Mars oder Mercur, Jupiter oder Apoll? – Der Torso aus Bondorf
Unter den geborgenen Skulpturfragmenten besticht der rundplastisch gearbeitete, männliche Torso.
Der nackte, freistehende Torso ist leicht unterlebensgroß. Die Plastik gibt das polykletische Schema wieder: Angabe der Linea alba, der Inscriptiones, der Leistenfalte sowie des Pubes mit den Haarlocken. Durch das linke, leicht nach hinter versetzte Spielbein zeigt sich eine Hüftverschiebung auf der rechten Seite. Das linke Bein steht auf den Fußzehen. Der linke Fußzeh und die antike Basisunterkante fehlen. Der linke Arm war körpernah gesenkt gehalten und lag am rechten Oberschenkel an. Geringe Reste dieser Handhaltung sind am rechten Oberschenkel erkennbar. Der rechte Armkugelansatz deutet eine Armhaltung in Schulterhöhe an. Reste einer an die Figur geführten Stütze sind nicht zu erkennen. Bei der Ergänzung wurden das rechte Bein und die Plinthe hinzugefügt. …
Als Darstellung welcher Gottheit ist der Torso anzusprechen? Denkbar sind die Gottheiten Jupiter, Hercules, Apollo, Mercur und Mars. … Die Gottheit des Bondorfer Torso ist nicht mit letzter Sicherheit zu bestimmen. Die fehlenden Attribute lassen eine eindeutige Ansprache als Apollo, Mercur oder Mars nicht zu, wenngleich das Vorbild des nackten Marstypus am nächsten erscheint.
Die gute, anspruchsvolle Arbeit spricht beim Bondorfer Torso für einen Steinmetzen, der in einer der größeren Provinzstädte gelernt und gearbeitet hat. Wo sich die eigentliche Werkstatt befand, entzieht sich unserer Kenntnis; im nahen Rottenburg findet sich unter den erhaltenen Skulpturen jedenfalls kein vergleichbar qualitätsvolles Stück.
Der Bondorfer Torso deutet darauf hin, dass dieser an griechisch-römischen Vorbildern orientiert war, und möglicherweise einem polykletischen Statuentypus, dem „Diadumenos“, nachempfunden ist. … Das Standmotiv mit dem weit zurückgesetzten Spielbein, das einen räumlichen Eindruck vermittelt, könnte für eine Datierung in die 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. sprechen. … Der Bondorfer Torso mag danach um die Jahrhundertwende gefertigt worden sein, zu einem Zeitpunkt, wo dem Auftraggeber die nötigen Finanzmittel für eine derart qualitätvolle Steinmetzarbeit zur Verfügung standen. …