Ziel und Weg
Der Haslacher Altar
Autorin: Susanne Schmidt
Er gilt als einer der wertvollsten Kunstschätze aus dem Landkreis Böblingen, der spätgotische Flügelaltar aus der Jakobuskirche in Haslach. Wie der Ratgeb-Altar aus der Herrenberger Stiftskirche, befindet er sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr an seinem angestammten Ort. In der 1792 neu erbauten Haslacher Kirche hatte er keine Verwendung mehr gefunden. In der Überzeugung, „daß dieses Kunstwerk in Stuttgart mehr geschätzt und anerkannt werde“, überließ der Stiftungsrat den „alten großen Altarschrank“ im Jahre 1852 dem kunstsinnigen Topographen Eduard Paulus, der ihn gegen ein scharlachrotes Kanzeltuch mit goldenen Borten1 eintauschte. Später gelangte der Altar an die Königliche Altertümersammlung, aus der das Württembergische Landesmuseum hervorging.
Den 200. Geburtstag der Jakobuskirche nahm der damalige Herrenberger Stadtarchivar Roman Janssen im Jahre 1992 zum Anlass, den Haslacher Altar und die historischen Umstände seiner Entstehung, – die Wallfahrt nach Santiago de Compostela -, näher unter die Lupe zu nehmen. Seine Ergebnisse sollen hier im folgenden zusammengefasst werden:
Im geöffneten Festtagszustand, enthält der Altarschrein drei geschnitzte Figuren: „Im Zentrum steht die Muttergottes als Himmelskönigin, thronend auf der Mondsichel, das Kind im Arm; ihr zur Rechten Jakobus mit Buch, Pilgerstab, -mantel und -flasche, zur Linken Nikolaus im Bischofsornat und mit den 3 Goldkugeln2. Darunter befinden sich auf dem Sockel der Anfang des Ave Maria, die Namen beider Heiliger sowie die Jahreszahl 1493 aufgemalt. Der rechte Flügel, vom Altar her gesehen, zeigt Johannes den Täufer mit dem Lamm Gottes und Maria Magdalena mit Salbgefäß; der linke Flügel eine Märtyrerin mit einem Schwert, (Hl. Fides) und Antonius den Eremiten mit Schwein, Glöckchen, Kreuz und Buch. Im geschlossenen Zustand, auf der Alltagsfront, ist die Verkündigung Mariä abgebildet. Die Rückseite des Schreins trägt ein Gemälde des Jüngsten Gerichts. Dieser Tatsache ist zu entnehmen, dass der Altar frei aufgestellt war.“3
Aus der Beschreibung lässt sich die erste wichtige Aussage des Altars ableiten. Sie betrifft die Rangordnung der Figuren, die die kirchenrechtliche Stellung der Haslacher Kapelle innerhalb der Herrenberger Pfarrei widerspiegelt. Hauptperson ist unmissverständlich die Muttergottes, Pfarrpatronin der Herrenberger Stiftskirche. Hausherr ihrer Haslacher Tochter-Kapelle ist der Hl. Jakobus. Ihm kommt daher die zweithöchste Position zur Rechten der Madonna zu. Der Dritte im Bund, der Hl. Nikolaus, zählt zu den 14 Nothelfern und ist auch der Patron der Pilger. Er macht klar, dass es sich nicht nur um einen Jakobusaltar, sondern um einen ausgesprochenen Altar der Pilgerschaft handelt.
Der Haslacher Altar in geöffnetem Zustand. Der prächtige Altarschrein befand sich einst in der Haslacher Jakobuskirche und steht heute im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart. (Foto: Württ. Landesmuseum Stuttgart)
Die Wallfahrt zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela hatte ihren Höhepunkt im 11. und 12. Jahrhundert. Einen letzten Auftrieb erlebte sie nochmals im 15. Jahrhundert. Der Haslacher Altar trägt das Datum 1493. Er wurde also zu einem Zeitpunkt gestiftet, als sich die Pilgerreise kurz vor dem Niedergang befand.
Was auf ersten Blick wie eine zufällige Anordnung von Heiligen um die Marienfigur anmutet, erscheint in den Ausführungen Roman Janssens als gut durchdachtes Programm, das den Hl. Jakobus und die Wallfahrt nach Santiago de Compostela zum Thema hat. Jakobus, so die zentrale Aussage des Schreins, ist das Ziel der Pilgerfahrt. Nikolaus, Patron der Pilger, symbolisiert den Weg dorthin. „Das Ziel und der Weg“4 – dieses Programm gilt auch für die Altarflügel. Alle vier dort dargestellten Heiligen, besaßen entlang des Jakobswegs wichtige Heiligtümer, an denen die Pilger Station machten: in Vézeley wurden die Reliquien der Maria Magdalena verehrt, in St. Jean-d’Angély das Haupt Johannes des Täufers und in Conques die Märtyrerin Fides.5 Vézeley, St. Jean-d’Angély und Conques stehen gleichzeitig auch für drei der vier Hauptrouten des Pilgerwegs durch Frankreich, die bereits in dem um 1150 verfassten Pilgerführer „Liber Sancti Jacobi“ beschrieben wurden. Auch dem Hl. Antonius, Patron der Kranken, konnte man auf dem Jakobsweg begegnen. Sein Hauptsitz, Didier de la Motte, lag nahe am Weg über Le Puy/Conques oder am vierten, „unteren Weg“ über Arles. Als Hospitalordnen widmeten sich die Antoniter zudem der Pflege der erkrankten Pilger. Eine ihrer Niederlassungen befand sich im 15. Jahrhundert nachweislich in Gültstein.
