Theologe und Schriftsteller mit unverrückbaren Maßstäben für Gut und Böse
Albrecht Goes in Gebersheim
Autor: Arnold Einholz
Er war ein konkreter Zeitgenosse mit unverrückbaren Maßstäben für Gut und Böse, sagt Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker über Albrecht Goes. Mit einem Festakt in Gebersheim wurde gestern ein Gedenkstein enthüllt, der das Wirken von Albrecht Goes und seiner Frau Elisabeth würdigt.
Ich habe für meine Generation keine andere so prägende Persönlichkeit gekannt wie Albrecht Goes. Er war ein kraftvoller Charakter, den ein Feinsinn des Geistes ausgezeichnet hat, so Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker in seiner Festrede. Seine Lyrik sind ergreifende Balladen des Lebens, und seine Worte wurden zu Musik. Die unverrückbaren Maßstäbe für Gut und Böse, die im Hause Goes angesetzt wurden, führten unweigerlich dazu, dass hier in der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte Bedrängten Schutz und Hilfe angeboten wurde. Albrecht Goes habe er als einen Menschen mit einem reinem Herzen und einem neuen Geist empfunden, erinnerte sich von Weizsäcker. Für die junge Generation lohnt es sich immer, in seinem Werk nachzulesen, gab Richard von Weizsäcker den zahlreichen Festgästen, vor allem aber den Schülern der Gebersheimer Schule, mit auf den Weg.
Sein Herz hätte gejubelt, wenn er den Chor und die Glocken gehört hätte, war sich von Weizsäcker sicher, als zu Beginn des Festaktes zu dem Lobe den Herrn der Kantorei Gebersheim die Kirchenglocken erklangen. Der Gedenkstein steht neben der Kirchenstaffel am Pfarrhaus, das über 15 Jahre lang das Heim der Familie Goes gewesen war. Auch für von Weizsäcker war der Besuch in Gebersheim ein Besuch in der engsten Heimat. Er verweilte kurz auf der Solitude, dem Revier kindlichen Unfugs, aber auch der Stätte, wo auf einem kleinen Friedhof die Eltern begraben sind.
Albrecht Goes 1975 (Foto: Privatbesitz)
Der Dichter Albrecht Goes war von 1938 bis 1953 Pfarrer in Gebersheim. Zur Seite stand ihm seine Frau Elisabeth, geborene Schneider. In den Jahren des Krieges und der Verfolgung hat sie jüdischen Mitbürgern im Pfarrhaus Zuflucht gewährt. Mit dieser in Stein gemeißelten Inschrift wird auch das stille Wirken von Albrecht Goes´ Witwe gewürdigt. Weil sie in der Nazi-Zeit im Pfarrhaus Gebersheim jüdischen Menschen Unterschlupf bot, hat sie mitgeholfen, sie vor dem sicheren Tod zu bewahren.
Den Gedenkstein schenkt Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker der Gemeinde auf Initiative des Stuttgarter Historikers Dr. Gerhard Raff, der sich um Schwaben und seine Dichter und Denker verdient gemacht hat. Bildhauer ist Markus Wolf, der auch den Grabstein für Albrecht Goes auf der Prag und die Gedenksteine am Geburtshaus in Langenbeutingen und am Stuttgarter Albrecht-Goes-Platz gestaltet hat. Vor Ort in Gebersheim war Ortschaftsrat Werner Thumm das Herz und die Seele des Vorhabens.
Nach dem Grußwort des Ersten Bürgermeisters Helmut Noë begrüßte auch Pfarrer Andreas Wissmann, der gegenwärtige Bewohner des Gebersheimer Pfarrhauses, die rund 500 Gäste. Dem Dichter Albrecht Goes komme er nach und nach über die Lektüre seiner Werke näher, so Wissmann, dem Pfarrer Albrecht Goes aber begegne er in zahlreichen Erzählungen seiner Gebersheimer Gemeindeglieder. …
Ein liebevolles Porträt der Eltern, die nicht nur am Klavier vierhändig spielten, zeichnete Tochter Rose Kessler, die gemeinsam mit ihren Schwestern Brigitte Dedekind und Christin Waldenfels dem Festakt beiwohnte.
Das Gebersheimer Pfarrhaus und die evangelische Kirche. (Foto: Klaus Philippscheck)
Für den Schriftsteller Albrecht Goes waren die Jahre in Gebersheim eine produktive Zeit. 1938 verfasste er hier eine Mörike-Biographie, zehn Jahre später seinen Rechenschaftsbericht aus den Kriegsjahren „Unruhige Nacht“. Weiter entstanden in Gebersheim das Spiel “Die fröhliche Christtagslitanei“, zahlreiche Essays, die Erzählung “Das Brandopfer“ und viele Gedichte.
Goes war auch ein Verehrer des Warmbonner Dichters Christian Wagner und hielt 1973 eine Rede zur Eröffnung des Christian-Wagner-Hauses.
