Publizist – Dichter – Revolutionär
August Schäfer – Der erste Demokrat Sindelfingens
Autor: Dr. Fritz Heimberger
August Schäfer (1805 - 1837) gehörte einer Familie an, welche erst zwei Generationen zuvor aus Maichingen nach Sindelfingen eingewandert war. (…) August Schäfer war also bereits ein echter Sindelfinger und seine guten Anlagen zeigten sich schon frühe. In den damaligen ländlichen Verhältnissen aber gab es für einen gut begabten Jungen nur eines, wenn er fortkommen wollte: Er musste Theologe werden. So sollte auch der junge August Schäfer Pfarrer werden, und das bedeutete eben, dass er nach der Konfirmation das sogenannte Landexamen bestehen musste, um hernach eine der Klosterschulen besuchen zu können und die Universitätsreife zu erlangen. Der junge Schäfer ging jedoch noch einige Zeit in die Sindelfinger Lateinschule und dann drei Jahre lang in das Stuttgarter Gymnasium. (…)
Trotz des frühen Todes reichte das, was Schäfer gewirkt hat, aus, ein scharf umrissenes und ausführliches Lebensbild zu zeichnen. Mit dem Autor der „Revolution“ gelangte erstmals ein Glied der handwerklichen und kleinbürgerlichen Welt unserer engeren Heimat zu geistiger Tätigkeit und politischem Einfluß, ganz anders geprägt als die vorhergehenden großbürgerlichen Honoratioren. Wie er sich aus den Banden von Tradition und gewohnter Umwelt löste, politisch bildete und dem Gemeinwesen zu dienen suchte, bemühte er sich auch, das ihm nahestehende Volk zu befreien und politisch mündig zu machen. Daher sind seine Ideale und Anschauungen weniger liberal als vielmehr demokratisch.
Tradition, das wäre ein handwerklicher Beruf, etwa die Weberei des Vaters oder aber der Aufstieg zu dem in Württemberg so hoch geschätzten Theologen, gewesen. Beides verschmähend, widmete sich der junge Mann der Schriftstellerei, als Übersetzer (z.B. der Romane von Walter Scott) die Brücke von seiner deutschen Heimat zu westeuropäischer Geisteswelt schlagend. Erstaunlich zeitnah für uns entzündet sich an der Gestalt des aus einer Staatsumwälzung hervorgegangenen „Volksdespoten“ Napoleon und an seiner menschliche Not nur schlecht verhüllenden Kriegslust das Ideal Schäfers nach gesetzlicher Freiheit in einem zugleich liberalen und demokratischen Staat. (…)
Titelseite des Schäferschen Romans „Die Revolution“, Mannheim 1835
Die Ereignisse des Jahres 1830 brachten dann echte Volksbewegung und Revolution in das Blickfeld Schäfers. Die Juli-Revolution hatte jedoch nicht nur in Frankreich und Polen ihre Folgen, sondern schien auch in den deutschen Staaten eine freiheitliche Entwicklung anzubahnen. Er hoffte auf eine allgemeine europäische Bewegung mit Frankreich an der Spitze. Um dem Schauplatz des Geschehens in Württemberg näher zu sein, verlegt Schäfer noch 1831 seinen Wohnsitz nach Stuttgart. (…) Der unglückliche Ausgang des polnischen Freiheitskampfes machte den Publizisten zum Dichter und regte seine eigene Produktion an. Der junge Publizist schloß sich der radikalen (liberalen) Partei an, er betrug sich jedoch unauffällig und gab sich weiterhin lediglich mit Übersetzungen und sonstigen literarischen Arbeiten ab. Als Schäfer sah, dass die liberale Bewegung in Württemberg sich nicht durchsetzen konnte und erlahmte, die Reaktion aber erstarkte, verließ er Stuttgart wieder. (…) 1833 war er das letzte Mal bei seinen Eltern in Sindelfingen und am 24. Juni 1834 ließ er sich vom Amtsgericht in Böblingen einen Reisepaß nach Landau, Straßburg und Heidelberg ausstellen. [Er] rückt nun auch räumlich dem Land seiner Träume – Frankreich – durch die Übersiedlung nach Baden immer näher. Er setzte sich mit dem Gedanken der politischen Notwehr und der revolutionären Erhebung auseinander und seine staatspolitischen Auffassungen wurden immer radikaler. (…)
Schließlich zieht ein großer Roman das Fazit: „Die Revolution“ soll die große Wende bringen. Jede Art von Monarchie wird (hier) verworfen, die Einführung der einzig angezeigten demokratischen Republik auf revolutionärem Wege versucht. Aber die politische Halbheit der offenbar zeitgemäßeren „konstitutionellen Monarchie“ siegt in diesem Roman. Freiheit gibt es nur für europamüde Auswanderer jenseits des Atlantiks in den Vereinigten Staaten von Amerika. Schäfer selbst zieht die Auswanderung nach Frankreich vor. (…)
Auszug aus den Sindelfinger Gemeinderatsprotokollen des Jahres 1824. Der Text lautet: “Jacob Friedrich Schäfer, Weber, bittet um einen Beitrag zu den Kosten, welche sein in dem Gymnasium zu Stuttgart befindlicher Sohn August Schäfer verursacht, aus dem Reuffschem Stifft (= Reuffsche Stiftung).
