Arbeitskampf 1896 gibt Anstoß zur Gründung einer zweiten Schuhfabrik
Schuhfabriken in Leonberg
Autoren: Christel Bender, Bernadette Gramm, Irene Henschke, Ingeborg Hertig, Erwin Müller, Aleander Schmid, Michael Vogl
Egidius Schmalzriedt hatte 1876 in Schwieberdingen ein eigenes Geschäft gegründet. Von dort zog er nach Mönsheim und hatte 1885 eine kleine Fabrik mit 40 Personen. Da Leonberg im Gegensatz zu Mönsheim Anschluß an die Eisenbahn hatte, erwarb Schmalzriedt 1885 an der heutigen Bannhofstraße ein Grundstück und erbaute ein Wohnhaus und ein Fabrikgebäude. Im August 1886 begann die Fabrikation in Leonberg. In den Jahren 1890 und 1900 wurde das Anwesen erweitert. Auch gingen 2 Gerbereien in Schmalzriedts Besitz über. 1896 arbeiteten 220 Personen für Schmalzriedt.
1912 wurde der Betrieb von der 2. Generation – Egidius und Karl Schmalzriedt – übernommen und zur OHG (Offene Handelgesellschaft) umgewandelt. In der Zeit vor dem ersten Weltkrieg hatten die Schmalzriedts schwer unter dem Druck der in Kornwestheim ansässigen Salamander-Werke zu leiden. Erst ab 1937, nun unter der Führung des Egidius der 3. Generation, ging es mit der Leonberger Schuhfabrik wieder aufwärts.
1957 traten die Brüder Burkhardt, Rolf und Kurt Dinkelacker in das Unternehmen ein. Die Firma wurde nun umbenannt in: ALBANO-Schuhfabrik, Dinkelacker + Schmalzriedt KG, Leonberg. Von den ehemaligen Gebäuden ist nur noch eines vorhanden, in dem heute das Notariat seinen Sitz hat.
Am Freitag, den 28. August 1896 legten ca. 200 Arbeiter und Arbeiterinnen der Schuhfabrik Schmalzriedt gegen 13.00 Uhr die Arbeit nieder. Nur 13 Personen schlossen sich nicht dem Ausstand an. Damit nahm der wohl einzige markante Arbeitskampf Leonbergs vor der Jahrhundertwende seinen Anfang. Während Schmalzriedt zu keiner Zeit zu Verhandlungen bereit war, versuchte die Arbeiterschaft immer wieder zu einer Einigung zu gelangen, scheiterte aber immer an der ablehnenden Haltung Schmalzriedts. Da sich die Leonberger Zeitung und der Glems- und Würmgaubote mit Informationen und Kommentaren sehr zurückhielten, ist die Ursache des Streiks nicht mehr genau festzustellen. Man kann jedoch annehmen, daß die Schuhmacher wegen der 14 Tage zuvor erfolgten Entlassung einiger, dem hiesigen Fachverein für Schuhmacher angehörenden Arbeiter die Arbeit niederlegten.
Am 30. August reagierte Schmalzriedt und ließ in der Leonberger Zeitung mitteilen, daß er zu keinen Verhandlungen bereit sei. Sobald 150 Personen wieder arbeiten würden, bliebe die Fabrik für die restlichen 70 für immer geschlossen.
Die Leonberger Schuhfabrik Schmalzriedt in der Bahnhofstraße. Bei ihrer Eröffnung im Jahre 1886 beschäftigte sie bereits 70 Arbeiter. 1901 wurde sie erweitert. Zwischen dem alten und dem neuen Gebäude gründete der Besitzer ein sog. Mädchenheim für auswärtige Arbeiterinnen, in dem die Frauen durch eine Schwester des Stuttgarter Diakonissenhauses im Kochen und in Haushaltsführung unterrichtet wurden. (Foto: Stadtarchiv Leonberg/Sammlung Morlok)
In zwei öffentlichen Volksversammlungen, am 31. August und am 7. September, legten die Schuhmacher ihren Standpunkt dar. Zu der Forderung nach Wiedereinstellung der entlassenen Arbeiter kamen die Forderungen nach Verbesserung der Lohnverhältnisse, Revision der Akkordsätze, gesetzliche Durchführung des Krankenkassenwesens, Einführung von Schutzvorrichtungen und der Errichtung eines Ankleideraumes für Arbeiterinnen hinzu.
