Wie die Steinenbronner zu ihrem Spitznamen kamen
Der „Beerlesklopferbrunnen“ in Steinenbronn
Autor: Paul E. Schwarz
Der Gemeinderat und die Gemeindeverwaltung haben mit ihrem Beschluss, einem der drei Brunnen auf dem neuen Dorfplatz den Namen “Beerlesklopferbrunnen“ zu geben und ihn dementsprechend künstlerisch gestalten zu lassen, einen schönen heimatgeschichtlichen Akzent gesetzt. Zum Verständnis des neuen Denkmals ist es notwendig, über den Namen dieses Brunnens einige nähere Betrachtungen anzustellen.
Bei dem Namen “Beerlesklopfer“ handelt es sich um einen der im schwäbisch-alemannischen Raum besonders verbreiteten Spott-, Neck- oder Schimpfnamen, auch Spitznamen oder Unnamen (mundartlich: O’nâmâ) genannt. Im Volksmund verwendete man dabei früher meist kennzeichnende Ausdrücke, die mit einem Wort die Bewohner der Nachbargemeinden mehr oder weniger treffend charakterisierten. Meist knüpften diese Bezeichnungen an bestimmte Ereignisse in der Gemeinde an oder zielten auf besondere Eigenheiten und Gewohnheiten, Lebens- und Verhaltensweisen der Einwohner ab. Oft vermittelten die Spitznamen einen kleinen Einblick in die soziologischen Verhältnisse einer Gemeinde. (…) In einzelnen Fällen ist jedoch auch eine doppelte Bedeutung nicht auszuschließen, wie gerade bei uns “Beerlesklopfern“. Hier gilt es dann, den historisch wahren Sinn und Inhalt des Wortes aus der Überlieferung herauszuschälen. (…)
Wann diese Namen aufgekommen sind und wer sie „erfunden“ hat, lässt sich mit Sicherheit nicht mehr feststellen. (…) Alle Gemeinden des Umkreises hatten ihre “O’nâmâ“.Die Echterdinger hieß man die “Storchen“, weil sie immer schon ein Storchennest auf dem Kirchturm hatten. Die Musberger hießen „Krehlâ“ (Reisigbüschel), weil sie im Böblinger Wald kostenlos Leseholz sammeln durften, das sie, zu Krehlâ zusammengebunden, nach Hause trugen. Die Leinfeldener nannte man “Rebheâlâ“, weil es auf ihrer Markung früher besonders viele Rebhühner gab. Die Schönaicher hatten den Namen “Raupâ“, wohl wegen des in ihren wenig ergiebigen Weinbergen besonders lästigen und schädlichen “Raupenungeziefers“.
Die Waldenbucher hatten gleich drei Unnamen weg. Am häufigsten wurden sie “Grappâ“ (Raben) genannt, vielleicht weil diese Vogelart im Aichtal besonders stark vertreten war. Von den Steinenbronnern wurden sie gerne auch “Kraibl“ oder „Krau“ geschimpft, was hochdeutsch Misthaken bedeutet, den man zum Abladen und Verteilen des Mists auf den Feldern verwendete.
Schließlich sind die Steinenbronner seit altersher mit dem O’nâmâ „Beerlesklopfer“ behaftet.
Und ausgerechnet bei Steinenbronn kommt man in der Frage der eindeutigen Herkunftsbestimmung des Namens in Verlegenheit?
Dass das Zerklopfen oder Zerstampfen von Beeren als Tätigkeit mit dem Wort gemeint ist, unterliegt wohl keinem Zweifel. Es fragt sich nur, welche Art von Beeren damit gemeint, also geklopft worden waren: Waldbeeren oder Weintrauben? – Wein oder Wald, das ist hier die Frage!
Der bekannte schwäbische Mundart- und Volkstumsforscher Hugo Moser hat in seinem 1950 neu aufgelegten Buch „Schwäbischer Humor“ den Spitznamen “Beerlesklopfer“ in zwei Gemeinden, in Steinenbronn und Warmbronn, festgestellt. Er begründet ihn in erster Linie mit dem Weinbau. Die Trauben seien so hart gewesen, dass man sie vor dem Keltern oder Essen zerklopfen musste. Er lässt aber später in beiden Orten auch den Zusammenhang mit Wacholderbeeren gelten. (…)
Der Beerlesklopferbrunnen an dem neuen Dorfplatz von Steinenbronn wurde am 27. August 1988 eingeweiht. Im Hintergrund das neue Rathaus.
Unter den Nachbargemeinden hat sich der Weinbau lediglich in Schönaich längere Zeit gehalten. Nachweislich haben die Schönaicher bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ihren immer wieder als minderwertig, ja, in manchen Jahren als ungenießbar bezeichneten Wein angebaut. (…)
In Steinenbronn selbst ist Weinbau im 16. Jahrhundert tatsächlich nachgewiesen. (…) Nach dem 30jährigen Krieg ist dieser Weinberg und Weinbau überhaupt in der Gemeinde nicht mehr erwähnt. (…) Zusammenfassend kommt man zu dem Ergebnis, dass der Weinbau in der Geschichte unserer Gemeinde nur eine kurze Episode darstellte. (…) Aus diesem Grunde vermag man auch der Begründung des Unnamens Beerlesklopfer mit Bezug auf den Weinbau nicht zuzustimmen.