Dem Schäfer aus dem Stifft zwanzig fünf Gulden angewiesen“.
(Foto: Stadtarchiv Sindelfingen)
Trotz des in Baden zu Gunsten des Verfassers entschiedenen Prozesse hielt die Kreisregierung (in Ludwigsburg) die vorläufige Beschlagnahme der Schrift für begründet und beschied hienach die Stadtdirektion Stuttgart und durch sie diejenigen Oberämter, in deren Bezirk Buchhandlungen bestanden. Bei den Nachforschungen nach Schäfer konnte die Stadtdirektion Stuttgart zunächst nur ermitteln, daß sich ein August Schäfer aus Sindelfingen 1831-1833 in Stuttgart aufgehalten hatte. Der Kriminalsenat wandte sich nun an das Oberamtsgericht Böblingen und trug ihm auf, zusammen mit dem Oberamt und dem Stadtschultheißenamte Sindelfingen herauszubringen, wo der Württemberger August Schäfer seinen temporären Aufenthalt habe. Nun ordnete der Kriminalsenat den Erlaß von Steckbriefen an. So erschienen denn die Steckbriefe mit dem Ersuchen an alle Polizeistellen, auf Schäfer zu fahnden und ihn auf Betreiben hierher (nach Böblingen) einliefern zu lassen. (…)
Als der Esslinger Gerichtshof im November 1837 die Beschlagnahme (einer Übersetzung August Schäfers) aufhob, weilte dieser bereits nicht mehr unter den Lebenden. Als der Totenschein dann Ende August 1838 vorlag, wusste man endlich, dass der ledige Lehrer (professeur) August Schäfer am 15. November 1837, morgens sechs Uhr in Straßburg fern der Heimat erst 32jährig gestorben war und sich so allen Verfolgern und Steckbriefen entzogen hatte. (…)
So ist Schäfer ein echter Vertreter der politischen und geistigen Bewegung des Jungen Deutschlands gewesen, welche anstelle eines liberalen, mit der Monarchie verbundenen Honoratiorenstaates die demokratische Republik erstrebte, dabei aber doch an den traditionell herrschenden Gewalten, nämlich den Fürsten in Deutschland nicht vorübergehen konnte, was ihr Verhalten notwendigerweise oft schwankend und zweideutig machte. Noch ist die Freiheit in deutschen Landen wichtiger als die Einheit: Schäfer spricht wohl viel von einer freiheitlichen Republik, aber nie ausdrücklich von einem deutschen Einheitsstaat!
Für eine Veranstaltung der Initiative „Kultur am Stift“ am 2. Juli 2013 im Sindelfinger Stiftshof, entstanden fünf kleine Filme mit fiktiven Statements von Zeitgenossen August Schäfers (1807-1837). Gedreht wurden die Filme von Hans Knauß, Mitglied im Film- und Video-Amateur-Club Sindelfingen e.V. Diese Filme, die auch in einer Veranstaltung mit Schülern eingesetzt wurden, können Sie hier aufrufen. Die Laufzeit beträgt jeweils fünf bis sieben Minuten.
Titelseite einer Walter-Scott-Erzählung, übersetzt und mit einem Vorwort versehen von August Schäfer, erschienen 1826 im Verlag Gebrüder Franck, Stuttgart.
Erstveröffentlichung: Sindelfinger Jahrbuch 1973, S. 218 - 258.
Der Text wurde gekürzt und an einigen Stellen zusammengefasst.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Familie Heimberger.
Der Autor, Dr. Fritz Heimberger, war Historiker und arbeitete viele Jahre im Auftrag des Landkreises Böblingen in der Funktion eines Kreishistorikers.