Ein Blick auf den Wandel der Jagdpolitik im 19. Jahrhundert
Die Jagd auf Markung Gärtringen
Autor: Freiherr Hans Hiller von Gaertringen
Als König Wilhelm I. von Württemberg (1781-1864) 1816 die Regierung antrat, leitete er in Württemberg nicht nur weitreichende Reformen des Staates, sondern vor allem auch den Wandel von der feudalen zur bürgerlichen Jagd ein. Dies war ein Teil seines Kampfes gegen Hunger und Teuerung.
Die im Königlich Württembergischen Staats- und Regierungsblatt oder von der Hofkammer veröffentlichten Verordnungen und die der Versteigerung zu Grunde liegenden Pachtbedingungen spiegeln die Grundeinstellung des Königs zur Jagd wider. Sie war für ihn nicht ein höfisches Fest, wie sie es bei seinem Vater, König Friedrich und seinem Großonkel, Herzog Carl Eugen gewesen war, sondern vor allem ein Mittel, die Schalenwildbestände zu vermindern und damit die Erträge der Landwirtschaft zu steigern. Dies war in der damaligen Zeit größter Not dringend geboten und deshalb oberstes Ziel aller Bemühungen des Königs.
Wildschäden in der Landwirtschaft waren in Württemberg seit den Zeiten Herzog Ulrichs, also seit dem 16. Jahrhundert, ein Dauerthema. Sie haben die Bauern oft um den Lohn ihrer Mühen gebracht und große Erbitterung in der Bevölkerung hervorgerufen. In Ehningen, einem Nachbarort Gärtringens, kam es 1794 deshalb zu offenem Aufruhr.
Schon die ersten Verordnungen des Königs zu Beginn des Jahres 1817 widmen sich daher der Abwendung von Wildschäden. Sie kennzeichnen zusammen mit den genannten Pachtbedingungen den Anfang der bürgerlichen Jagd, denn der Kreis der zur Jagd Berechtigten wurde in einem für damalige Verhältnisse unvorstellbaren Maß erweitert. Mitverpachtet wurde auch die Jagdfron, die die Gemeinde Gärtringen dem Haus Württemberg schuldete, im Jahre 1838 jedoch ablösen konnte. Aus diesem Anlass haben die Beteiligten über das Ausmaß, die Handhabung und den Wert der Fron verhandelt. Der Pächter verpflichtete sich ferner, nach den Gesetzen und Verordnungen waidmännisch zu jagen. Ein Merkblatt vom 24. 5. 1823 über „die Jagd nach waidmans Brauch“ unterrichtete ihn vor allem über die Schusszeiten der einzelnen Wildarten. Uns zeigt es, dass sich der Begriff“ waidmännisch“ seither völlig verändert hat; damals waren ihm Hege im heutigen Sinne und „Trophäenkult“ ebenso fremd wie Tierschutz.
König Wilhelm I. v. Württemberg (1781-1864). Gemälde von Stieler, um 1816; Original im Schloss Ludwigsburg.Württemberg)(© Landesmedienzentrum / Dieter Jäger. Signatur LMZ008515)
Bedrückend ist allerdings die damit verbundene Erkenntnis, dass unsere Natur in den seither verstrichenen 170 Jahren unendlich ärmer geworden ist: Nach den Abschusslisten wurden damals auf Gärtringer Markung zwölf verschiedene Tierarten bejagt, heute sind es gerade noch vier. Andererseits mag es beruhigen, dass Rot- und Schwarzwild in der freien Wildbahn nicht ausgerottet wurde, obwohl dies fast ein Jahrhundert lang erklärtes Ziel der Jagd war.
Die Revolution von 1848 verlief in Gärtringen ruhig; es kam nur zu unerheblichen Wildereien. Auf ein den Freiherren Hiller seit 1616 zustehendes Deputat wirkten sich die Revolutionswirren stärker aus, da der dortige Pächter ihretwegen die Pachtzahlung verzögerte. Mit den Jagdgesetzen vom 17. 8. 1849 und 27. 10. 1855 entstanden in Gärtringen zwei (Eigen)Jagdbezirke, der Gemeindewald und die „Hillerische Edelburg“ (6) sowie ein gemeinschaftlicher Jagdbezirk. Für diesen liegen Abrechnungen einzelner Jagdjahre vor. Sie belegen, dass von 1855/56 an der damalige Fideikommissinhaber Oberforst- und Oberjägermeister a. D. Frh. Rudolf Hiller (1800-1861), von 1862/63 an sein Sohn Alfred (1833 bis 1868) auf der gesamten Gärtringer Markung gejagt haben, zeitweise zusammen mit Wilhelm Jauß und Ratsschreiber Berner; mit ihnen haben sie Erlöse und Kosten geteilt.
An Beispielen wird deutlich, dass Ansichten und Einstellungen zur Jagd von politischen oder gesellschaftlichen Gegebenheiten beeinflusst werden und daher einem ständigen Wechsel unterliegen. Jede Generation jagt, wie es ihren Bedürfnissen, aber auch Wünschen entspricht. König Wilhelm I. hat Württemberg damals auf einen Weg geführt, den sich andere deutsche Staaten mit der Revolution von 1848 erkämpfen mussten. Soweit das Haus Württemberg auf die Jagd unmittelbar Einfluss nehmen konnte, nahm der König in der jagdlichen Praxis die Entwicklung vorweg, die sich rechtlich erst in den Jagdgesetzen von 1849 und 1855 niederschlug, indem er die mit der Herrschaft König Friedrichs zu Ende gehende höfische Jagd zumindest im jagdlichen Alltag, man könnte sagen, „im Verwaltungsweg“ in die bürgerliche Jagd überleitete. Die Erbitterung über die Wildschäden wurde dadurch früher als in anderen deutschen Ländern wenn auch nicht beseitigt, so doch gemildert. In den der 1848er Revolution folgenden 150 Jahren haben sich die wirtschaftlichen Bedingungen mehrmals grundsätzlich geändert. Die Versorgung der Bevölkerung, die Mitte des letzten Jahrhunderts noch nicht gesichert war, bereitet heute keine Sorge mehr. Damit ist die (im 19. Jahrhundert) wichtigste Aufgabe der Jagd, die Verhinderung von Wildschäden in der Landwirtschaft, weggefallen. Deshalb haben sich Jagd und Jäger von Grund auf gewandelt: Für den einen ist die Jagd ein Freizeitvergnügen, andere stellen sich die Aufgabe, Wald und Wild im Gleichgewicht zu halten und so den Wald vor Wildschäden zu schützen.
Erstveröffentlichung: Jagd in Württemberg im 19. Jahrhundert – dargestellt an der Jagd auf Markung Gärtringen, Gärtringen 2000.
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung der Gemeinde Gärtringen und der Familie Hiller von Gaertringen.
Die Broschüre „Jagd in Württemberg im 19. Jahrhundert – dargestellt an der Jagd auf Markung Gärtringen“, Gärtringen 2000, ist im Rathaus Gärtringen zu erhalten.
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