Zur Schulgeschichte von Tailfingen
Von eigensinnigen, schwachen und fleißigen Schulmeistern
Autor: Felix Burkhardt
Bereits im Jahre 1539 trugen die Tailfinger Verlangen nach einem Schulmeister. Die Bauern hätten gern einen Einheimischen zum Schuldienst angenommen, wenn nur einer von ihnen lesen und schreiben gekonnte hätte. Da aber anscheinend niemand im Ort mit diesen Künsten recht vertraut war, nahmen sie mit einem Pfälzer vorlieb, der bis dahin in Dagersheim neben seinem Weberhandwerk die teutsche Schule gehalten hatte. Als Schulmeister und Mesner diente er nun den Tailfingern. (…)
Georg Burscher war 1581 Schulmeister im Ort. Er bereitete den Tailfingern keine reine Freude. 1582 klagte man, er ginge alle Samstage nach Herrenberg und käme „nit ohngesehen“ heim, versehe auch zur Vesper das Geläut nicht. Im Amt sollte er sich sonst geflissentlich gezeigt haben, doch warf man ihm vor, er halte nicht wohl haus und lasse sich bei der Zeche finden. Weil er sich des Zehrens nicht enthalten konnte, geriet er in Schulden. Zu Martini 1586 wurde er entlassen und Georg Röhrlin (Rörlin) kam an seine Stelle.
Der neue Schulmeister zeigte sich fleißig im Dienst. Nur war er ein eigensinniger Mann, der sich vom Pfarrer und seinen Mitbürgern nichts sagen ließ. Wenn man auch auf sein Alter Rücksicht nahm, so konnte doch sein Verhalten nicht ungerügt bleiben. Es wurde ihm bedeutet, dass er sich mäßigen müsse; man werde ihn sonst nicht Meister werden lassen. Die Besserung, die er versprach, hielt nur kurze Zeit an. Verärgert musste die Gemeinde erfahren, dass er ungefragt und nach eigenem Gefallen die Kapelle auf dem Friedhof abgedeckt und mit den Latten seines Krautgartens eingefriedigt hatte. Ohne Ursache hatte er die Schulwiese umgegraben und zu weit gegriffen, dass er deswegen in Strafe fiel. 1590 kündigte man ihm seine Entlassung an; der Schulmeister bedauerte diese Maßnahme sehr und versprach „Emendation“ (Verbesserung) seiner eigensinnigen Weise. Ein eigensinniger Kopf bleibt aber gern ein eigensinniger Kopf. … Nach abermaliger Verwarnung wurde er seines Dienstes enthoben. (…)
Von Schnait im Remstal kam Johann Erhard Volland 1599 nach Tailfingen als Schulmeister. Der 50-jährige Mann hatte 1601 20 Schüler, die nur im Winter unterrichtet wurden. Der Ort besaß damals wohl 600 Einwohner. …
Volland erfüllte die gestellten Anforderungen nicht. Er besaß nur eine schwache Stimme und konnte den Kirchengesang nicht führen; in der Schule zeige er sich etwas unfleißig, auch das Unterrichten hatte er nicht immer sorgfältig geübt. Weil er ein armer und am Leib schwacher Mann war, sich öffentlich demütigte und Besserung versprach, wollten die Tailfinger noch ein Jahr zusehen und Geduld mit ihm tragen. Nach Jahresfrist zeigte sich, dass er nicht tauglich für den Kirchengesang geworden war. In der Schulstube hatte er keinen Fleiß bewiesen, hatte vagiert1 und war mit liederlichen Sachen umgegangen und hatte die Schule versäumt. Die Kinder wurden von ihren Eltern in die benachbarten Orte geschickt, da in diesen die Schule besser bestellt war.
