Katharina Kepler und ihr Prozeß
Die „Hexe von Leonberg“
Autor: Eberhard Walz
Katharina Kepler, die Mutter des großen Astronomen, war – so ihr Sohn Johannes – „…eine Frau von rauhen Sitten … von beißendem Witz, streitsüchtig, von schlimmem Wesen“. Geboren wurde sie am 8. November 1547 in Eltingen als Tochter des reichsten Bauern, Wirts und Schultheissen Melchior Guldenmann. Wohl dort, in der elterlichen Wirtschaft Sonne, sind sich Katharina und der Weil der Städter Heinrich Kepler (1571-89) begegnet, „…ein ruchloser, schroffer, streitsüchtiger Mensch“ – so sein Sohn Johannes.
Geheiratet haben die beiden am 15. Mai 1571; gleich danach sind sie in Heinrichs Elternhaus gezogen. Nach sieben Monaten wurde Johannes geboren, eineinhalb Jahre später sein Bruder Heinrich. Großvater Sebald Kepler war Handelsmann, Wirt und Bürgermeister der Freien Reichsstadt. Ihn und seine Großmutter charakterisiert Johannes nicht weniger unauskömmlich wie seine Eltern. Sie lehnten ihre Schwiegertochter offensichtlich ab. Vermutlich fühlte sich der reichsstädtische Bürgermeister weit über einem Baureschultes stehend.
Aus einer gespannten Atmosphäre lief Heinrich 1574 erstmals davon und wurde Söldner in Belgien. Im Sommer 1575 reiste ihm Katharina nach; knapp drei Monate später kamen beide zurück. Heinrich kaufte ein Haus in Leonberg, und die junge Familie ist aus der Reichsstadt in die württembergische Amtsstadt Leonberg ausgewandert. (…)
Daheim aber war Heinrich nur selten. Während seiner Abwesenheit hat Katharina zwei Buben geboren, die sind gleich wieder gestorben. (…) Im Januar 1589 lief er nach 18 Jahren Ehe endgültig davon. (…) Die 42Jährige Katharina blieb mit ihrer fünfjährigen Margaretha und dem zweijährigen Christoph allein in Leonberg zurück. Im Juli 1589 hat sie ihr siebtes Kind, einen Buben geboren. Auch der ist gleich wieder verstorben. Heinrich Kepler soll 1590 bei Augsburg einen schlimmen Tod gestorben sein. (…) Im Prozeß wird man Katharina vorwerfen, sie habe ihren Ehemann mit Zauberei an sich gebunden und ihn dann in den Tod getrieben.
Heinrich hatte Katharina etwas Besitz hinterlassen, und auch vom Vater erbte sie. Sie scheint geschickt gewirtschaftet zu haben. 1595 verkaufte sie das zu groß gewordene Haus und erwarb ein Viertel des Anwesens Klosterstraße 6, veräußerte es aber 1598 wieder und erwarb jetzt eine größere Liegenschaft in der Kirchstraße. Gelegentlich hat sie sogar Geld ausgeliehen. (…)Johannes, ihr Ältester, war 1596 durch sein erstes Buch bekannt geworden (Weltgeheimnis). (…) Ihr mütterlicher Stolz hat sie bestimmt nicht umgänglicher gemacht. Katharina wandte sich vermehrt der Zubereitung von Arzneien und Salben und der Krankenpflege zu; ums kranke Vieh kümmerte sie sich auch. (…) In vieles mischte sie sich ein und ließ sich im häufigen Streit zu manch böser Verwünschung hinreißen.
1609 hat Kepler sein in der Ich-Form geschriebenes eigenartigstes Werk Traum vom Mond fertig gestellt; gedruckt wurde es erst posthum (1634). Mit seinem Einverständnis aber wurde das Manuskript in Prag publik. Darin beschreibt Kepler die Planetenbahnen aus der Sicht eines Mondbewohners. Um auf den Mond zu gelangen, sind – so Kepler “saftlose alte Frauen (besonders geeignet), denen von Jugend auf die Kunst vertraut ist, nächtlich auf Böcken und Gablen … reitend, unendliche irdische Räume zu durcheilen“. Und dann kommt auch die Mutter des Autors – also Katharina – vor: sie ist “eine kräutersammelnde Zauberin und Geisterseherin“. Keplers Manuskript erregte großes Aufsehen. Lange nach dem Hexenprozess wird er schreiben, seinem Haus wäre “…eine sechsjährige Qual und ihm selbst eine einjährige Reise erspart geblieben, wenn er seinerzeit das Manuskript für sich behalten hätte.“ (…)
1614 kam Johannes Bruder Heinrich mittellos nach Leonberg zurück. Bei der Mutter untergekommen, fing der Streit gleich wieder an. In seiner Wut gröhlte er herum, seine Mutter sei eine Hexe, sie habe ihr Kalb zu Tode geritten. Heinrich starb schon 1615; seine bösen Worte aber wirkten weiter. Über all dem war die nunmehr 68jährige Katharina eine verbitterte, zahnlose alte Frau geworden. Und ausgerechnet jetzt erreichte die Hexenhysterie im Herzogtum Württemberg ihren Höhepunkt.
