Der Sindelfinger Mönchsbrunnen
Wasser für das Chorherrenstift
Autor: Fritz Heimberger
Wer von der Landeshauptstadt nach Sindelfingen fährt, kommt beim sog. „Mönchsbrunnen“ aus dem Wald und erblickt in gar nicht mehr so weiter Ferne das in die grüne Weite des Mahdentales hineinwachsende Sindelfingen. Zu Anfang unseres Jahrhunderts lud dort ein Wirtshaus zu gastlicher Einkehr, es hat längst seine Pforten geschlossen und ist jetzt zu einem privaten Wohnsitz an einem wichtigen, im weiteren Ausbau begriffenen Verkehrsknotenpunkt geworden. Wer wissen will, wie der Ort zu seinem Namen gekommen ist, muss fast ein halbes Jahrtausend in der Sindelfinger Geschichte zurückgehen und kann dann dort sehen, wie die Mönche des 16. Jahrhunderts versuchten, ein recht modernes Problem zu lösen, nämlich sich und ihr Kloster mit Wasser zu versorgen.
In Sindelfingen gab es ein Chorherrenstift. Das ältere Institut, das nachher in der Universität Tübingen aufging, verpflichtete seine Insassen nicht zu mönchischem Zusammenleben, die Chorherren wohnten in Privathäusern in der Stadt und waren nur verpflichtet, den Gottesdienst an der Martinskirche zu besorgen. Die jüngere Einrichtung, die seit der Gründung der Universität 1477 den Rest des Besitzes zusammenfasste, war ein reguliertes Chorherrenstift, seine Mitglieder lebten in einem eigens dafür errichteten Gebäude bei der Kirche wie Mönche beieinander. Mit dieser baulichen Konzentration hängt es offenbar zusammen, dass man jetzt auch eigenes Wasser für das Stift, die Mönche“ benötigte. Bei der Fassung des Wasservorkommens musste man in die Nutzungsrechte anderer Berechtigter eingreifen, dem entstehenden Streit und seiner Schlichtung verdanken wir die erste Nennung dieses, unseres Münchbrons“.
Die Sindelfinger Martinskirche war einst Mittelpunkt eines ausgedehnten Stiftsbezirks, der mit Wasser versorgt werden musste. (Bild: Susanne Schmidt)
Am Montag “post assumptionis Mariae“ (20. Aug.) 1526 verglichen sich in einer uns erhaltenen Urkundenabschrift Prior und Konvent der regulierten Chorherren der St. Martins-Stiftskirche zu Sindelfingen mit Hannß Schafheußer, dem Inhaber der Goldmühle, mit Hilfe eigens dazu bestellter Schiedsleute (Schiedsrichter) über den Brunnen, den die Chorherren „in Teücheln von den Maden am Echtertinger Steig herab in daß Closter gefüert vnnd vormahlß vff gedachder Goldtmühlin gediendt“.1 Der Goldmüller hatte sich durch die Ableitung des zum Betrieb seiner Mühle nötigen Wassers, offenbar des Goldbachs, in die Stadt geschädigt gefühlt und Klage erhoben. Die jetzt erzielte Einigung bestand darin, dass die Wasserentnahme begrenzt und dem Müller eine Entschädigung in Geld bestimmt wurde. Die Chorherren versprachen, bei einer Hofstatt und einem “gemeinen Teychel“ zu verbleiben und denselben “nit größer noch weiter“ zu machen, dann wie ain gemeiner Teychel sein soll“. Unter “Hofstatt“ ist hier ein Bauplatz zu verstehen, also die Stelle, wo bauliche Veränderungen zur Fassung des Brunnens vorgenommen worden waren oder noch vorgenommen werden konnten. Der “Teuchel“ ist eine hölzerne Wasserleitung, die das Brunnenwasser in einem sehr geringen Gefälle durch das Mahdental zum Kloster bei der Kirche führte. Nach dem Vertragstext durfte keine weitere Wasserfassung und keine weitere Wasserleitung angelegt werden, die Teuchel des schon bestehenden Stranges durften den üblichen Querschnitt nicht überschreiten. Als Geldentschädigung mussten die Chorherren dem Goldmüller, solange sie das Wasser in ihr Kloster leiteten, jährlich an Martini 4 Ib 4 ß2 rechten Zins in guter, genehmer Württ. Landeswährung reichen. Benötigten sie den Brunnen nicht mehr, so konnten sie diese Geldabgabe mit vierteljährlicher Frist kündigen.