Bei der Schulvisitation 1602 beantragten die Tailfinger, den Schulmeister abzuschaffen und dem Flecken zum Nutzen eine taugliche Person einzusetzen. …Ein studierter Mann, der M. Johann Ziegler aus Wildberg, 25 Jahre alt, zeigte sich 1603 als die gewünschte taugliche Person. Er hatte in Tübingen studiert und 1597 die Magisterwürde erworben. Mit ihm waren die Tailfinger zufrieden. (…)
Am 14. August 1635 wurde Jung Hans Sattler von Nebringen Schulmeister. Er hielt auch in den letzten Kriegsjahren aus. 1641, der Ort hatte nur noch etwa 150 Einwohner (…), wurde er seines Fleißes halber gelobt. Über die Jahrzehnte diente Sattler, der Bauer von Beruf war, der Gemeinde als Schulmeister und Gerichtsschreiber. Die Gemeinde hatte allen Grund, mit ihm zufrieden zu sein. Er gab einen guten Unterricht, war fleißig in seinem Amt und führte ein unsträfliches Leben. 1653, als der Ort wieder auf 284 Einwohner angewachsen war, hatte er 24 Knaben und 9 Mädchen zu unterrichten. 1661 waren es 35 Knaben und 20 Mädchen. Er hielt auch im Sommer Schule, anfangs 2 Stunden wöchentlich, dann 2 Stunden täglich.
Die Gemeinde lohnte seine treuen Dienste. Als er 67 Jahre alt war, sah und hörte er schlecht. Der Pfarrer nahm sich der Schule an und musste einen wesentlichen Teil der Schularbeit verrichten. Wegen seiner so lange geleisteten Dienste bat die Gemeinde, man möge sich noch ein Jahr mit ihm gedulden. (…)
Um 1697 wurde Eitel Thomas Rieckh Schulmeister, Mesner und Gerichtsschreiber. Er stammte aus Öschelbronn, hatte das Schneiderhandwerk erlernt und war bei Dienstantritt 30 Jahre alt. Seine gute Handschrift empfahl ihn als Gerichtsschreiber und Schulmeister. Sein Lehramt versah er fleißig, nur im Gesang war er schwach. Als später eine Orgel in die Kirche kam, trat dieser Mangel nicht mehr so stark in Erscheinung. Da er ein ehrbares Leben führte, erwarb er sich die Achtung der Bürger.
Seine Hauptarbeit hatte er im Winter zu leisten. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hielt man hier die Winterschule täglich; sie begann am Gallustag (16. Oktober) und endete zu Georgi (23. April). Im Sommer brauchten die Kinder nur am Dienstag und Donnerstag in die Schule kommen. 39 Knaben und 27 Mädchen besuchten 1726 die Schule; Tailfingen hatte damals 356 Einwohner, Nebringen zählte 180 Einwohner.
Im Alter von 60 Jahren erkrankte er; er nahm seinen Schwiegersohn Hans Jakob Haug als Amtsnachfolger an. … Haug, ein Zimmermann von Wolfenhausen, geboren am 12.6.1701, brachte Erfahrungen im Unterrichten mit. Er hatte 12 Winter auf dem Schwarzwald hin und wieder Schule gehalten.
Bei der Schulbesichtigung 1730 stellte der Visitator fest, Haug habe gute Gaben für das Unterrichten, schreibe orthographisch, halte die Jugend besser an als der alte Schulmeister, sei auch ein guter Präcantor (Vorsänger); es wurde ihm aber der Rat gegeben, er solle nachts mehr daheim bleiben. Haug beherzigte den Rat, dass man 1731 in den Bericht schreiben kannte: „hat nächtliches Auslaufen unterlassen“.
Neun Jahre hatte Haug seinem Schwiegervater beigestanden, bis dieser, nun 70 Jahre alt, auch zum Dienst nicht mehr kräftig genug, auf Zuspruch die Schul- und Mesnerstelle ihm übertrug mit allen Salarien (Dienstbezügen), einige ausgenommen. An Sonn- und Feiertagen hielt er Sonntagsschule mit den schulentlassenen ledigen jungen Leuten, die noch nicht 24 Jahre alt waren. Die durch Synodal-Reskript vom 13.1.1739 eingeführte Sonntagsschule versammelte nach dem Gottesdienst die jungen Leute. Mit ihnen wiederholte der Schulmeister das in der Schule Gelernte; auch Schriftproben mussten vorgezeigt werden.