Die Ausweitung des Forderungskataloges ging wohl auf das Auftreten auswärtiger Funktionäre des Schuhmacherverbandes zurück, die nun ins Geschehen eingriffen und der Auseinandersetzung ihren Stempel aufdrückten. Dadurch bekam der Streik eine politische Note, auch wenn dies immer wieder bestritten wurde.
Zwischen den beiden Volksversammlungen hatte das Stadtschultheißenamt am Mittwoch, den 2. September eine Vermittlung der beiden Lager versucht, die aber scheiterte, da Schmalzriedt es vorzog, wegzubleiben. Er verschärfte den Konflikt sogar noch, indem er am 3. September in der Leonberger Zeitung feststellte, daß nur er in seinem Betrieb Lohnkommission sei. Andere Vermittlungsversuche verbitte er sich. Außerdem habe er jetzt 30 Personen für immer entlassen. Wer arbeiten wolle, sei willkommen.
Die fortgesetzten Drohungen Schmalzriedts verfehlten ihre Wirkung nicht. Am 31. August hatten bereits wieder 50 Arbeiter die Arbeit aufgenommen, und am 9. September waren es gar schon 8 Buchhalter und 95 Arbeiter, die dem Ausstand den Rücken kehrten.
Stellungnahme Schmalzriedts in der Leonberger Zeitung vom 3. September 1896. (Foto: Stadtarchiv Leonberg)
Da ein Ende des Konflikts nicht abzusehen war und die Ausständigen zusehends an Stärke verloren, beschlossen sie die Errichtung einer zweiten Schuhfabrik in Leonberg.
Eine Kommission wurde beauftragt, sich nach Maschinen umzusehen, und am 9. September wurde für 19.500 Mark das Färber Laurer’sche Anwesen in der Eltinger Straße gekauft. Dort war eine Dampfmaschine vorhanden, und bis das Anwesen für die Schuhfabrikation umgerüstet war, wurde von den Schuhmachern zuhause oder in gemieteten Räumlichkeiten die Produktion begonnen.
Man arbeitete auf genossenschaftlicher Basis und gab sich den Namen: „Süddeutsche Schuhfabrik Leonberg. Eingeschriebene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht.“ Woher allerdings die Mittel für den Kauf der Maschinen und des Anwesens stammten, ist nicht bekannt.
Am 17. September, 20 Tage nach Ausbruch des Streiks, arbeiteten wieder über 150 Personen bei Schmalzriedt und die Genossenschaft hatte die Arbeit bereits aufgenommen. Damit neigte sich der Schuhmacherausstand dem Ende zu. Am 20. September hielt wohl auch Schmalzriedt die Auseinandersetzung für beendet, denn er bewirtete nach „überstandenen Kämpfen“ sein ihm verbliebenes Personal in einer Leonberger Gaststätte mit Speisen und Getränken.
Das Experiment einer neuen Schuhfabrik auf genossenschaftlicher Basis schlug nach einem Jahr fehl. Das Unternehmen, für welches der Schuhmachermeister Christian Popp verantwortlich zeichnete, wurde im September von dem Backnanger Lederfabrikanten Karl Käß übernommen. Fabrikant Käß hatte auch vorher schon der Süddeutschen Schuhfabrik mit Krediten unter die Arme gegriffen und produzierte nun mit dem bisherigem Mitarbeiterstab weiter. Dabei bewegte sich die Zahl der Mitarbeiter ständig zwischen 60 und 150 Personen.
