Um 1908 wurden die letzten Trauben gekeltert
Kein “Semsakrebsler“ – Zum Weinbau in Schönaich
Autor: Walter Jehle
In früheren Zeiten war der Weinbau bei uns schon von der Größe der Rebflächen her ziemlich bedeutend. In der „Blütezeit“ (1728) betrug das zehntpflichtige Areal 43 Morgen (13,55 Hektar). Der Weinzehnte wurde vom Vorlass und vom gepressten Wein genommen und auf Kosten der Herrschaft eingesammelt und in “zihmblicher Belohnung“ (also gegen gute Bezahlung) nach Böblingen geführt.
Im 30jährigen Krieg waren die Weinberge größtenteils abgegangen. Noch 1717 wurden nur 14 Morgen (4,41 Hektar) angebaut. Um 1860 waren es dann 33 6/8 Morgen (10,64 Hektar) mit den Sorten Trollinger, Affentaler (Rotweine); Elbling, Gutedel, Silvaner (Weißweine) und Butzscheeren.
Zum Weinbau heißt es in der Beschreibung des Oberamts Böblingen von 1850:
Am sogenannten Schönaicher First, einer südlich geneigten Halde, liegen 34 Morgen Weinberge, in welchen meist Silvaner, Elb(l)ing und etwas Butscheeren gepflanzt werden. In ganz guten .Jahrgängen wird ein angenehmer Wein erzielt, der im Jahre 1846 mit 60 fl. (Gulden)1 bezahlt wurde, sonst bewegen sich die Preise zwischen 16 und 25 fl. pr. Eimer (1 Eimer = 293,9 Liter). Ein Morgen kostet 100-300 fl. und liefert durchschnittlich 5 bis 6 Eimer (1470-1763 Liter). Am Fuß der Weinberghalde steht die Gemeindekelter.“
Die Rebfläche hat sich in den besten Zeiten von der heutigen Bahnhofstraße bis zur Pfefferburg und darüber hinaus bis zu den “Wüsten Wengert“ unterhalb des IBM-Labors erstreckt. Auch unterhalb der Pfefferburg wurde in den so genannten Kellerei-Wengert Wein angebaut. Und man kann davon ausgehen, dass das die beste Weinlage war, denn die zuständige Herrschaft gab sich ganz sicher mit keinem “Semsakrebsler“ zufrieden.
So ähnlich könnte auch der Schönaicher Kelterbaum ausgesehen haben. Blick ins Innere der Kelter in Unterjesingen mit Kelterbaum. (Bild: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg EL 228 a II, Nr. 466, Bild 1; Landesdenkmalamt BW: Fotosammlung, Glasplatten 18/24, ca. 1920-1960 – Permalink)
Zum Weinbau in unserem Ort gehörte natürlich auch die frühere Kelter. Ihr genaues Alter ist nicht bekannt. Beim Abbruch 1962 fand man aber ein Balkenstück, auf dem die Jahreszahl 1567 eingebrannt ist. Dieser Balken könnte aber auch schon in einer früheren Kelter verwendet worden sein.
Die Kelter stand unterhalb des Wengerts (oberer Teil der Adlerstraße, Ecke In den Bergen). Sie hatte zwei eichene Kelterbäume und Bieten (Tische).
Nach beendigter Traubenlese wurden die Trauben früher von jüngeren Leuten in runden, mit Holzseihern versehenen Zubern, mit den Füßen zertreten. Unterhalb des Zubers stand der etwas größere Tretzuber, in den der Saft ablief. Der Inhalt des Tretzubers wurde in große Weinbütten geleert. Nach drei- bis viertägiger Gärung ließ man den im unteren Teil der Bütte angesammelten süßen Wein (Vorlass) ab. Der Trester kam in das Biet zum Pressen. Diese Tätigkeit war mühsam und zeitraubend. Sie dauerte mindestens vier Stunden. (…)
Offensichtlich war es auch üblich, dass der Schönaicher Schultheiß zur Weinlese Vorgesetzte und Kollegen einlud, wie aus einer Anzeige vom Oktober 1857 im Böblinger Bote“ hervorgeht:
Schönaich Einladung. Die Weinlese findet am nächsten Montag, den 26. d. M. hier statt, wozu ich meine verehrten Herren Vorgesezten und Collegen und sonstige gute Freunde hiemit höflichst einlade. Schultheiß Brodbek“
Und es gab nicht nur räsen Wein, also Wein, der einem beim Trinken den Magen zusammenzog, wie immer wieder behauptet wird, sondern auch gute und sehr gute Jahrgänge. 1733 wurden für einen Eimer (293,9 Liter) 6 Gulden, 4 Kreuzer erlöst, während es 1846 durch eine absichtlich verzögerte Traubenlese, also eine Spätlese, 55 Gulden waren.
Auch 1857, 1858 und 1859 wurden fast die gleichen Preise erzielt. Einen sehr guten Jahrgang gab es auch 1875, denn der “Böblinger Bote“ berichtete unter dem 2. November 1875:
Die Schönaicher sind sehr vergnügt über den schönen Erlös, den ihr Neuer bringt. 48-50 Gulden pro Eimer sind allerdings Preise, die für Schönaicher Rebengewächse schon lange nicht mehr bezahlt wurden. Kein Wunder, daß man unter solchen Aussichten in Schönaich lauter fremde neue Weine zu trinken bekommt.“
Auch 1904 war der Jahrgang sehr gut, so dass deswegen sogar ein Fest bei der Kelter gefeiert wurde. Dazu schreibt der Böblinger Bote:
Schönaich, 19. Okt. Da der Heurige diesmal auch hier zu einem guten Tropfen ausreifte, so fühlte sich der ,Liederkranz Schönaich‘ veranlaßt, das seit Jahrzehnten wahr gewordene Ereignis durch Veranstaltung einer Herbstfeier zu feiern. Schon von 1/2 2 Uhr ab war bei mildem Wetter Konzert durch die Dettenhauser Musik-Kapelle auf dem günstig gelegenen Kelterwasen. Auch einige Männerchöre ernteten reichen Beifall. Dem Schönaicher, Süßen wurde an der Deichsel wacker zugesprochen. Tagsüber vergnügte sich Alt und Jung mit dem Abbrennen von allerlei Kleinfeuerwerk. Den Glanzpunkt der Feier bildete aber das von Pyrotechniker Weiffenbach gelieferte und von Schullehrer Hettich nach Einbruch der Dunkelheit arrangierte reichhaltige Feuerwerk. Ein Lampionzug ins Dorf zurück beschloß die wirklich gut gelungene Feier..
Wohl um 1908 wurden in der Kelter die letzten Trauben gepresst. Und noch nach dem 1. Weltkrieg gab es im Wengert, zwischen der Pfefferburg und der Aussichtsplatte, eine kleine Rebfläche.
Erstveröffentlichung: Walter Jehle, Schönaicher Ortsgeschichte - Begebenheiten und “Gschichtla“. Herausgeber: Gemeinde Schönaich 2003, S. 429 - 432.
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Gemeinde Schönaich
Referenz
↑1 | 1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 - 1875. |
---|