Doch nun zum Wald, der jahrhundertelang im Leben der Steinenbronner eine ganz bedeutende Rolle gespielt hat. Außer dem Holz spendete der Schönbuch im Laufe des Jahres eine bunte Palette der verschiedenartigsten Beeren, die noch bis in die Zwanzigerjahre unseres Jahrhunderts von einigen Frauen, manchmal “Kräuterweiblä“ genannt, gesammelt wurden.
Vor allem gehörten dazu Schlehen, Hagebutten, Holunderbeeren und Wacholderbeeren. Letztere wurden teils sofort zerklopft oder zerstampft und der Saft ausgepresst. Der Rest wurde getrocknet und zum Teil auch zu Pulver zerrieben. Aus dem Saft wurde u.a. Wacholderbeerschnaps hergestellt. Die getrockneten Wacholderbeeren wurden zum Einpökeln und Räuchern des Fleisches, aber auch zum Kochen, vor allem im Sauerkraut, verwendet. Das Wacholderbeerpulver wurde von den Bauern dem Vieh bei bestimmten Krankheiten als Arznei eingegeben. Was über den Eigenbedarf hinaus gesammelt oder gewonnen wurde, nahmen die Apotheken gerne ab, oder fand willige Käufer auf dem Markt in Stuttgart. Erst dieser „Export“ über die Markungsgrenze hinaus machte die Steinenbronner in den Nachbargemeinden und in der nahen Landeshauptstadt als Beerensammler, Beerenhändler und, scherzhafterweise, Beerlesklopfer bekannt. (…)
Durch jahrhundertelangen Raubbau am Holzbestand auf Grund der vielen “Schönbuchberechtigten“, sowie der Beweidung mit Schafen und Großvieh, hatte der Schönbuch zeitweise Ähnlichkeit mit den Wacholderheiden der Albhochfläche oder des Hochschwarzwaldes. (…) Unter diesen Umständen muss der Schönbuch jahrhundertelang Beeren, besonders Wacholderbeeren und Schlehen in Hülle und Fülle geboten haben. Für das Sammeln der Wacholderbeeren galten strenge Regeln der Forstverwaltung. So wurde z. B. am 20. Juli 1855 in der Gemeinde eine Anordnung des Forstamts betreffend das Wacholderbeersammeln in den Staatswaldungen veröffentlicht, wobei aufgefordert wurde, die beantragten “Wacholderbeerzettel“ auf dem Rathaus abzuholen. Auf die Wacholderbeeren traf das “Klopfen“ notwendigerweise zu, ohne dass man, wie bei den Trauben, eine witzelnde Erklärung erst weit herholen musste.
Auch in den Nachbargemeinden Waldenbuch und Schönaich versteht man heute noch die “Beerla“ der Steinenbronner als Wacholderbeeren. Im Heimatbuch von Leinfelden (1965) wird humorvoll erzählt, „dass die Steinenbronner die Beerlesklopfer seien, weil sie im Wald nicht nur die weichen, sondern auch die harten Beeren geholt haben sollen„. Für die Warmbronner, die ebenfalls “Beerlesklopfer“ genannt werden, gibt es einen unbestechlichen Kronzeugen, den bäuerlichen Volksdichter Christian Wagner. In seiner Erzählung „Der Schneider-Jobb“ zititert er aus der Leonberger Oberamtsbeschreibung von 1851: “(…) seine [Warmbronns] Bewohner nähren sich größtenteils vom Handel mit Kienholz, Wacholderbeeren und Wacholdergsälz (Marmelade), woher sie auch den Spitznamen Beerlesklopfer“ bekommen haben. Aus all dem muss folgerichtig der Schluss gezogen werden, dass der Name “Beerlesklopfer“ nur in Verbindung mit dem Wald und den Wacholderbeeren gesehen werden kann.
Den Auftrag für die künstlerische Gestaltung des Brunnens und besonders der Figur des Beerlesklopfers hat die Gemeinde dem Metallgestalter Rolf Weinhardt in Waldenbuch übertragen.
Der Umbau des Brunnens mit den drei herabstürzenden Sandsteinquadem symbolisiert den Fels, aus dem das Wasser quillt. Auf dem Rand des runden Brunnentrogs sitzt der aus Kupferblech gefertigte lebensgroße Steinenbronner Bauer in der Arbeitskleidung des 19. Jahrhunderts. Mit einem “Stempfel“ drückt er die in einer Gülte liegenden Wacholderbeeren aus, deren Saft in ein kleines Fass läuft. (…)
Auf dem Rand des runden Brunnentrogs sitzt die lebensgroße Gestalt eines Steinenbronner Bauern in der Arbeitskleidung des 19. Jahrhunderts. Mit einem Stempfel“ drückt er die in einer Gülte liegenden Wacholderbeeren aus, deren Saft in ein kleines Fass läuft.
Erstveröffentlichung: Steinenbronner Nachrichten vom 25. 08. 1988
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Gemeinde Steinenbronn.
Der Autor, Paul E. Schwarz (1917-2009), Regierungsdirektor a. D. beim Landesgewerbeamt Baden-Württemberg, war gebürtiger Steinenbronner und hat sich als Heimatforscher um seine Gemeinde sehr verdient gemacht. Er veröffentlichte 46 Arbeiten zur Steinenbronner Ortsgeschichte, war langjähriger Gemeinderat und stellvertretender Bürgermeister in Steinenbronn. Er ist auch Ehrenbürger der Gemeinde Steinenbronn.
Eine Neuveröffentlichung dieses Aufsatzes finden sie in: Steinenbronn – Neues von Gestern und Heute, hrsg. von der Gemeinde Steinenbronn, Geiger-Verlag, Horb am Neckar 1997, S. 68 – 72.