Chronist der Herrenberger Geschichte
Vogt Gottlieb Friedrich Heß
Autorin: Susanne Schmidt
Zu den herausragenden Gestalten der Herrenberger Geschichte gehört Gottlieb Friedrich Heß (1692-1761). 37 Jahre lang bekleidete er in Herrenberg das Amt eines Obervogts. Als Vertreter des Landesherrn mit umfassenden Kompetenzen in der Verwaltung vereinte er damals „mehr Macht in seinen Händen als heute ein Landrat und Amtsrichter zusammen“.1 Seinen Amtssitz hatte der Vogt in dem mächtigen Fachwerkgebäude der früheren Vogtei, dem späteren Oberamt (Kirchgasse 2).
Noch immer ist Vogt Heß in Herrenberg sehr präsent. Eine Straße und eine Schule tragen seinen Namen; sein Portrait ziert zusammen mit dem seiner Frau Justina Dorothea, geb. Dörtenbach den Ratssaal der Stadt und in der Stiftskirche erinnert ein von der Witwe in Auftrag gegebenes Epitaph an seine Leistungen.
Der erstaunlich vielseitig interessierte Heß war nicht nur ein pflichtbewusster Verwaltungsbeamter. Zu seinen nebenberuflichen „Hobbies“ zählten neben seinem Garten auch die Musik, die Geschichte und „ein freigebiges Gastgebertum mit gut gedeckter Tafel“.2 Der Nachwelt ist er vor allem als Chronist der Herrenberger Geschichte im Gedächtnis geblieben. In jahrzehntelanger Arbeit verfasste er umfangreiches Geschichtswerk, die sog. „Heß’sche Chronik“, deren Original sich heute im Besitz des Stuttgarter Hauptstaatsarchivs befindet.
Geboren wurde Gottlieb Friedrich Heß am 20. Juni 1697 in Sulz als Sohn des Vogtes Georg Friedrich Heß und der Agnes Felizitas geb. Greiß aus Böblingen. Dass er einmal in die Fußstapfen seines Vaters treten würde, war zunächst nicht abzusehen. Der Vater, seit 1714 Vogt in Herrenberg, hatte ihn für das Theologiestudium vorgesehen. Da sein zur Beamtenlaufbahn bestimmter älterer Bruder kränkelte und man in der Familie offenbar mit seinem frühzeitigen Ableben rechnete, änderte der Vater das Ausbildungsprogramm. Gottlieb Friedrich wurde Jurist. Zunächst Mitarbeiter seines Vaters, trat er 1724 dessen Nachfolge an. Im Jahre 1725 heiratete er die aus Biberach stammende Justina Dorothea, geb. Dörtenbach (1704-1782).
Vogt Gottlieb Friedrich Heß (1697 – 1761). Portrait im Herrenberger Ratssaal. (Foto: StadtA Herrenberg)
Ein lebendiges Portrait des Vogtes zeichnete der ehemalige Herrenberger Stadtarchivar Roman Janssen: „Ein Mann durchaus seiner Zeit, des Hochbarocks, standesbewußt, von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt, sinnenfreudig, zugleich von großer Energie und Arbeitsamkeit und vor allem von einer gesunden Urteilskraft, dem Extremen abhold, fromm, aber nicht frömmlerisch“.3 In den vorhandenen Akten finden sich noch viele Spuren seiner amtlichen Tätigkeiten. „Ohne hier ins Einzelne gehen zu wollen“, resümiert Janssen, „lässt sich sagen, Parteilichkeit war nicht seinen Sache; (…) was er in barocken und oft langatmigen Formulierungen diktierte, ist in der Regel nüchtern eingeschätzt und menschlich abgewogen – Scharfmacherei lag ihm nicht.“4
Bleibenden Anteil hat Heß übrigens an der Gestaltung des Herrenberger Stadtbildes. Als die Erneuerung der beiden baufällig gewordenen mittelalterlichen Türme der Stiftskirche anstand, machte er sich energisch für eine „große Lösung“ stark. Gegen alle Intrigen und Einwände des Magistrats setzte er sich letztlich durch. Seit 1749 verleiht eine barocke Zwiebelkuppel („welsche Haube“) der Stiftskirche ihr unverwechselbares Gepräge.5
Unter den vielfältigen privaten Interessen des Vogtes kommt der Musik eine Sonderstellung zu. Nicht nur dass Heß ein eifriger Förderer der Kirchenmusik war, eine Musikschule gründete und selbst das Herrenberger Collegium Musicum leitete, zum Anlass der Vermählung des Herzogs Karl Eugen im Jahre 1748 komponierte er eine Operette, die er dem Herzog persönlich überreichen konnte und die den Titel „Lukretia“ trug. Leider ist das Werk, gegen das Dekan Johann Jakob Gmelin sogleich ein Verbot anstrengte, – es war ihm „zu weltlich“ -, bis heute verschollen.
