Vom Sommerhofental zum Schwätzweiberbrunnen
Geschichte der Sindelfinger Marktbrunnenleitung
Autor: Wolfgang Schleh
Normalerweise werden Brunnen dort angelegt, wo in der Tiefe das Grundwasser, bzw. eine Wasserader zu erreichen ist oder eine Quelle gefasst werden kann. Dies ist auch bei dem 1544 erbauten Sindelfinger Marktbrunnen (Schwätzweiberbrunnen) der Fall gewesen.
Mit zunehmendem Wachstum der Stadt wuchs auch der Bedarf an Wasser. Das direkt am Marktbrunnen vorhandene Wasser reichte nicht mehr aus. Also musste man sich nach einer weiteren Quelle umsehen. Man fand diese im hinteren Sommerhofental beim Schellenstellenweg, etwas oberhalb von der Talsohle. Um das Wasser vom Sommerhofental an den Marktbrunnen zu bekommen wurde eine Leitung benötigt, deren Bau der damalige Bürgermeister Michel Würrichs veranlasste.
Zum Bau dieser Leitung wurden sog. “Teuchel“ verwendet. Teuchel sind innen ausgehöhlte, zu Rohren verarbeitete Baumstämme. Zur Herstellung verwendete man meistens Kiefernholz, da dieses sehr harzreich ist. Harz ist wasserabweisend, das Kiefernholz wird dadurch quasi imprägniert und hat eine lange Lebensdauer. Ein Teuchel ist etwa zwei Meter lang. Um in einen Stamm dieser Länge eine Höhlung hineinzufräsen bedarf es eines Spezialwerkzeuges, des sog. Teuchelbohrers.
Der Sindelfinger Marktbrunnen, auch “Schwätzweiberbrunnen“ genannt. (Bild: Susanne Schmidt)
Die Quelle der Marktbrunnenleitung entspringt auf 462 m Meereshöhe und ist bei den Brunnenstuben gefasst. Das Wasser der Quelle hat noch heute eine gute Trinkwasserqualität, was eine mikrobiologische Untersuchung im Jahr 2000 bestätigt hat.
Im Jahre 1558 wurde die Marktbrunnenleitung erstmals in Betrieb genommen. Die Teuchel wurden frostsicher in einer Tiefe von 1-1,2 Meter verlegt. Die Leitung hatte eine Gesamtlänge von 3.140 Meter und überwand auf dieser Distanz eine Höhendifferenz von 14 Metern, was ein durchschnittliches Gefalle von 0,5% bedeutet.
Betrachtet man den Arbeitsaufwand für eine Teuchelleitung vom Fällen des Stammes über die Teuchelherstellung und das Ausheben des Grabens bis zum Verlegen des Holzrohres so ergibt sich folgendes:
Für 2 Meter Teuchelleitung braucht 1 Mann 15 bis 20 Stunden. Umgerechnet auf die damalige Strecke von gut 3 Kilometer bedeutet dies: Wenn man Ausfallzeiten und Arbeitsunterbrechungen während der Wintermonate abzieht, waren etwa 10 bis 15 Arbeiter gut 3 Jahre beschäftigt.
Die Brunnenstuben im hinteren Sommerhofental. (Bild: Susanne Schmidt)
Arbeiten an der ebenfalls historischen Mönchsbrunnenquelle führten mich auf das Sindelfinger Vermessungsamt. Dort fand ich Pläne über die alte Wasserleitung zum Sindelfinger Marktbrunnen. Was war aus ihr geworden?
Folgendes ließ sich rekonstruieren:
Im Jahr 1908 war die Marktbrunnenleitung schon einmal renoviert worden. Dabei wurden die Teuchel durch Gussrohre ersetzt. Diese Gussrohre befinden sich bis heute in der Erde. Im Zuge der landschaftlichen Neugestaltung des Sommerhofentales vor der Landesgartenschau 1990 wurde diese Leitung teilweise unterbrochen. Danach floss das gesamte Quellwasser in den Sommerhofenbach. Eigentlich schade, dachte ich mir und entwickelte die Idee, die Brunnenschale im Rosengarten mit dem Quellwasser zu speisen.