Wasserleitung anno dazumal: Zum Bau von Wasserleitungen verwendete man sog. „Teuchel“, innen ausgehöhlte und zu Rohren verarbeitete Baumstämme. Dieser Teuchel wurde im Sindelfinger Sommerhofenpark als Anschauungsobjekt aufgebaut. (Bild: Susanne Schmidt)
Der Vertrag beseitigte nicht alle Unklarheiten, das Kloster wollte wohl keine weiteren Wasserfassungen anlegen, aber die eine vorhandene Stelle weiter ausbauen. Eine zusätzliche Erklärung zum Vertragstext vom Tag “Joannis Evangelistae et Apostoli“ (27. Dez.) desselben Jahres bestimmte daher, dass das Stift wohl keinen anderen Brunnen anlegen und es bei der einen Hofstatt und dem gemeinen Teuchel belassen solle, doch bei dieser Hofstatt eine förmliche Wasserstube bauen dürfe, wenn es nötig würde. Diese Erweiterung muss in den nächstfolgenden Jahren erfolgt sein, denn 1590 hören wir im Lagerbuch des Stifts von den „Maden, vnder dem Pfaffensteig genandt, daselbsten die Wasserstub noch ist“.
Nach einer mir gemachten Mitteilung von Herrn Oberregierungsvermessungsrat Schempp wurde bei der Aufnahme des Primärkatasters um 1830 die Wasserstube beim Mönchsbrunnen noch vermerkt. Es wäre zu hoffen, dass bei den Arbeiten im neuen Industriegebiet an der Stuttgarter Straße oder bei der Anlage weiterer Wohnsiedlungen in dessen Bezirk auf etwa im Boden noch liegende Reste der alten, vom Mönchsbrunnen nach Sindelfingen gehenden Wasserleitung geachtet würde.
Erstveröffentlichung: Sindelfinger Jahrbuch 1964, S. 302-303.
Mit freundlicher Genehmigung der Familie Heimberger und der Stadt Sindelfingen
Quellen (ungedruckt): Hauptstaatsarchiv Stuttgart. A 229 Forstlagerbücher, Nr. 13 (Böblingen) 1556, Nr. 14 (Böblingen) 1673 A 461/67 Altwürtt. geistl. Lagerbücher, Nr. 1965 (Stift Sindelfingen) von 1590.
Referenz
↑1 | Der in der Urkunde von 1526 genannte “Echtertinger Steig“ muß als „Echterdinger Pfad“ in der Gegend des heutigen Musberger Sträßchens vom Mahdental zur sog. Römerstraße und von dort durch den Kaufwald nach Musberg und auf die Filder gegangen sein. 1556 heißt der am “Echterdinger Pfad“ gelegene Teil des Sindelfinger Stadtwaldes “der Kolhaw“, die „Wan vnd der Aichin Mayen“, 1673 wird “der Kauffwaldt, vorher der Kohlhaw und Wann genannth“, aufgeführt. „Pfaffensteig“ heißt noch heute der auf Böblinger Markung liegende Wald zwischen Sindelfinger Markungsgrenze und Börstlach beim Mönchsbrunnen. Um alle Zweifel bezüglich des Standorts zu beseitigen, ist in einer Randbemerkung 1590 neben die Worte “Maden vnder dem Pfaffensteig“ das Wort “Münchbron“ gesetzt, diese Bezeichnung hat später die alten Flurnamen verdrängt. |
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↑2 | (Ib h): Abkürzung für 1 Pfund Heller (= 20 Schilling = 240 Heller); (ß): Abkürzung für 1 Schilling (= 12 Heller); (h): Abkürzung für Heller. Die Hellerwährung bestand vor und während der Guldenwährung bis ins 17. Jahrhundert. |