Sein Hauptverdienst aus heutiger Sicht ist und bleibt die „Heß’sche Chronik“. Das komplexe Gesamtwerk ist, wie Roman Janssen herausstreicht, auf drei Ebenen entstanden. „Am Anfang scheinen zeitgeschichtlich chronikale Einträge gestanden zu haben, welche sich dann rückschreitend zu einer umfassenden echten Chronik von Stadt und Amt, dann Württembergs und des Reiches ausweiteten. In einem zweiten Teil hat Heß die Geschichte systematisch hinsichtlich Verfassung, Institutionen und nach Möglichkeiten biographisch zu den Amtsträgern aufgearbeitet. Schon sehr früh muss auch sein genealogisches Interesse erwacht sein. Diesem sehr umfangreichen Part (…) verdankt er sein hohes Ansehen in der württembergischen Familienforschung.“6 Heß hat sich auch stets bemüht, ihm wichtig erscheinende Quellen als Abschrift der Nachwelt zu überliefern.
Wer heute die Heß’sche Chronik zu Rate ziehen will, greift in der Regel auch zu einer der beiden Abschriften. Die eine befindet sich in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart, die andere im Herrenberger Stadtarchiv. Die 2800 eng beschriebenen Folioseiten des Originals stellen dagegen an den Leser so hohe handschriftenkundliche Anforderungen, dass, wie Stadtarchivar Janssen augenzwinkernd bemerkt, „der Schwung des wissenschaftlichen Nachwuchses regelmäßig nach einer ersten Inaugenscheinnahme erlahmte“.7 Keine besondere Wertschätzung fand die Chronik übrigens bei seiner Frau Justina Dorothea. Nach dem Tod des Vogts, wollte sie das Werk an einen Trödler verkaufen, was der Stadt- und Amtsschreiber Johann Jakob Krafft gerade noch rechtzeitig verhindern konnte.8
Gottlieb Friedrich Heß verstarb, vermutlich in Folge eines Schlaganfalls, am 13. Januar 1761. Mit seinem Testament rief er eine Studienstiftung ins Leben. Seine Gattin Justina Dorothea überlebte ihn um 21 Jahre. Nach ihrem Tod am 14. 2. 1782 vermachte auch sie ihr Vermögen wohltätigen Zwecken. Die beiden Heß’schen Stiftungen bestanden bis 1909.
Ehemalige Vogtei, später Oberamtei in Herrenberg. Das stattliche Fachwerkgebäude aus dem Jahre 1655 dominiert von oben den Herrenberger Marktplatz. Vogt Heß ließ das überdimensionierte Gebäude zu seiner Amtszeit fertig ausbauen und richtete in einer Etage einen Musiksaal ein.
Heß‘ Operette „Lukrezia“, die er anläßlich der Hochzeit Herzog Karl Eugens im Jahre 1748 komponierte, ist leider bis heute verschollen. Lesen Sie hier, was der Vogt in seiner Chronik über die Aufführung in der Herrenberger Vogtei am 26. September 1748 berichtete.