Bevor das erste mal Quellwasser aus der Brunnenschale kam, gab es jedoch noch viele Schwierigkeiten zu überwinden. Immer wieder kam es zu Verstopfungen oder Leckagen. Mehrfach musste aufgegraben werden, um die Leitung an der defekten Stelle zu reparieren. Schließlich fanden wir eine gute Lösung: Auf 1280 Meter wurde in die vorhandenen Gussrohre ein Schlauch eingeschoben. Der Abschnitt beginnt bei der Hohenzollernstraße und endet am Springbrunnen im Sommerhofenpark.
Der jetzt betriebene Teil der Marktbrunnenleitung hat eine Streckenlänge von 2480 Meter. Das Wasser der Quelle im Wald fließt über 1200 Meter in den alten Gussrohren bis kurz vor die Hohenzollernstraße. An der dortigen Bachüberquerung ist eine Verteileranlage eingerichtet. Dort wird der Zufluss in die jetzt erstellte Schlauchleitung geregelt. Diese hat eine Länge von 860 Meter bis zur Brunnenschale im Rosengarten. Die Schlauchleitung besteht aus Polyethylen und hat einen Durchmesser von 32 Millimeter und über kurze Strecken von 40 Millimeter. Im Vergleich dazu hatten die Gussrohre einen Durchmesser von 65 Millimeter. Durch diesen geringeren Durchmesser entstehen größere Reibungsverluste. Die Folge ist eine etwas geringere Schüttung.
Dennoch bleibt an der Brunnenschale eine Schüttung von gut 300 Milliliter pro Sekunde. Dies ist mehr als für die Brunnenschale benötigt wird. Deshalb haben wir uns entschlossen, auch noch die beiden Springbrunnen und den Ausstellungsteuchel mit dem Quellwasser zu betreiben. Hierzu wurden weitere 420 Meter Schlauchleitung vom Rosengarten bis zu den Springbrunnen verlegt.
Die Karte zeigt den Verlauf der Marktbrunnenleitung aus dem Jahre 1558. Der Brunnen wurde ehemals aus einer über drei Kilometer entfernten Quelle im hinteren Sommerhofental gespeist. Bis zum Springbrunnen im Sommerhofenpark konnte die historische Leitung in renoviertem Zustand wieder reaktiviert werden. (Bild: Sindelfinger Baurechtsamt)
Im Springbrunnenbereich des Sommerhofenparks wurde ein Teuchel als Daueranschauungsstück voll funktionstüchtig aufgebaut. Anfangs hatten wir einen Original-Teuchel der alten Wasserleitung installiert, mussten diesen jedoch infolge mutwilliger Zerstörung durch einen Nachbau ersetzen.Insgesamt haben die Instandsetzungsarbeiten zwei Jahre gedauert. Unterstützt wurde ich vom Baurechtsamt, dem Regiebetrieb Stadtgrün, dem Wasserwerk und von der Firma Karl Walker. Was mich und alle, die mitgeholfen haben stets von neuem ermuntert hat, war der Wunsch, dieses Stück Sindelfinger Geschichte in das heutige Leben einzubinden. Nun speist die alte Leitung – wenn auch in renoviertem Zustand – die neuen Brunnen. Nur so kann das Wissen um dieses alte Handwerk und eine alte Form des Wassertransports weiter erhalten werden.
Wasserleitung anno dazumal: Als Anschauungsobjekt wurde im Springbrunnenbereich des Sommerhofenparks ein funktionstüchtiger „Teuchel“ aufgebaut. (Bild: Susanne Schmidt)
Bei dem Beitrag handelt es sich um die schriftliche Fassung eines Vortrags, den Walter Schleh anlässlich des Projektes “Brunnenträume“ der Sindelfinger Kulturinitiative Kultur am Stift am 18. Oktober 2003 im Rahmen einer Veranstaltung gehalten hat.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors