Schönbuch-Sandstein für das Ulmer Münster
Autor: Martin Müller
Das Ulmer Münster ist mit 161,53 Metern der höchste Kirchenbau der Welt. Doch seit Jahren ist das im gotischen Stil errichtete Gotteshaus nicht mehr in seiner unverstellten Pracht zu sehen, schwere Gerüste türmen sich die filigrane Fassade hinauf. Grund: Am Ulmer Münster nagt der Zahn der Zeit. Doch der spezielle Stubensandstein, der dort möglichst originalgetreu wieder eingesetzt werden soll, macht sich rar und ist so einfach gar nicht aufzutreiben. Und die schadhaften Steine auf den unteren 70 Metern des Hauptturms sollen nun durch den Sandstein vom Betzenberg ersetzt werden.
Fündig geworden sind die Ulmer Baumeister nach einer ersten Probebohrung des geologischen Landesamts im Schönbuch im Gewann Oberer Neubronnen. Dicht bei der Grillstelle „Blockhütte“ steht auf einem Areal von drei, vier Ar eine besonders mächtige Stubensandsteinbank an, die nach einer ersten Bohrkernanalyse auch genau zum Ulmer Münster passen könnte. Nur einige Hügelzüge weiter, an den nordöstlichen Ausläufern des Schönbuchs bei Schlaitdorf im Landkreis Tübingen wurde nämlich jenes Baumaterial gewonnen, das vor allem für die spätere Bauphase des Ulmer Münsters an der Kirchturmspitze ab der Mitte des 19. Jahrhundert eingesetzt wurde. Vom Schönbuch aus haben es unsere Vorfahren dereinst mit Müh‘ und Not auf schweren Ochsenkarren über die Schwäbische Alb nach Ulm gewuchtet.
Alte Abbau-Halden sind im Schönbuch hier und da noch zu erkennen und vor allem in den tiefen Klingen im Osten haben sich unsere Ahnen schon mit vergleichsweise primitiven Mitteln an den Abbau des begehrten Sandsteins gemacht: In mühsam geschlagene Schlitze haben sie Haselnussruten geschoben, die Stangen gewässert, bis sie aufquollen und Sprengkraft entfaltet haben. „Neben der Landwirtschaft und der Holzwirtschaft war die Steinhauerei im Schönbuch die dritte wichtige Erwerbsquelle“, weiß Günther Schwarz, der Revierförster von Waldenbuch.
So wurde der Waldenbucher Stubensandstein früher an Ort und Stelle zum Beispiel zu Mühlsteinen verarbeitet. Allein im nahe gelegenen Gewann Hoppelesklinge, das zum Naturschutzgebiet Schaichtal zählt, finden sich drei halbfertige solcher Mühlsteine im anstehenden Gestein entlang einer Klinge – und längst haben Moose und Farne von ihnen Besitz ergriffen. Zugearbeitet hat der Mensch durch seinen frühen Eingriff in die Natur an dieser Klinge aber auch dem Dachs und dem anspruchsvollen Feuersalamander: „Die finden hier einen seltenen Lebensraum“, sagt Förster Schwarz.
Die Sandsteinbank in der Nähe der Grillstelle. (Foto: Klaus Philippscheck)
Eingebettet ins Keuper-Grundgestein taucht der Stubensandstein im Schönbuch auf. Heutzutage unterscheiden die Geologen dabei zwei Varietäten, wie Dr. Wolfgang Werner, Referatsleiter im Freiburger Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau, erklärt. Zum einen gibt es den „Fleins“: Ein oftmals bröseliges, weiches und wetteranfälliges Material, das früher – in der Sandmühle von Gärtringen-Rohrau zum Beispiel – zu echtem Putz- und Scheuermittel vermahlen und säckeweise nach Stuttgart verkauft wurde. Weil sich die weißen Porzellanerden in diesem Sand besonders gut zur Schmutzaufnahme eignen, wurden die Dielenböden in der guten Stube früher damit herausgeputzt – und genau daher hat der „Stubensandstein“ auch seinen Namen.
Was nun aber den „Schlaitdorfer Sandstein“ und damit auch den Stubensandstein vom Waldenbucher Betzenberg als Baumaterial so begehrt macht, ist die besondere Chemie seiner Zusammensetzung. Quarzausfällungen in den Porenräumen zwischen den Sandkörnern sorgen für eine besondere Hartnäckigkeit, Behaubarkeit und Wetterbeständigkeit des Materials. Und aus diesem Grund ist der „Schlaitdorfer Sandstein“ unter den Steinmetzen zu einem stehenden Begriff geworden.
An der Schichtbank im Oberen Neubronnen tritt dieser silikatische Stubensandstein in einer solchen Härte zutage, dass die Steinbrecher früherer Tage schlechterdings an ihm gescheitert sind. „Gut für uns, denn nur deshalb können wir jetzt helfen, das Ulmer Münster mit unseren heimischen Steinen zu erhalten“, freut sich Revierförster Schwarz. Die Untere Naturschutzbehörde im Landratsamt macht keine Einwände geltend: Im Gegenteil wird mit der Maßnahme die Hoffnung darauf verknüpft, dass durch den Steinbruch ein neuer Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen geschaffen wird, der so im Schönbuch gar nicht mehr anzutreffen ist.
Und eine alte, für den Schönbuch typische Wirtschaftsform erfährt damit auch ihre Renaissance.
Überreste von Steinmetzarbeiten beim Grillplatz. (Foto: Klaus Philippscheck)
Erstveröffentlichung: KREISZEITUNG/Böblinger Bote, 22.6.2011
Der Text wurde gekürzt.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors und der KREISZEITUNG Böblinger Bote.
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