Leider wissen wir nicht, wer den Altar für die Haslacher Kapelle in Auftrag gegeben hat. Möglicher Weise war es jemand aus dem Kreise der Herrenberger Stiftsherren, der Brüder vom gemeinsamen Leben; auch ein privater Stifter käme in Betracht. Alle Anzeichen weisen darauf hin, dass der Auftraggeber selbst auf der Jakobsweg gepilgert war und auf dem Altar dargestellt haben wollte, was er in Santiago de Compostela und auf der Reise dorthin gesehen hat. Dafür spricht auch die unter dem Gewand der Jakobus-Figur verborgene Pilgerflasche. Sie ist eigentümlicher Weise nicht geschnitzt, sondern aus Leder gefertigt. Auffällig ist auch, dass die Muschel, – das Attribut der Jakobspilger schlechthin -, fehlt; ebenso der Pilgerhut, an dem sie in der Regel befestigt war. Janssen vermutet daher, dass die Figur des Jakobus einst, wie die des Hl. Nikolaus, einen Hut trug, der ebenfalls aus Leder gewesen sein könnte und – als Votivgabe – eine echte Muschel trug.6
Auch bei den Künstlern sind wir auf Vermutungen angewiesen. Flügelaltäre waren in der Regel „Teamwork“, d.h. an ihrer Ausführung waren mehrere Werkstätten beteiligt. Zunächst muss der Auftraggeber die drei Schnitzfiguren des Schreins bestellt haben. Hier wird ein Meister der sogenannten „Ulmer Schule“ vermutet. Früher hatte man den Altar der Syrlin-Werkstatt zugeschrieben, heute wird die Werkstatt Nikolaus Weckmanns favorisiert. Danach beauftragte man einen sog. „Faßmaler“ mit der Farbgebung der Figuren und einen Schreiner (Kastner) mit der Anfertigung des Altarschreins. Zuletzt ging der Maler ans Werk. Dieser, so ergab die restauratorische Untersuchung, hat das Werk wohl an Ort und Stelle vollendet.
Im Laufe der Zeit, spätestens aber nach der Reformation, geriet in Haslach das Wissen und das Verständnis um den Inhalt und die historischen Hintergründe des Pilgeraltars in Vergessenheit. Als herausragendes Kunstwerk fand der Altar schließlich im musealen Bereich neue Beachtung. Darüber hinaus ist er ein eindrucksvolles Dokument der Herrenberger Kirchengeschichte und der spätmittelalterlichen Frömmigkeit, das, wie sonst keines im Kreis, an eines der großen Phänomene des Mittelalters erinnert: die Wallfahrt nach Santiago de Compostela.
Haslacher Altar, Innenseite des rechten Flügels mit Johannes dem Täufer und Maria Magdalena mit Salbgefäß. (Foto: Württ. Landesmuseum Stuttgart)
Quelle: zeitreise bb
Spuren der Jakobsverehrung im Kreis Böblingen
Spuren der Jakobsverehrung und der Wallfahrt nach Santiago de Compostela finden sich in unserem Landkreis auch noch anderenorts.
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Literatur:
Roman Janssen, St. Jakob und sein Altar, in: 200 Jahre Jakobuskirche in Haslach, Hrsg.: Ev. Kirchengemeinde Haslach, Herrenberg 1992, S. 23 – 42.
Für die Abbildungsgenehmigung der Fotos vom Haslacher Altar bedanken wir uns beim Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart.
Referenz
↑1 | R. Janssen, St. Jakob und sein Altar. In: 200 Jahre Jakobuskirche in Haslach, Hrsg.: Ev. Kirchengemeinde Haslach, Herrenberg 1992, S. 23. |
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↑2 | Der Legende nach bewahrte der Hl. Nikolaus drei Jungfrauen vor der Unzucht, indem er für ihre Aussteuer nachts drei goldene Kugeln in ihr Zimmer warf („Jungfrauenlegende“). |
↑3 | R. Janssen, a.a.O., S. 24 |
↑4 | R. Janssen, a.a.O., S. 29 |
↑5 | Die Heilige mit dem Schwert war zuvor meist als Hl. Katharina bezeichnet worden. Als weitere Attribute fehlen jedoch Rad und Buch. Janssen identifiziert sie daher als Hl. Fides. |
↑6 | R. Janssen, a.a.O., S. 39. Auf Santiago de Compostela und die Wallfahrt verweisen noch andere formale Gestaltungselemente. So wirken die goldenen Rundbogenarkaden, die die drei Figuren des Altarschreins wie ein Baldachin überfangen, in einem gotischen Altar stilistisch überraschend. Als prägendes Element finden sie sich in der Architektur der romanischen Kathedrale von Santiago und als Untergliederung des dortigen Altarantependiums (Vorsatztafel). Die goldenen Sterne auf blauem Grund, die den Figuren als Hintergrund dienen, sind dagegen ein Symbol für die Milchstraße, die im späten Mittelalter gemeinhin Jakobsstraße hieß. |