In den folgenden Texten erinnern sich die Gebersheimerin Elisabeth Faber und seine Tochter Rose Kessler an die Zeit, die die Familie Goes im Gebersheimer Pfarrhaus verbracht hat.
"Morgens Bach - mittags Schubert - abends Brahms". Elisabeth Faber erinnert sich an Albrecht Goes und das Leben im Gebersheimer Pfarrhaus. Artikel aus der Leonberger Kreiszeitung vom 9.Juli 2003
Autor: Rainer Enke
Quelle: Leonberger Kreiszeitung vom 9. Juli 2003
Lebendig berichtete Elisabeth Faber am Donnerstag im Gebersheimer Bauernhausmuseum über ihre Erinnerungen an das Leben im Gebersheimer Pfarrhaus und an Albrecht Goes.
Nach einer Führung von Ursula Daeneke durch das Museum versammelten sich die Eltinger im Vorraum der Scheuer, wo Elisabeth Faber ihre Erinnerungen, Einschätzungen und Anekdoten aus dem Hause Goes lebendig werden ließ. Der Dichter Albrecht Goes war, mit Ausnahme von fünf Jahren im Zweiten Weltkrieg, von 1938 bis 1954 Pfarrer in Gebersheim. Elisabeth Faber ist eng mit seiner Tochter Brigitte befreundet und hatte viel Zeit im Pfarrhaus mit der Familie verbracht.
Elisabeth Faber erinnerte sich an die anspruchsvollen Predigten von Albrecht Goes, die regelmäßig viele Gebersheimer und auch Menschen von außerhalb anzogen. Trotz seines Intellekts sei er gut aufgenommen und als Dichter und Denker akzeptiert worden. Er war sehr streng im Konfirmandenunterricht, wir mussten vieles auswendig lernen und wurden genauestens abgehört. Aber lebendig sei der Unterricht gewesen, denn Goes hatte schauspielerisches Talent und spielte viele Bibelszenen nach. Unvergessen auch die „Christenlehre“ sonntags um 13 Uhr. Goes schrieb für die Konfirmanden etliche Evangelienspiele und die fröhliche „Christtagslitanei“, mit Proben in der Sakristei rund um den Kanonenofen. Unvergessen sind ihr die Kindergeburtstage im Pfarrhaus, zu denen immer der gesamte Mädchenjahrgang eingeladen war. “Dort gab es nie viel Geld, aber es war auch nie ärmlich“, blickt Elisabeth Faber zurück.
Besonders erinnert sie sich an Goes‘ Frau Elisabeth, die während der Nazizeit eine jüdische Familie im Pfarrhaus versteckt hatte. Versorgt wurden die Versteckten von “zuverlässigen“ Bauern aus der Umgebung, unter anderem auch von zwei Onkel Elisabeth Fabers. Für Elisabeth Goes wurde in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ein Baum für ihre mutige Tat gepflanzt.
Albrecht Goes hatte einen großen Bekannten- und Freundeskreis, dazu gehörten Martin Buber, Thomas Mann, Theodor Heuss, Gustav Heinemann, Bruno Walter oder der Verleger Peter Suhrkamp. “Mit ihnen hatte er einen lebhaften Briefwechsel, mindestens vier bis fünf Briefe schrieb er täglich“.
Albrecht Goes war ein ausgezeichneter Klavierspieler, hörte morgens gerne Bach, mittags Schubert und abends Brahms. Er liebte die niederländischen Maler, vor allem Vermeer. Goes setzte sich mit dem Schriftsteller Reinhold Schneider und Pastor Martin Niemöller gegen die Wiederbewaffnung ein. Sein Credo war, man müsse auch für Gegner argumentieren können, um Freunde zu erkennen. Beendet wurde der Abend mit einem Tondokument. Albrecht Goes las mit kehliger, klarer Altherrenstimme aus seinen Gedichten, darunter das eindringliche „Sieben Leben möchte ich haben“.
Mit freundlicher Genehmigung der Leonberger Kreiszeitung
"Es war immer etwas Festliches um diesen Vater" - Auszug aus der Rede von Rose Kessler vom Juni 2003 in Gebersheim
Autorin: Rose Kessler
Ich stehe hier als die in Gebersheim geborene Tochter von Elisabeth und Albrecht Goes, um Dankeschön zu sagen. Denken wir einen Sommertag im Jahr 1945. Es war der 11. Juni, als der damals 37-jährigen Vater nach fünf Kriegsjahren diese Dorfstraße herauskam.
Da mich der Krieg entließ aus seinen Händen
Die wie die Hände eines Fremden sind,
Kam ich ins Eigne heim und fand das Leben…
Welches war das Leben in diesem fast unzerstörten schönen schwäbischen Dorf? Es war ein Anfang. Vorbei war die Angst, vorbei war das verordnete Schweigen. Albrecht Goes fand, selbst unversehrt, seine Frau, uns drei Mädchen, sein Pfarrhaus, die Kirche und er fand die Gemeinde, die auf ihn wartete.