Nach 30jähriger Tätigkeit überließ Schulmeister Haug die Dienste seinem Sohn Johannes Haug, geb.1734. … Mit Genehmigung des Herzogs resignierte Schulmeister Johannes Haug 1786; sein Sohn Johann Jakob Haug, geb. 1766, wurde als Nachfolger bestätigt. Sein Vater sollte, so wünschte es die Gemeinde, noch in der Schule assistieren; der Pfarrer war damit nicht einverstanden. Der resignierte Schulmeister ging jedoch seinem Sohn nicht nur zuweilen beim Schulhalten zur Hand, er sang auch beim sonntäglichen Gottesdienst vor. Selbst der Großvater des Schulmeisters, der einstige Zimmermann und Schulmeister Johann Jakob Haug, besuchte noch im Alter von 80 Jahren die Kirche und sang mit, wie er es gewohnt war. (…)
Der Schulmeister, der sein Amt zur Zufriedenheit der Behörde führte, verfügte über ein gutes Einkommen und Vermögen. Der Dekan musste ihn zurückhalten, sein Vermögen nicht zu eifrig zu vermehren. Er betätigte sich als Landfuhrmann, handelte mit Hafer und versuchte, außerhalb des Ortes Beständer (Pächter) zu werden. Seine Vorgesetzten meinten, er solle an Stelle des Handelns nützliche Bücher lesen, um sich so für sein Amt tüchtiger zu machen. (…)
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e.V.
Literaturhinweis:
Johann Michael Bruhn
Die frühe Lehrerfortbildung im jungen Königreich Württemberg.
Wissenschaftliche Arbeit für die Diplomprüfung in Erziehungswissenschaft Studienrichtung Erwachsenenbildung an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.
Die Arbeit wurde im Internet publiziert: http://www.jmbruhn.de/
Die hier beschriebene Zeit von der Reformation bis um 1800 kannte noch keine so gründliche und planmäßige Lehrerausbildung. Wohl war Württemberg mit der Großen Kirchen- und Schulordnung Herzog Christophs im deutschen Volksschulwesen vorangegangen. Bis in unser Jahrhundert herein blieb aber die Schule ein Kind der Kirche. Das Kirchenvermögen hatte zum Bau und Unterhaltung der Schulgebäude wie zu der meist bescheidenen Besoldung der Schulmeister beizutragen, die der Aufsicht des Pfarrers unterstanden. Weil sie aus den eingezogenen Kirchenpfründen bezahlt wurden, mussten die Schulmeister auch durch Jahrhunderte den Mesnerdienst versehen; sie mussten die Kirchenglocken läuten, die Kirchturmuhr aufziehen, bei Kindstaufen, Hochzeiten und Beerdigungen aktiv mitwirken.
Zunächst ging es im Unterricht – der wohl bis lange nach dem 30jährigen Krieg nur im Winter stattfand – um Lesen, Sprüchelernen und Singen, vor allem zur Kenntnis der Bibel und Mitwirkung im Gottesdienst. Schon das Schreibenlernen der Mädchen erregte weithin Widerspruch der Eltern, weil sie es für unnötig ansahen. Regelrechte Protestaktionen gab es später bei der Einführung des Rechnens.
Durch Jahrhunderte wurde das Schulhalten als Nebenberuf durch Handwerker betrieben; kein Wunder, dass mehr Handwerkerdrill als Denkschulung angestrebt wurde. Begabte Schüler kamen unter Mitwirkung des Pfarrers als Lehrling, „Incipient“ zu einem Schulmeister, später konnten sie dann als Geselle, „Provisor“ genannt, an einer größeren Schule tätig seih, bis sie zum Schulmeister gewählt und vom Konsistorium nach einer Prüfung bestätigt wurden. …
Quelle: Vorwort zu den Beiträgen zur Schulgeschichte des Kreises Böblingen von der Reformation bis um 1800, Böblingen 1971.
Referenz
↑1 | vagieren (lat.) umherschweifen, bummeln, sich unstet bewegen |
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