Die Obere Mühle in Aidlingen
Autor: Karl Heß
Zwar wird [die Obere Mühle] erst 1495 im Lagerbuch erstmals genannt, aber bestanden hat sie wohl schon Generationen früher. (…) Aidlingen war ein ausgesprochenes Mühlendorf: Alle 5 Mühlen sind 1495 aufgeführt.1 Eine vergleichbare Entwicklung gibt es im Reichenbachtal zwischen Musberg und der Burkhardtsmühle im Aichtal, bekannt als Siebenmühlental. (…)
Vielfach bestand damals der sog. Mühlbann: Die Bauern durften nicht frei wählen, sondern waren verpflichtet, eine bestimmte Mühle zu benützen. (…) Die Ehninger Bauern, an denen die Würm vorbeifloss, die doch schon in Hildrizhausen, Altdorf und Mauren Mühlräder antrieb, mussten die Aidlinger Mühlen beschäftigen, und da Ehningen ein großer Ort war, hatten sie die Wahl zwischen der Furtmühle und der Brittermühle, wofür die Gemeinde aber eine jährliche Abgabe zu leisten hatte. Vor dem Dorf Ehningen standen zwei Wasserburgen, die das Wasser der Würm für den Verteidigungsfall anstauen mussten; damit scheint sich die Nutzung durch eine Mühle nicht vertragen zu haben.
Auch die Obere Mühle in Aidlingen war eine Bannmühle: Hierher waren die Gärtringer verpflichtet, die kein eigenes Gewässer für eine Mühle besaßen.
Zwischen Oberer Mühle und Brittermühle (die also nach ihrem Namen vor der schriftlichen Überlieferung eine Sägmühle gewesen sein muss) lagen an dem Bach der Aid zwei weitere Mühlen, die beide bis in die neuere Zeit noch in Betrieb waren: die frühere Schiffersmühle und die Fleckenmühle, welch letztere demnach in erster Linie für die Ortseinwohner da war. Müller des Namens Schifer finden wir in Aidlingen von 1495 bis 1634. Auf der Fleckenmühle sitzen um 1560 und bis 1625 Riethmüller, die wohl von der gleichnamigen Mühle in Sindelfingen kamen. (…)
Die Obere Mühle in Aidlingen. Der wuchtige Bau steht direkt an der Ortsdurchfahrt Richtung Deufringen. In alten Aufzeichnung findet sich für die Mühle oben im Dorf auch die Bezeichnung des Kleinen Mühle.
Die Obere Mühle lag an der Wette, einer Verflachung des Baches unterhalb der Brücke, die erst später errichtet wurde. Ursprünglich ging der Verkehr durch eine Furt; am nördlich ansteigenden Hang war das Furtholz, er war also früher bewaldet. Die Wette war Dorfweiher und Pferdeschwemme; ich entsinne mich, dass noch in den 20er Jahren Pferde dort hineingetrieben wurden. Die Obere Mühle lag vor dem nordwestlichen Ende des alten Dorfes, wie auch Brittermühle und Furtmühle (auch bei letzterer ging also der Verkehr ursprünglich durch den Bach), außerhalb Etters2 vor dem östlichen Ende des alten Dorfes lagen. (…)
Zwei Berufsnamen von Müllern begegnen uns im ältesten Lagerbuch von 1495: Der Hennslin Müller oder Millhensslin saß wohl auf der Fleckenmühle, und der Melhannss oder Mölhannss auf der Oberen Mühle. Diese heißt noch im Lagerbuch von 1581 auch des Kleinen Mühle; sie muss also Beziehungen zu einer Familie Klein gehabt haben. Sollte die Müller-Familie zuvor schon den Namen Klein getragen haben, ehe dieser von dem Berufsnamen Mehl verdrängt wurde? Diese Vermutung ist nicht von der Hand zu weisen, nachdem noch zu Beginn der Kirchenbücher (1558) der Besitzer der Oberen Mühle den Beinamen der Kleine oder genannt Klein führt. Im Lagerbuch von 1523 sitzt auf der Oberen Mühle der Meljakob; neben ihm gab es den alten Melhannss und den Melhannss. Nach den Kirchenbüchern sitzen Mehl (gewöhnlich in der Schreibweise Mel, Meel, Mell, Möll) noch bis zu den Seuchenjahren 1634/35 in Aidlingen. Sie sind vorwiegend Müller und Bäcker, welche Berufe früher eng verbunden waren und häufig auch in einer Person ausgeübt wurden.