Zur Erinnerung an Katharina Kepler ließ die Gemeinde Eltingen 1937 in der Carl-Schmincke-Straße einen Brunnen errichten. Die Figur von Jakob Fehrle ist ein typisches Produkt der Blut- und Bodenideologie ihrer Zeit und entspricht der im Dritten Reich gängigen bildhauerischen Formensprache. Katharina wird durch eine …Schnitterin in jugendlicher Frische, aufrecht, stolz und kraftvoll… dargestellt. Tatsächlich war sie, so ihr Sohn Johannes, …klein, mager, schwarz.
Von Dezember 1615 bis Mai 1616 wurden im Amt Leonberg sechs Todesurteile wegen Hexerei vollstreckt. In dieser Atmosphäre überbordender Hexenhysterie bedurfte es nur noch eines kleinen Anstoßes und das Unheil würde über die höchst auffällige Katharina hereinbrechen. Auslösend war schließlich der Streit mit ihrer früheren Freundin Ursula Reinbold. Diese litt an Kopf- und Unterleibsschmerzen. (…) Ursulas Bruder Kräutlein – Barbier und Chirurg – gab ihr ein Pülverchen. Als sich daraufhin das Leiden verschlimmerte behauptete Kräutlein, Hexerei müsse im Spiel sein. Und die Reinboldin erinnerte sich eines bitteren Trankes, den ihr zwei Jahre zuvor Katharina gegeben hatte. Sie und ihr Mann zeigten Katharina bei Lutherus Einhorn an, dem herzoglichen Untervogt des Amtes Leonberg. Das war 1615.
Nach einem feuchtfröhlichen Jagdvergnügen zitierte Einhorn Katharina in die Vogtei (heutiger Schwarzer Adler); die Reinbolds lud er als Zeugen. Kräutlein zog seine Waffe und drohte, Katharina zu erstechen, wenn sie seine Schwester nicht durch Gegenzauber heile. Einhorns Vorgehen war rechtswidrig: das Gericht war nicht ordentlich besetzt, Katharina hätte nur mit ihrem Beistand vorgeladen werden dürfen, und Einhorn hätte Kräutleins Verhalten unterbinden müssen.
Schwiegersohn Pfarrer Binder in Heumaden und Sohn Christoph in Leonberg erhoben für die Mutter Verleumdungsklage gegen die Reinbolds. Johannes schaltete sich von Linz aus schriftlich ein. (…) Im Falle einer Verhandlung wäre Einhorns rechtswidriges Verhalten bekannt geworden. Deshalb suchte er Zeugen und dazu brauchte er Zeit. Kepler wollte seine Mutter nach Linz holen; die sträubte sich und ging dann schließlich zu Margaretha nach Heumaden, blieb also unklugerweise im Herzogtum Württemberg. Im Oktober 1616 befahl der Stuttgarter Oberrat ein erstes Zeugenverhör. Katharina kam dazu nach Leonberg und streifte am unteren Tor im Vorbeigehen die achtjährige Burga Haller am Arm. Die klagte, die „Hexe“ habe ihr einen Schlag versetzt, ihr Arm sei lahm – für Einhorn Schadenzauber auf frischer Tat. (…) Der Oberrat ordnete Verhaftung und Verhör an. Christoph aber brachte seine Mutter Anfang Dezember 1616 zu Johannes nach Linz. Auf Keplers Bitte sagte der Herzog Katharina freies Geleit zu, wenn sie sich irgendwann wieder stelle. (…)
Im Sommer 1617 kam Katharina gegen Johannes‘ Willen von Linz nach Heumaden zurück. Als der Leonberger Stadtschreiber einen Gerichtstag festsetzte, bestellte Einhorn Katharina vier Tage früher. Der Anwalt riet Kepler, seine Mutter endgültig nach Linz zu holen, und der Herzog befahl Einhorn, Katharina unbehelligt ziehen zu lassen; sie aber blieb starrsinnig in Heumaden.
