Jungsteinzeitliche Gräber in Höfingen
Ein Skelett namens „Höfi“
Autorin: Ute Seidel
Am 1. Oktober 1993 entdeckte der Arbeitskreis des Museums für Vor- und Frühgeschichte die erste Bestattung (= Grab N1) der Höfinger Siedlung. Als „Höfi“ erregte das Skelett fast ebensoviel Aufmerksamkeit wie sein tiefgefrorener Namensverwandter „Ötzi“. Während der Kampagne des Landesdenkmalamtes kamen dann weitere 10 Bestattungen ans Licht. Die Gräber fanden sich in verschiedenen größeren Gruben, allein sechs in der großen Senke. Mit Ausnahme einer Tierzahnkette und eines kleinen Gefäßes fehlten jegliche Beigaben. Durch diesen Umstand ist die zeitliche Ansprache der Gräber mit archäologischen Mitteln nicht möglich.
Die Toten von Höfingen waren – nach heutigen Maßstäben – Kinder sowie einmal eine junge Erwachsene: vier Neugeborene bzw. Säuglinge und Kleinkinder, drei Kinder um die 6 Jahre, zwei Kinder um die 11 Jahre sowie zwei Erwachsene zwischen 20 und 30 Jahren (Bestimmungen durch Dr. J. Wahl, LDA Konstanz).
In sechs der beobachteten Fälle waren es Kinder, die in Hockerlage bestattet wurden. Dagegen lagen die zwei erwachsenen Toten auf dem Rücken. Diese konnten als weiblich bestimmt werden.
Bei der Bestattung N1 (Liebigstraße 2) handelt es sich um ein Kind, das im Alter von 10 – 12 Jahren verstorben war. Es lag in Hockerstellung auf der linken Körperseite dicht am Nordrand einer größeren Grube. Der Kopf war im Westen, die Füße im Osten, Blickrichtung war Norden. Im Rücken des Kindes hatte man ein kleines Tonfläschchen abgestellt. Es war die einzige der Höfinger Bestattungen, der ein Gefäß mitgegeben wurde.
Als einzige, sicher der „Schussenrieder Kultur“ zuweisbare Bestattung wurde 1928 die einer Frau in einer Grube bei Bad Cannstatt bekannt. 1929 wurde ein mutmaßliches „Schussenrieder“ Grab bei Schwieberdingen gefunden. Es blieb aber undokumentiert. Die Funde sind heute verloren. 1897 wurden nahe Großsachsenheim-Egartenhof zwei Gräber gefunden, die mutmaßlich zur Schussenrieder Kultur gehören. Die Lage und selbst der Fundort der Skelette sind heute unbekannt..
Bestattungen, die der Schwieberdinger Kultur zugewiesen werden könnten, fehlen bisher völlig. Umso wünschenswerter wäre die Datierung einiger der Höfinger Gräber mit naturwissenschaftlichen Methoden (C-14-Methode).
Als eine von 11 jungneolithischen Bestattungen fand man in Höfingen das Skelett eines etwa 10 12 Jahre alten Kindes mit einem Tongefäß als Beigabe (Grab N1). Unter dem Namen “Höfi“ erregte es große Aufmerksamkeit. (Aus: Dorfleben vor 6000 Jahren. Höfingen 1998, S. 29)
Mit dem Beginn des Jungneolithikums, d.h. zu Beginn der Höfinger Siedlung, änderte sich der Bestattungsbrauch von Bayern bis zum Pariser Becken grundlegend. Kein Gräberfeld, keine größere Gruppe zusammengehörender Bestattungen dieser Zeit ist bekannt. Die großen Gräberfelder des Altneolithikums (Linearbandkeramik) und des Mittelneolithikums (Hinkelstein, Großgartach, Rössen) werden aufgegeben. Die wenigen bekannten Toten stammen aus aufgegebenen Siedlungsgruben oder Gräben um Siedlungen. Noch seltener wurden einzelne jungneolithische Gräber außerhalb von Siedlungen entdeckt, sie sind vor allem vom Hochrhein, Kaiserstuhl, Elsass und den angrenzenden Gebieten bekannt. Der Verbleib der überwiegenden Zahl der Toten ist uns heute völlig unbekannt.
Die Gründe, warum man die Höfinger Toten nicht wie die meisten Toten behandelt hatte, sondern innerhalb der Siedlung bestattet, liegen völlig im Dunkeln. Dass es sich bei den Toten von Höfingen und Cannstatt um Kinder und Frauen handelt, kann Zufall sein. Aus Siedlungsgruben und -gräben der Michelsberger Kultur und anderer jungneolithischer Gruppen von Nordfrankreich bis Bayern sind Bestattungen aller Altersgruppen beiderlei Geschlechts bekannt.
Was man mit den Toten „normalerweise“ gemacht hat, bleibt der Spekulation überlassen. Möglich ist, dass einzelne Gräber ohne Beigaben außerhalb von Siedlungen jungneolithisch sind, aber nicht erkannt wurden. Die bekannten Gräber zeigen keine feste Beigabensitte mehr. Da in jungneolithischen Siedlungen immer wieder einzelne Teile menschlicher Skelette gefunden wurden, wurde auch an Praktiken wie die Verbrennung oder „Excarnierung“ (Aussetzen der Leiche und Entfleischung der Knochen, z.B. durch Tiere) gedacht. Möglich ist auch, dass die Gräber nicht oder nur wenig eingetieft wurden und durch Erosion verschwanden.
Eine Kette aus fünf Hundeeckzähnen trug das 1012-jährige Kind aus Grab 5 im Brustbereich. (Aus: Dorfleben vor 6000 Jahren. Höfingen 1998, S. 28)
Erstveröffentlichung: Dorfleben vor 6000 Jahren – Funde aus den Ausgrabungen von Leonberg-Höfingen 1989 – 1995. Besucherinformation des Heimatmuseums Höfingen zur Ausstellung im Alten Rathaus Höfingen vom 8. 11. 1998 – 25. 4 1999.
Mit freundlicher Genehmigung des Höfinger Heimatvereins
Literaturhinweis:
Ute Seidel
Bestattungen in einer Siedlung des Jungneolithikums bei Leonberg-Höfingen, Kreis Böblingen.
In: Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1995 (1996), S. 57 – 60.
Ute Seidel
Die jungneolithischen Siedlungen von Leonberg-Höfingen/Kr. Böblingen, Stuttgart 2014, (Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg, 69).