1901 trat Wilhelm Käumlen in den Betrieb ein und übernahm diesen 1910 als Eigentümer. Käumlen leitete die Firma über beide Weltkriege hinweg. Er erhöhte das Fabrikgebäude um ein drittes Stockwerk und ließ Fabrikschornstein und Kesselhaus entfernen. Dafür baute er 1928/29 neben dem Fabrikgebäude ein Wohnhaus.
1946 hätten 140 Arbeiter mit den vorhandenen Maschinen täglich 600 – 700 Paar Schuhe herstellen können. Doch der allgemeine Ledermangel ließ dies nicht zu. Zur selben Zeit kamen zuerst Erich Hägele, dann 1949 Alfred Kercher als Gesellschafter hinzu.
1949 gründete Karl Sauerwein noch eine 3. Schuhfabrik in Leonberg. Die Firma mit rund 100 Mitarbeitern hatte die Auflage, Heimatvertriebene – überwiegend ungelernte Arbeitskräfte – in ein unkündbares Arbeitsverhältnis aufzunehmen.
Das Färber Laurer’sche Anwesen in der Eltinger Straße in der im September 1896 die Süddeutsche Schuhfabrik Leonberg gegründet wurde. Das zweistöckige Fabrikgebäude aus Backstein wurdde 1898 angebaut. (Foto: Stadtarchiv Leonberg/Sammlung Morlok)
Das 1898 errichtete Ziegel-Gebäude der alten Schuhfabrik ist ein typisches Zeugnis der frühen Industriearchitektur und – leider auch in Leonberg – das „letzte seiner Art“. Es steht stellvertretend für die Anfänge der Leonberger Industriegeschichte und beherbergt seit seiner Schließung vor über 40 Jahren eine der tragenden Säulen des örtlichen Kulturbetriebs, das „Künstlerhaus Leonberg“. Lesen Sie hier eine kurze Zusammenstellung seiner Geschichte.
Von der Färberei zur Schuhfabrik und zum Künstlerhaus - Eine kurze Geschichte
1821 | Der Steinhauer und Werkmeister Jung Heinrich Haueisen errichtet ein zweistöckiges Haus mit zwei Wohnungen und Scheuer auf der Lamter. |
1856 | Nach Zwischenbesitzern (ein Oberamtsgerichtsbeamter und ein Architekt) kaufen Färber das Anwesen und bauen ein Farbhaus an. |
September 1896 | Als Reaktion auf die unnachgiebige Haltung des Leonberger Schuhfabrikanten Egidius Schmalzriedt während eines Arbeitskampfs in der Schuhfabrik Schmalzriedt in der Bahnhofstraße beschließen ausgesperrte Arbeiterinnen und Arbeiter, ihre eigene Schuhfabrik zu gründen. |
Oktober 1896 | Der „Färbereibesitzer“ Gottlieb Laurer verkauft dem Schuhmachermeister Christian Popp für 19.500 Mark sein Anwesen an der Eltinger Straße 11. Dort setzen die ausgesperrten Arbeiter/innen ihre übergangsweise begonnene Heimarbeit in Form einer genossenschaftlich organisierten Fabrik fort. |
September 1897 | Ein Kreditgeber, der Backnanger Lederfabrikant Karl Käß, übernimmt Gebäude und Mitarbeiter. |
1898 | Karl Käß lässt an Stelle des abgebrochenen Farbhauses ein massives zweistöckiges Fabrikgebäude errichten: Grundlage für das heutige Aussehen. |
1910 | Wilhelm Käumlen wird neuer Eigentümer und leitet die Firma über beide Weltkriege hinweg. Er erhöht das Fabrikgebäude um ein drittes Stockwerk und lässt Fabrikschornstein und Kesselhaus entfernen. |
1928/29 | Käumlen baut neben dem Fabrikgebäude ein Wohnhaus. |
1946 | Zuerst kommt Erich Hägele, Neffe von Karl Käumlen, als Gesellschafter hinzu, gefolgt von Alfred Kercher 1949. Als letzter Besitzer und Fabrikchef führt Erich Hägele die Süddeutsche Schuhfabrik bis zum Ende. |