Im März 1618 reichten die Reinbolds ihre Schadensersatzklage ein; sie forderten 1000 Gulden für das Ursula durch den „Hexentrank“ zugefügte Leiden zuzüglich Erstattung der Gerichtskosten. Unter Berufung auf die Carolina, das erste Reichsstrafgesetzbuch von 1532, lehnte der Oberrat ab – schließlich war Katharina noch nicht der Hexerei überführt. Zwei Monate später fand das durch Einhorn seit 1615 verhinderte erste Zeugenverhör statt. (…) Katharina reagierte wie immer recht ungeschickt. So bestärkt, reichten die Reinbolds am 16. August 1619 die ausführliche Begründung ihrer Schadensersatzforderung nach. (…)
Um den Sinn dieses Unsinns zu verstehen, muss man wissen, dass gemäß Carolina nur auf Schadenzauber die Todesstrafe stand. Also musste dieser Katharina nachgewiesen werden, nämlich so: Ihre Hexentränke machen Ursula Reinbold, den Schulmeister sowie einen Barbiergesellen krank und töten einen anderen Menschen. Sie hat zwei Kinder durch Berühren getötet, Burga Haller durch Betasten am Schenkel verletzt und deren Tochter am Arm beschädigt. – Sie hat ein Kalb und zwei Schweine durch Berühren getötet und eine Kuh um Mitternacht fast zu Tode geritten. Und damit man sieht, dass Katharina tatsächlich eine Hexe ist, bringt man weitere Beweise: Katharina hat versucht, Bastians Tochter Barbara zum Hexenwerk zu verführen; sie hat vom Totengräber den Totenkopf des eigenen Vaters begehrt; sie wollte den Vogt mit einem silbernen Becher bestechen. Ihre Flucht nach Linz beweist ihr schlechtes Gewissen. Und Katharina hat „…bei ihrer Base zu Weyl, so eine Hexe gewesen und daselbst verbrannt wurde, …das Werk der Unholdin erlernt…. Sie hat …ihren eigenen Mann, ohne Zweifel mit Unholden Werk, etliche Male von Haus vertrieben, also daß selbiger endlich im Kriege erbärmlich sterben mußte“. Schließlich hat der eigene Sohn Heinrich seine Mutter der Hexerei bezichtigt und … „selbst die Verwandten … (haben) sie für eine Hexe gehalten“… (vermutlich ein Hinweis auf den Traum vom Mond). Und so weiter. Jeder Bezichtigung liegt tatsächlich irgend ein meist nichtiger Vorgang zugrunde, und den hat man zum Unholdwerk umgedeutelt.
Im September 1619, vier Jahre nach Katharinas Verleumdungsklage, wurde bürgerlicher Rechtstag gehalten. Verhandelt aber wurde nicht etwa diese, sondern die Reinboldsche Schadensersatzklage. Einhorns Dreistigkeit hatte Erfolg: aufgrund seines Berichts ordnete der Oberrat ein Zeugenverhör zu den Hexereibezichtigungen an. Darin wurde Katharina schwerstens belastet. Am 7. August 1620 wurde sie in Heumaden verhaftet.
Drei Wochen war Katharina in Leonberg eingesperrt, dann wurde die „Hexe von Leonberg“ – so die amtliche Bezeichnung – auf Bitten ihres Sohnes Christoph nach Güglingen transferiert. Christoph begründete seine Bitte mit Befürchtungen um geschäftliche Nachteile und um seine Autorität als Drillmeister der Leonberger Stadtverteidiger.Für das Strafverfahren galt die Schriftlichkeit. Sie verursachte zwar erhebliche Kosten und wirkte verzögernd. Aber nur sie bot Gewähr dafür, dass die gerichtlichen Oberinstanzen auch die Darstellungen der Verteidigung unverfälscht erhielten.
Kepler kam selbst und appellierte an die Barmherzigkeit des Herzogs, seine 73jährige “baufellig„ Mutter aus dem Güglinger Kerker “in des Statknechts und Gerichtsdieners Hauß vnd Stuben alda zu transferiren … vnd auff Iren aignen so geringen Vncosten als müglich … verwahren“ zu lassen. Katharina wurde dorthin verbracht, aber an ein eisernes Band gekettet und bewacht.(…) Die Kosten für Verteidigung und Unterhalt waren so hoch, dass Katharinas Eigentum veräußert werden musste. Der Güglinger Vogt Ulrich Aulber – von Einhorn informiert – führte dessen Verzögerungstaktik weiter. Am 11. Dezember 1620 wurde Rechtstag gehalten und endlich konnte Keplers Anwalt die Verteidigungsschrift fertigstellen. Aber wieder verschleppte der Vogt bis ihn Vizekanzler Faber auf Drängen Keplers anwies, die Anklage innerhalb von 14 Tagen fertig zu stellen.
