
Es ist unverkennbar, dass die westlichste Route die jüngste ist: Sie hat die geringste Höhendifferenz und die geringsten Steigungen. Dazu musste sie die einstige Moorfläche an der breitesten Stelle überqueren … .
Naheliegend wäre es, dass diese Route entstand, als die Württemberger versuchten, jene wichtige Nord-Süd-Route auf württembergisches Territorium zu zwingen; einiges spricht dafür, dass dies in die Regierungszeit des späteren Herzogs Eberhard im Bart fiel. Dies würde bedeuten, dass der Maisgraben-Übergang beim Grundhof kurz vor 1500 ausgebaut worden wäre.
Auch diese relativ komfortable „Talstraße“ hatte jedoch zwei Geländestufen mit beängstigenden Steilstrecken zu bewältigen. Die Spuren, die der Verkehr hier hinterlassen hat, sind beeindruckend. So können oberhalb des Renninger Sees nahezu 40 nebeneinander verlaufende Spuren unterschieden werden.
Die Gefühle der Bevölkerung einer Durchgangsstraße gegenüber waren schon damals zwiespältig: … Durch abseits fahrende Fahrzeuge, wurde geklagt, sei mancher Acker „viel Zeit wüst gelegt worden“. … Tatsächlich lässt sich in Warmbronn nun eine mächtige Sperrmaßnahme nachweisen: Es ist ein Wallgraben, der stellenweise weitgehend eingeebnet wurde, an schwer zugänglichen Stellen aber noch Höhendifferenzen von über einem Meter aufweist und der sich über 2 km weit verfolgen lässt. Dabei wird eine ganze Reihe von Hohlwegen abgeschnitten. Nur zwei Wege blieben ausgespart – und sie haben sich extrem eingetieft. Auf diese beiden Wege hin war offenbar der gesamte Verkehr kanalisiert worden. …
Bisher sind keine Quellenangaben darüber bekannt, wann die „Straßensperren“ errichtet wurden. Sie müssen jedoch aus jener Zeit stammen, als der Hauptverkehr noch mitten durch Warmbronn floss. Naheliegend wäre es, dass dies vor Erbauung der jüngsten Route der Fall war, die wir um das Jahr 1500 ansetzen können. …
Hohlwege und Reste mittelalterlicher Straßen sind an vielen Orten zu finden. Überall stößt man aber darauf, dass diese Spuren achtlos oder bewusst zerstört werden. Derartige Entwicklungen müssen dringend gestoppt werden. Überreste historischer Straßen sind grundsätzlich schützenswert. Die „Warmbronner Hohlwege“ nehmen zudem eine außergewöhnliche Sonderstellung ein:
1 Es handelt sich hier nicht nur um lokale Verbindungen, sondern um eine der Jahrzehnte lang wichtigsten Fernverkehrsstraßen, die Württemberg durchzogen. 2 Hier haben sich nicht nur Reste eines einzelnen historischen Straßenverlaufs erhalten, sondern mehrere Entwicklungsstufen von der beschwerlichen reinen „Naturstraße“ hin zur aufwendigeren, aber gefahrloseren Talstraße.3 Von den einstmals vorhandenen Spuren und Hohlwegen hat sich eine ungewöhnlich große Anzahl in gutem Zustand erhalten. Grund dafür ist der hufeisenförmige Waldring um Warmbronn, der einmal entstandene Bodenwellen über die Jahrhunderte hinweg schützte. 4 Es wurde ein echter „Kleinkrieg“ gegen störende Trassenführungen konserviert. 5 Auf Grund des seltenen Zusammentreffens einer historisch bedeutsamen Verkehrssituation und eines guten Erhaltungszustandes kann hier ein Netzwerk mittelalterlicher Verkehrswege rekonstruiert werden.
All dies zusammen stellt eine einmalige Situation dar. Es ist zu hoffen, dass es gelingt, die „Warmbronner Hohlwege“ als Kulturdenkmal unter umfassenden Schutz zu stellen.“
Am „Warmbronner Limes“. An dieser Stelle besteht eine Höhendifferenz von ca. 1,20 m zwischen Wall und Graben (Foto: D. Böhringer)
Erstveröffentlichung: Aus Schönbuch und Gäu, Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, 3/2001
Der Text wurde gekürzt
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e. V.
Literaturhinweis:
Einen ausführlichen Aufsatz zu diesem Thema mit vielen Abbildungen veröffentlichte der Autor unter dem Titel „Warmbronner Hohlwege – Zeugen einer mittelalterlichen Hauptverkehrsader“ in der Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 58 (1999), S. 48-98
Zur Straßengeschichte siehe auch:
Dieter Kapff / Reinhard Wolf
Steinkreuze, Grenzsteine, Wegweiser…
Kleindenkmale in Baden-Württemberg
Herausgegeben vom Schwäbischen Heimatbund 2000
176 Seiten mit ca. 200 meist farbigen Abbildungen, S. 66-93
ISBN 3 8062 1460 3