Die Sindelfinger Seemühle – mit einem Blick auf die anderen Sindelfinger Mühlen
Autor: Dr. Wolfgang Burr
Streitereien, die sich periodisch durch die Jahrhunderte verfolgen lassen, sind Zeugnis der Verhältnisse Sindelfingens, die bei sonst langwährender Trockenheit und Wasserarmut durch überraschend starke Sommergüsse die Bäche schwellen lassen und so die trügerische Hoffnung wecken, die Ausbeutung von deren Wasserkraft werde den Bau von Mühlenwerken rechtfertigen. Als Folge davon sind zu viele Mühlen mit viel zu geringer Leistungskraft in Konkurrenz. Was sich der eine als bauliche Verbesserung ausgedacht hat, geht gleich zu Lasten seines Oberliegers und auch der Eigentümer der ohnehin schon sumpfig sauren Wiesen. Wie die … Belege deutlich zeigen, ist die Seemühle selbst von diesen Streitereien1 weniger berührt - die Folge ihrer günstigen Lage.
Während die Riedmühle im Jahr 1297 Propst und Kapitel des Sindelfinger Stifts gemeinsam gehörte, die Bleichmühle nach dem ältesten Beleg wohl dem Propst zustand, über die Eigentumsverhältnisse von Bogstetter und Goldmühle aus dem Mittelalter nichts bekannt ist, war die Seemühle (am Klostersee) seit ihrem ersten Nachweis herrschaftliches Eigentum. Im Lagerbuch von 1495 wird über die Eigentumsverhältnisse der Sindelfinger Mühlen nichts gesagt, nur die Abgaben werden ausgeführt, die mit denen der späteren Lagerbücher übereinstimmen, wo es 1580 erstmals, einheitlich für alle Mühlen, heißt: „der Herrschaft eigen, des Inhabers Erbgut“. Die Herrschaft hat demnach auch die übrigen Mühlen im Lauf des Mittelalters auf unbekannte Art in ihre Hand gebracht.
Die Inhaber der Mühlen haben auffallend häufig gewechselt, so in der Goldmühle in weniger als 40 Jahren (1507-1545) mindestens siebenmal, in der Riedmühle im 100 Jahren (1450-1550) mindestens 13mal. Dabei sind diese Müller zwar teils untereinander verwandt, doch nicht direkte Erben. Auch teils von weither zugereiste Müller kommen vor. Der prominenteste Sindelfinger Müller ist zweifellos der bekannte Tübinger Staatsrechtslehrer und Professor Dr. Schweder, der um 1719 die Riedmühle besaß. Nun hat gewiß der Herr Professor nicht selbst am Mühlenrad gewerkt. Ob er die Mühle durch angestellte Mühlenknechte oder, was wahrscheinlicher ist, durch einen Pächter betrieb, dies zu wissen, wäre etwas mehr Licht auf die konkreten Lebensverhältnisse unserer Vorfahren, doch sind Verträge von Privatpersonen untereinander nur in Ausnahmefällen bekannt. … Das Beispiel von Professor Schweder zeigt jedoch, wie sich das Bürgertum schon vor der industriellen Revolution durch Kapitalanlagen in gewerblichen Unternehmen engagierte. Daß er oder die Erben sich schon sehr bald wieder zurückzogen, ist als Hinweis auf die orohydrographisch2 bedingt – mangelnde Rentabilität der Mühle zu werten.
Seemühle und Klostersee in den 30er Jahren. (Foto im Besitz der Familie Löhner)
Im Unterschied zum vorgenannten Beispiel der Riedmühle hat man es jedoch hier nicht mit reinen Kapitalanlegern zu tun: Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang, in dem die Namen genannt werden; besonders deutlich ist es bei den beiden Schübelin und nach dem Dreißigjährigen Krieg, als sich die Mühle im Familienbesitz verfestigt. …
Über die Berufsausbildung der Müller erfahren wir so gut wie nichts. In den Fällen, wo sich die Mühle vom Vater auf den Sohn vererbte, darf man sicher davon ausgehen, daß nicht nur das Eigentum, sondern auch das technische Wissen weitergegeben wurden. Allein von Seemüller Hans Klee, der nur zwei Jahre in dieser Mühle saß, hört man, daß er vor 1465 in der Rohrmühle in Böblingen gelernt hat. Der rasche Wechsel der Müller im 15. und 16. Jahrhundert darf daher nicht so verstanden werden, als seien sie ohne Fachkenntnisse ausgekommen: Die Müller wechseln nur die Mühlen, nicht den Beruf. So hatte Klee zuvor ein Jahr die Bleichmühle betrieben, der Dagersheimer Müller Henslin (1499) war vorher in der Riedmühle gesessen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Selbst dort, wo, wie bei Sebald Ruoff, ein anderer Beruf genannt wird, ist nicht mit Sicherheit zu sagen, daß er von Mühlen nichts verstand. Immerhin war er doch Tochtermann eines Müllers.
Bereits eingangs wurde erwähnt, daß Mühlen, teils unter Ausnützung der vorhandenen Wasserkräfte, teils auch wegen der Verfügbarkeit von Brauchwasser und der Möglichkeit, das Abwasser bequem wieder abzuschlagen, schließlich auch, weil ihre Lage im Außenbereich ein freieres Bauen zuließ als der Ortskern, mit der Industrialisierung häufig eine andere Funktion erhielten. Die verbliebenen Mühlen wurden durch Einsatz von Dampf und Elektrizität von der Wasserkraft zunehmend unabhängig, einige erweiterten ihre Kapazität, die meisten stellten den Betrieb ein. Diese allgemeinen Feststellungen gelten, freilich lokal modifiziert, auch für Sindelfingen.