"zimlich wohl gespielt" - Die Aufführung der Operette "Lukretia" in der Herrenber Vogtei am 26.9.1748
Den 26. Septembris geschahe die glückliche Vermählung unsers Landes-Fürsten mit der Marg-Gräffin Elisabetha Friederica von Brandenburg-Bayreuth, einer an Leibs- und Gemüths-Gaben vortrefflichen Prinzeßin. Der Verfaßer hat zu Bezeugung seiner unterthänigsten Devotion und innigsten Freude eine auf die hohe Vermählung von ihme aufgesezte Operette oder Serenada von einer Abhandlung und 9 Auftritten durch das Herrenbergische Music-Collegium theatralisch in der Vogtey aufgeführt.
Die Actores und Sänger waren:
- David Cantz, Bassist
- Jacob Vögelin, Altist
- Carl Ruthard, ledig, Cantist, ein unvergleichlicher Sänger
- Ludwig Ruthard, dessen Bruder, Cantist
- Nonnenmacher, Tenorist
- Böhmlerin, Cantistin, eine angenehme Sängerin
- Gretzingerin, Cantistin
Man muß es diesen sämtlichen nachsagen, daß sie ihre Personen, obwohl sie dergleichen nie gesehen und erst darzu eingeleitet werden mußten, zimlich wohl gespielt, daß Herrenberg dergleichen Aotum niemalen hat gesehen, allermaßen sie die italienische Arien und Recitative mit zimlicher Action auswendig zu singen gewußt, wobey die Instrumental-Music sich auch wohl hat hören laßen.
Man muß noch etwas von der Herrenbergischen Music hier anfügen: Dieselbe ist seit etlichen Jahren in einem ungleich beßern Stand alß sie zuvor gewesen, daß sie keiner im Land, die Hof-Music ausgenommen, weichen werde. Man hat es aber auch dem großen Fleiß und Eyfer des Zinkenisten Jonas Ruthardt und denen Anstalten des Verfaßers zu danken, sonsten es schlecht genug würde bestellt seyn.
Des Nachts, davor ermelte Vermählung geschehen, hat der Verfaßer auf aigene Kosten, wie dann obgedachte Serenade auch auf seine Spesen aufgeführt worden, ein Feuer-Werk bey dem Schießhaus von ungefähr 150 Rageten, 2 Feuer-Rädern, 200 Schwärmer und Grenaten und vielen Pöller-Schüßen nebst der Mousqueterie unter Pauken und Trompeten-Schall spielen, auch zu eben dieser Zeit die gantze Fronte der Propstey mit 130 Lampen illuminiren laßen.
Literatur:
Roman Janssen, Vogt Gottlieb Friedrich Heß (1697-1761) und Frau Justina Dorothea geb. Dörtenbach (1704-1782), in: Herrenberger Persönlichkeiten, Herrenberg 1999, S. 253-261
Helmut Maier, Bedeutende Persönlichkeiten der Herrenberger Stadtgeschichte, in: Aus Schönbuch und Gäu – Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, 1989/4+5, S. 14
Referenz
↑1 | Helmut Maier, Bedeutende Persönlichkeiten der Herrenberger Stadtgeschichte, in: Aus Schönbuch und Gäu – Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, 1989/4+5, S. 14 |
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↑2 | Roman Janssen, Vogt Gottlieb Friedrich Heß (1697-1761) und Frau Justina Dorothea geb. Dörtenbach (1704-1782). In: Herrenberger Persönlichkeiten, Herrenberg 1999, S. 255 |
↑3, ↑4 | Roman Janssen, a.a.O., S. 256 |
↑5 | Siehe hierzu Rolf Bidlingmaier, Wie die Herrenberger Stiftskirche zu ihrer barocken Turmhaube kam, in: Aus Schönbuch und Gäu – Beilage der Kreiszeitung Böblinger Bote, 1986/9+10, 1986/11+12 und 1987/1+2 |
↑6, ↑7 | Roman Janssen, a.a.O., S. 260 |
↑8 | Krafft erwarb das Werk auf Kosten des Amtes. Es verblieb in Herrenberg bis es in den 20er Jahren des 20. Jhs. von der staatlichen Archivdirektion eingezogen wurde. |