1977 | Einstellung der Produktion. |
Ende 1970er | Fabrikbesitzer Erich Hägele vermietet an Studenten der Kunstakademie Stuttgart Räume für Ateliers und Ausstellungen im sogenannten „Glaskasten“. |
1984 | Der namhafte Maler und Grafiker Andràs Markòs bezieht eines der Ateliers. Markòs gehört zur 1982 in Leonberg gegründeten Künstlergemeinschaft „Die Gruppe“ mit Hans Mendler, Frederick Bunsen und Gert Fabritius. |
1993 | Markòs gründet mit dem Stuttgarter Galeristen Gerhard Walz den Glaskasten Verlag. Zu den illustren Gästen zählen Josef Beuys, Björn Engholm (SPD) und Albert Scarlione (Park West Galeries, USA). Kunsthandel, ein Atelier, die Galerie, ein Kunstversand und eine Druckerei sind hier bis Markòs´ Auszug 2002 angesiedelt. |
1994 | Markòs gewinnt den Leonberger Galeristen Dieter Hausner, der im Vorderhaus das Rahmengeschäft Bild + Rahmen eröffnet. |
2000 | Die von Matthias Keller gegründete Leonberger Jugendkunstschule zieht vom Pavillon im Hof des Albert-Schweitzer-Gymnasiums in die früheren Glaskasten-Ausstellungsräume, wo sie als VHS-Kunstschule fortbesteht. |
12/2004 |
Carina Straub übernimmt Bild + Rahmen von ihrem Onkel Dieter Hausner. |
2005 |
Eröffnung der Galerie im Künstlerhaus von Carina Straub mit einer Ausstellung der Bilder von Andras Markòs. |
2006 | Seit der ersten Langen Kunstnacht sind alle vier Institutionen im Künstlerhaus – Bild + Rahmen, Galerie, VHS-Kunstschule und Künstler-Ateliers – regelmäßig Bestandteil der Langen Kunstnacht. |
2006 | Erich Hägele stellt dem Stadtmuseum die erste Etage als Lager für stadtgeschichtlich wertvolle Objekte zur Verfügung. Das Gemeinschaftsatelier wird stark verkleinert. |
01/2015 |
Nach dem Tod Erich Hägeles (25.04.1912-29.03.2014) verkauft die Erbin „Christoffel Blindenmission Bensheim“ das Künstlerhaus an die Stadt Leonberg. |
2018 | Das städtische Magazin im Künstlerhaus wird auf Kosten der Ateliers erweitert. Das Gemeinschaftsatelier Karin Albrecht/Thomas Lang bezieht kleineren Raum im 2.OG. |
Quellen: Stadtmuseum Leonberg 1985, Frederick Bunsen 2017, LKZ 07.01.2018, Heinemann/Albrecht/Straub/Guggenbiller 2019
Die alte Schuhfabrik heute – Ein Stück Leonberger Industriegeschichte. In dem Gebäude befindet sich das „Künstlerhaus Leonberg“, seit 40 Jahren eine der tragenden Säulen des Leonberger Kunstbetriebs. (Foto: Chris Heinemann)
Erstveröffentlichung: Stadtmuseum Leonberg: Industriezeitalter – Leonberg 1850-1950, Besucherinformation zur Ausstellung 1985, S. 20-26, 42.
Mit freundlicher Genehmigung der Stadt Leonberg
Die Zunahme der Arbeiterbevölkerung und das wachsende Selbstbewusstsein der Arbeiterschaft machte sich nach 1890 (Aufhebung des Sozialistengesetzes) deutlich im öffentlichen Leben bemerkbar. Die sozialen Gegensätze verschärften sich und immer öfter gingen die sozialdemokratisch organisierten Fabrikarbeiter dazu über, ihren Forderungen durch kollektive Arbeitsniederlegungen Nachdruck zu verleihen.
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