Nachdem der Seemüller um die Mitte des 18. Jahrhunderts den See von der Herrschaft erworben hatte, war für ihn neben der Müllerei auch die Fischwirtschaft von einiger Bedeutung. Im 19. Jahrhundert wurde zunehmend mehr Bier gebraut und getrunken. Zur Konservierung benötigte man Eis im Gegensatz zu dem auch ungekühlt haltbaren Wein. Zur Eisgewinnung war deshalb im 19. Jahrhundert der See durch Dämme dreigeteilt, wobei die beiden westlichen Becken als Überlauf getrennt geflutet werden konnten. 1880 baute der Müller selbst östlich der Mühle einen Eiskeller, den er später noch erweiterte, vor allem 1912 durch einen Backsteinanbau. 1924 und 1925 wurde als Mosterei der Holzschuppen an der Seestraße errichtet, der bis zum Abbruch 1976 stand.
Im Jahr 1927 richtete Seemüller Kienle im See ein Schwimmbad ein, das die alte städtische Kaltbadeanstalt am Goldbach ablöste und Bestand hatte, bis nach dem Krieg die im Norden Sindelfingens entstehenden neuen Stadtteile die Reinheit des Zulaufs gefährdeten. Wie diese Anstalt steht auch der nächste Bau nicht direkt mit der Mühle, sondern nur mit dem See im Zusammenhang. Anknüpfend an die frühere Natureisgewinnung wurde 1928 eine mechanische Klareiserzeugungsanlage errichtet, die bereits zwei Jahre später erweitert wurde.
1930 wurde auch der Mühlenbetrieb eingestellt. Nachdem im Krieg bei einem Luftangriff der innerseits durch Korkplatten gegen die Sommerwärme isolierte Backsteinbau der Eiserei zerstört und der zunächst 1948 geplante Wiederaufbau aufgegeben waren, bestimmten die Ruinen über dreißig Jahre das Ortsbild.
Die Riedmühle, von der Wasserkraft gesehen, die beste der Sindelfinger Mühlen, besaß im 19. Jahrhundert auch eine Säge. 1895 erwog Riedmüller Hamm den Bau eines Wasserkraftwerks und empfahl der Stadt Elektrostraßenlicht, freilich ohne Erfolg. Im folgenden Jahr abgebrannt, wurde die Mühle 1897 mit dem modernsten Laufwasserwerk wieder aufgebaut. Schon 1910 jedoch nahm man Konsequenz aus dem häufigen Wassermangel und der zu niedrigen Kapazität – einen Dampfkessel in Betrieb. Neben der Mühle bestand noch eine Branntweinbrennerei, bis 1917/18 die Firma Daimler die Mühle übernahm, ihren Betrieb einstellte und bereits 1919-20 die meisten Gebäude und die Radstube abbrach. Baufällige Reste der Mühle standen noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg.
Bereits 1915 hatte als erste die Rößlesmühle, die jüngste unter den Sindelfinger Mühlen, zu mahlen aufgehört. Das Wassernutzungsrecht erwarb die Stadt (1919), die Grundstücke später die Färberei Schäfer, der langjährige Nachbar.
Als „Aidlinger Mühle“ bestand die Bleichmühle bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein 20PS-Elektromotor, schon vor dem Ersten Weltkrieg eingebaut, hatte ihr das Überleben gesichert. Sie wurde in den 50er Jahren abgebrochen. Zu sehen ist heute noch in den Anlagen am Gansackerweg ihr Ablaß in den Sommerhofenbach.
Als einzige von allen Mühlen steht heute noch, wenngleich nicht mehr als Mühle in Betrieb, die Goldmühle, nach einem Brand im Jahre 1893, dem ersten einer Serie von sechs großen Bränden in drei Monaten, denen im nächsten Jahr noch weitere Brände folgen sollten, wieder aufgebaut und neben einem Wasserrad mit Dampfkraft ausgerüstet, die nach dem Anschluß Sindelfingens ans Elektronetz durch Strom ersetzt wurde, hatte sie sechs Mahlgänge, das Doppelte der Bleichmühle, in Betrieb.
Alle Sindelfinger Mühlen leben in Straßennamen in der Erinnerung weiter.
Erstveröffentlichung: Sindelfinger Jahrbuch 1977; herausgegeben von der Stadt Sindelfingen
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Stadt Sindelfingen.
Referenz
↑1 | Als Beispiel für die dauernden Streitigkeiten mit der Nachbargemeinde Dagersheim erwähnt der damalige Sindelfinger Stadtarchivar Helmut Grässle, „dass am 22. August 1435 sechs wirtembergische und reichsstädtische Baumeister aufgeboten werden mussten, um einen Streit zwischen einerseits Stift und Stadt Sindelfingen und andererseits denen von Dagersheim wegen eines Mühlbaues der Dagersheimer und der Wasserführung dorthin zu schlichten. Denn die Dagersheimer Mühle war bei der geringen Wasserführung der Schwippe weitgehend davon abhängig, wie der Riedmüller das Wasser abließ. 1487 wurde hierwegen erneut ein Prozeß geführt. Der Streit zog sich noch Jahrhunderte lang hin, bis er 1916 durch Auflassung der Riedmühle und Verlegung des Mühlkanals gegenstandslos wurde. Ähnliche Vergleiche und Verträge mussten auch zwischen der Riedmühle und der Rohrmühle zu Böblingen und mit der Goldmühle geschlossen werden“. Zitiert aus: Helmut Grässle: „Aus der Geschichte der Sindelfinger Mühlen“. In: Aus Schönbuch und Gäu, hrsg. vom Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu e.V., Nr. 2, 1954, S.6. |
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↑2 | Die topographische Beschreibung eines Wasserlaufs |