Diese Entwicklung des Namens erklärt es auch, dass er für Aidlingen eigentümlich ist und sonst kaum vorkommt. (…)
Die in Aidlingen in den Kirchenbüchern vorkommenden Mehl sind nicht immer auseinander zu halten, da verschiedene Hans und Jakob vorkommen, die – außer dem Zweig auf der Oberen Mühle – gewöhnlich Bäcker sind.
Mindestens der Müller-Zweig muss sehr vermöglich gewesen sein. So heiratete die älteste Tochter Katharina des vor 1575 gestorbenen Oberen Müllers Jacob Meel genannt Klein 1589 den verwitweten Herrenberger Stadtschreiber Johann Stahel; ihre Schwester Maria verh. Michel Riem saß auf dem Stürners-Hof, während die Schwester Margaretha einen Bruder dieses Riem und Ursula 1567 den Jacob Paulus heiratete. Alles Namen der damals reichsten Bauern in Aidlingen.Der Wohlstand zeigt sich auch darin, dass der auf der Mühle folgende Hans Meel (1559 – 1615) damaliger Sitte folgend häufig zu Gevatter gebeten wird; er und seine Frau Anna sind wohl die häufigsten Taufpaten dieser Zeit! Ihre Tochter Maria heiratete 1611 Hans Wolf Mayer, Sohn des Zahlmeisters (Gutsverwalters) Jerg Mayer in Gärtringen. (…) Vom Ansehen und Vermögen der Familie des Zahlmeisters Jerg Mayer zeugen auch das Epitaph seiner 1655 gestorbenen Tochter Maria und die Stiftungen ihres Mannes Ulrich Oberans in der prachtvollen Gärtringer Kirche. Wolf Mayer war um 1630 einige Jahre Schultheiß in Aidlingen, auch ein Enkel bekleidete noch dieses Amt, doch scheint dann der 1862 ausgestorbene Mannesstamm dieser Familie rasch verarmt zu sein.
Von einer Aidlinger Bäckerlinie kam der 1609 geborene Sebastian Mehl, verheiratet mit einer Tochter des Furtmüllers Lienhard Schmid, die auf die Obere Mühle in Holzgerlingen kamen. Ihr Sohn Tobias Mehl (1651 – 1702) war Bäcker und Richter in Böblingen, wo bis heute Nachkommen Mehl leben.3
Während vor dem 30jährigen Krieg auf den Aidlinger Mühlen die Müllergeschlechter als Eigentümer für Generationen saßen, ändert sich das mit der Not dieses Krieges, wo viele alte Familien ausgestorben sind. Allein im Pestjahr 1635 verzeichnet das Kirchenbuch 310 Todesfälle, wohl die halbe Einwohnerzahl des Dorfes. Die Überlebenden waren ausgeplündert und verarmt. So kamen die Mühlen in die Hände auswärtiger Eigentümer und wurden von Bestandsmüllern (Mühlepächtern) betrieben, die selten auf einen grünen Zweig kamen und deshalb oft wechselten. So kamen durch die Müllerei viele neue Namen herein, so dass in der Aidlinger Familiengeschichte zu den alten Müller- und Bäckerfamilien wie Mehl, Riethmüller, Löffler und Hauser viele neue Namen kamen: Bauer, Becker, Frey, Maiter, Münsinger, Weinbrenner und Wintter. (…)
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung der Familie Heß und des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e. V.
Referenz
↑1 | Gudrun Emberger konnte für die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts sogar noch eine 6. Mühle ausmachen. |
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↑2 | Etter hieß der in der Regel geflochtene Zaun, der bis ins 19.Jahrhundert den gesamten Dorfkern umgab. Der Zaun sollte verhindern,dass das frei umherlaufende Vieh in die Felder hinauslief. Der Etter warauch eine Rechtsgrenze. |
↑3 | Vergl. Karl Heß Aufsatz Zur Geschichte der Böblinger Familie Mehl, in: Heimat Schönbuch und Gäu. Ausgewählte Beiträge zur Geschichte einer Landschaft und ihrer Menschen, Böblingen 1986, S. 167ff. |