Vorherrschend waren große Dankbarkeit und Freude, nach Verstörung, Fremde und dem Grauen der Kriegsjahre in der ruhigen Dorfwelt neu anzufangen. Es war keine Idylle, das Leben in Gebersheim im Jahre 1945, das nun gerade nicht; aber danach, so der Vater, stand mir auch nicht der Sinn. Keine Idylle; gelebt wird, so der Vater, auf diesem Planeten und als Gefährte unserer Zeit. Er war der Gefährte seiner Zeit, und er fand Gefährten.
Da waren die Weggefährten aus alter Zeit: die Bücher, die Briefe von Fontane, die Gedichte von Goethe, Mörike und Hofmannsthal. Aber zu diesen geliebten Weggefährten kamen neue hinzu. Seine Gefährten wurden die Menschen im Dorf: die Kinder und die Konfirmanden, die neuen Erdenbürger und die Sterbenden, die Einsamen und die Heiratswilligen, die alten Menschen und die Kranken, die, die das Gespräch suchten oder ein gemeinsames Schweigen, die Bibelkundigen und die Zweifelnden, die Verstörten und die Traurigen. Auch im friedlichen Gebersheim der Nachkriegsjahre waren die Tränenkrüge schwer.
Gefährten wurden auch die Besucher. Nicht nur die sangesfreudigen und sangeskundigen Mädchen- und Frauengruppen kamen gerne nach Gebersheim und ins immer offene Pfarrhaus; es kamen Maler, wie der junge Heiner Müller, der gerade in Korntal Abitur gemacht hatte, der Musiker Emil Kübler, der Gedichte des Vaters vertonte, Leser und Freunde von weit her und gerade zurückgekehrt aus der Emigration der Verleger Gottfried Bermann Fischer mit seiner Frau Tutti.
Es ging fröhlich zu im Pfarrhaus: Scharaden und Laienspiele wurden geprobt und aufgeführt, gespielt wurde nicht nur auf dem Klavier, sondern auch mit Worten und Reimen, Verkleidung, Verstecken und Wiederfinden, der Vater liebte den Zauber der Verwandlung: Leichtigkeit der Seele, sie ist eine Frucht der Heiterkeit des Herzens, die aus dem Credo stammt. Und es wurde gefeiert. Anlässe, ein Fest zu feiern, waren da oder wurden von eigener Hand komponiert. Es war immer etwas Festliches um diesen Vater. Leuchtende, helle Tage bleiben für mich, die damals noch nicht Zehnjährige, für immer mit Gebersheim verbunden.
Die Mutter war in beiden Welten mit ganzem Herzen an des Vaters Seite. Sie haben nicht nur auf dem Klavier vierhändig gespielt. Dem Ernst zugetan und mit aller Scheu auch dem Bereich des Heiligen, nicht minder offen aber für die ironischen Lustbarkeiten des Daseins. Widersprüche sind genug am Werk, man sieht es, genug, wenn sie am Werk sind.
Gebersheim war ein Fundament. So wie der schöne Stein von Markus Wolf ein gutes Fundament braucht, um nicht zu stürzen, so war das Dorf für die Eltern das Fundament, auf dessen Beständigkeit Wagnis und Bewegung möglich waren. Die Mutter konnte verfolgten Fremden in gefahrvoller Zeit helfen, weil sie hier nicht in der Fremde war; der Vater wagte von hier in Zuversicht den Schritt in die neue Existenz des freien Schriftstellers.
Der Text wurde gekürzt.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Frau Rose Kessler
Die Zuversicht - Gedicht von Albrecht Goes aus dem Jahre 1949
Die Zuversicht
Freilich, das Feld ist zerstampft. Des grimmigen Hagels Gekörne
Schlug vor der Ernte den Halm, gab der Verwesung die Frucht.
Gift auch legte der Feind, der Feind im eigenen Lande.
Fiebernd taumelt ein Schwarm wilder Insekten im Sumpf.
Aber am östlichen Hang, wo eh das Feuer gewütet,
Prangt wie vor Jahren und neu weißen Holunders Geleucht.
Blieb ein einziger Keim. Doch bei dem einzigen Keime
Erd´ und nährendes Salz, Himmels erquickende Flut
Zuversicht heischend. Und also, mit nicht geringerem Worte
Ruft über Stunde und Tag dich der lebendige Geist.
Albrecht Goes, Gebersheim, im Oktober 1949
Aus: Albrecht Goes, Leicht und Schwer, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 1998, S. 24.
Mit freundlicher Genehmigung des Fischer Verlags, Frankfurt und der Familie Kessler.
Erstveröffentlichung: Leonberger Kreiszeitung, 28. Juni 2003
Mit freundlicher Genehmigung der Leonberger Kreiszeitung