Ein Jahr nach Katharinas Verhaftung, am 20. August 1621, fand der peinliche Gerichtstag statt. Katharina erschien laut Protokoll “leider mit Beistand ihres Sohnes Johann Kepler, Mathematici“. Die Verteidigung erhielt drei Tage Frist zur Ausarbeitung ihrer Gegenschrift. (…)
Tübingen entschied: für die vom Ankläger beantragte Folter reichen die Indizien nicht aus. Andererseits sind diese nicht so entkräftet, dass ein bedingungsloser Freispruch möglich ist. Die Wahrheit muss deshalb durch die Territio herausgeschreckt werden. Nach 13 Monaten zermürbender Haft wurde Katharina in die Folterkammer geschleppt, ihr dort die Folterinstrumente gezeigt und gedroht, gleich mit der Folter zu beginnen, wenn sie nicht gestehe. Dass die körperliche Folter ausdrücklich verboten war, wusste Katharina nicht. Aber sie blieb standhaft. Damit hatte sie sich entlastet. Am 4. Oktober 1621 wurde Katharina Kepler freigesprochen, freigelassen aber erst am 7. Oktober. (…)
Wohin Katharina nach ihrer Freilassung gegangen ist, weiß man nicht. Wahrscheinlich hat sie ihre Tochter Margaretha, die Pfarrersfrau, im Rosswäldener Pfarrhaus – Binder war nach dort versetzt – aufgenommen. Am 13. April 1622, ein halbes Jahr nach ihrer Freilassung, ist Katharina in ihrem 75. Lebensjahr verstorben. Wahrscheinlich in Rosswälden. Ihr Begräbnisort ist urkundlich nicht nachgewiesen. (…)
Hexenwahn
Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen dem 15.-18. Jahrhundert 3 – 4 Millionen Frauen, vom Kind bis zur Greisin, dem Hexenwahn zum Opfer fielen. Auf dem Höhepunkt der Verfolgungen loderten auch im Kreis Böblingen die Scheiterhaufen.
In Sindelfingen wurden zwischen 1615-16 zwölf Hexen hingerichtet, in Leonberg 11, und in Weil der Stadt wurden zwischen 1615-1629 38 Hexen verbrannt. Die Böblinger Stadtgerichtsprotokolle sind in der Bombennacht 1943 verbrannt, aber auch hier sind Hexenverbrennungen belegt (u.a. für die Jahre 1563, 1590 und 1628).
Erstveröffentlichung: Nonne, Magd oder Ratsfrau. Frauenleben in Leonberg aus vier Jahrhunderten, (Beiträge zur Stadtgeschichte Nr. 6). Bearbeitet von Renate Dürr, Hg.: Stadt Leonberg/Stadtarchiv, 1998, S. 7584.1
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Stadt Leonberg
Weitere Links zum Thema:
Einen Auszug aus dem Verhörsprotokoll aus dem Hexenprozess gegen Katharina Kepler finden Sie auf den Seiten des Hauptstaatsarchivs Stuttgart.
Zu Katharina Kepler siehe auch den Artikel in Wikipedia.
In zeitreise-bb finden Sie zum Thema Hexenverfolgung den Artikel „Margaretha Löffler- eine Magstadter Hexe“
Zu den Hexenverfolgungen im Herzogtum Württemberg siehe den Artikel in historicum.net
Literaturhinweis:
Anita Raith: Das Hexenbrennen in Leonberg. In: Nonne, Magd oder Ratsfrau. Frauenleben in Leonberg aus vier Jahrhunderten, (Beiträge zur Stadtgeschichte Nr. 6). Bearbeitet von Renate Dürr, Hg.: Stadt Leonberg/Stadtarchiv, 1998, S. 53-73.
Eberhard Walz: „Johannes Kepler Leomontanus – Gehorsamer Underthan vnd Burgerssohn von Löwenberg“, (Beiträge zur Stadtgeschichte, Nr. 3), Hg.: Stadt Leonberg/Stadtarchiv, 1994.
Referenz
↑1 | Die Veröffentlichung des Beitrages in zeitreise-bb verzichtet auf die Wiedergabe der Anmerkungen und archivalischen Belege. Bitte greifen Sie hierfür auf die Printversion (siehe Quellenangabe) zurück. |
---|