Grenzsteine erzählen Geschichte(n)
Die Grenzsteine der „Meierschaft“ Altdorf
Autor: Klaus Philippscheck
Es sind nur zwei unscheinbare Buchstaben, „MA“, die auf einigen Grenzsteinen am Nordrand des Schönbuchs stehen. Und doch erzählen sie von einer Entwicklung, die für unsere Landschaft und unsere Landschaftsbilder, wie wir sie heute kennen, sehr wichtig war – nämlich die Ablösung der sogenannten „Schönbuchgerechtigkeiten“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Am Nordostrand der Markung Altdorf, nahe der Markung Holzgerlingen und dem Staatswald Schönbuch, sind diese Steine zu finden, die auf einer Seite die Buchstaben „MA“ tragen. Kaum noch jemand wird die Geschichte kennen, die sich dahinter versteckt. Die Tatsache, dass hier nicht mehr mit einem uralten, geheimnisvollen Fleckenzeichen auf den Steinen gearbeitet wurde, sondern mit nüchternen Buchstaben, verweist uns ins frühe 19. Jahrhundert. Damals, mit der Gründung des Königreichs Württemberg durch Napoleons Gnaden, hielt eine modernere, sachlichere Verwaltung allmählich Einzug in eine Welt, die in vielem aber noch an mittelalterlichen Strukturen hing.
Am Ende des 18. Jahrhunderts war unser heutiger Naturpark Schönbuch in einem bedauernswerten Zustand. Als Zeuge dafür wird gerne Johann Wolfgang von Goethe genannt, der am 7. September 1797 mit einer Kutsche den Schönbuch durchquerte und in seinem Tagebuch den Anblick eines wenig beeindruckenden, sehr dürftigen Waldes notierte. Dies hatte nicht nur mit den exzessiven Jagdgewohnheiten der württembergischen Herzöge und den somit viel zu hohen Wildbeständen zu tun, sondern auch mit dem Anstieg der Bevölkerungszahl und dem dadurch steigenden Holzbedarf. Denn die damalige Welt hatte ein „hölzernes Gepräge“ – alle brauchten den wertvollen Rohstoff: Nicht nur die reinen Holzgewerbe der Zimmerleute, Schreiner, Wagner oder Köhler, sondern auch die Gerber, die Eichenrinde benötigten, oder die Glashütten, die Unmengen von Holz verbrauchten. Aber auch alle Familien brauchten in ihrem Alltag viel Bau- und Brennholz.
Nun hatten die um den Schönbuch herumliegenden Ortschaften und „Institutionen“ uralte, vielfältige Nutzungsrechte am Wald – die sogenannten Schönbuchgerechtigkeiten. Diese waren es hauptsächlich, die die immer heftigeren Zerstörungen am Wald verursachten. Das durfte so nicht mehr weiter gehen, wenn der Schönbuch nicht völlig herunterkommen sollte. Daher wurde nun nicht nur eine leistungsfähigere Forstverwaltung aufgebaut, sondern auch der Plan entwickelt, die tausendjährigen Schönbuchgerechtigkeiten endlich abzulösen. Dies war eine schwierige, daher oft langwierige Herkulesarbeit, denn die Bevölkerung hing an ihren gewohnten Rechten.
Dieser Stein steht dort, wo Meierwald, die „Commune Altdorf“ und der Staatswald Schönbuch (durch die württembergischen Hirschstange gekennzeichnet) zusammentreffen. (Bild: Klaus Philippscheck)
In den Jahren 1821 – 1823 gelang es nach langer Vorbereitung, viele solcher Rechte tatsächlich „abzukaufen“, indem an die betroffenen Gemeinden und Körperschaften Staatswald abgetreten wurde. Mit dem konnten die neuen Besitzer zwar völlig selbstständig umgehen, die Rechte am übrigen Schönbuch mussten dafür aber ein für alle Mal aufgegeben werden. In den ehemaligen Oberämtern Böblingen und Herrenberg lief dieser Prozess relativ problemlos ab – und hier nun kommen die erwähnten Grenzsteine ins Spiel. Denn die den Gemeinden neu übergebenen Waldflächen am Rande des Schönbuchs waren präzise berechnet und kartographisch dargestellt und wurden jetzt genauso präzise mit Grenzsteinen versteint, um diesen neuen Besitz gegen jedermann klar abzugrenzen. Dieser Ring neuer Gemeinde- und Körperschaftswälder umgab nun den Staatswald Schönbuch, dessen Bewirtschaftung nunmehr ganz auf den Holzertrag konzentriert werden konnte.
Der Wald des Meierhofs
Auch unsere Gemeinde Altdorf hatte Rechte am Schönbuch und wurde mit Staatswald abgefunden. Aber wir finden in Altdorf noch eine Besonderheit. Auch der im Ortszentrum gelegene Meierhof, der einstmals der Verwaltungshof der „Herrschaft“ – also des Klosters Bebenhausen, dann der Württemberger – gewesen ist, hatte uralte Nutzungsrechte am Schönbuch, auch wenn er längst in Privatbesitz gelangt war. Also hatte auch der Hof, als juristische Person die „Meierschaft“ genannt, Anrecht auf ein Stück Wald von 15 Morgen, das sind etwa 5 Hektar. Die Karte zeigt das der Meierschaft übergebene Waldstück, das allerdings etwa vier Kilometer vom Zentrum Altdorfs entfernt liegt. Hier wurden gleich im Jahr 1821 genau 19 neue Grenzsteine gesetzt, die mit den Buchstaben „MA“ für „Meierschaft Altdorf“ beschriftet wurden und den neuen Besitz des Meierhofs anzeigten: den nun so genannten „Meierwald“.
Heute ist dieses kleine Waldstück im Besitz mehrerer Privatpersonen. Die Grenzsteine, die noch stehen, erzählen, wie es zu dieser Besonderheit gekommen ist.
Die topographische Karte zeigt die Lage des Meierwalds links unten (TK 7319 © Landesamt für Geoinformation; www.lgl-bw.de)
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors
Der Autor, Klaus Phlippscheck, war Lehrer in Sindelfingen und gehört zu den Mitbegründern des Zeitreise-BB-Projektes. Seine Interessensschwerpunkte sind die Sindelfinger Stadtgeschichte, insbesondere die Webereigeschichte, sowie die Wiederentdeckung vergessener Sindelfinger Persönlichkeiten. Daneben arbeitete er auch zur Geschichte der Mühlen und der Grenzsteine im Landkreis BB.
Beachten Sie bitte auch die weitere Seiten aus der Reihe „Grenzsteine erzählen Geschichte(n)“ auf Zeitreise-BB
– Von alten Marksteinen, Marksteinzeugen und Untergängern in Sindelfingen
– Die Funktion der „Fleckenzeichen“ auf den Grenzsteinen
– Die Grenzsteine Gärtringens
– Grenzsteine erzählen Geschichte: Der Ihinger Hof
– Grenzsteine erzählen Geschichte: Die Weissacher „Fischsteine“
– Grenzsteine erzählen Geschichte: Die Steine um Sindlingen herum
– Grenzsteine erzählen Geschichte: Die Merklinger Jagdsteine
– Grenzsteine erzählen Geschichte – Beispiel: Die Steinenbronner Mühlennachbarn“