Die Geschichte der IBM im Kreis Böblingen
Autoren: Klaus Philippscheck / Susanne Schmidt (unter Verwendung der Daten der Kleinen Chronik der IBM Deutschland)
Vier Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges entsandte der Amerikaner Herman Hollerith (1860-1929) – Erfinder der erfolgreichen Lochkartenmaschine zur Informationsverarbeitung1 und Gründer der „Tabulating Machine Company“ (1896) – den Ingenieur R. Williams nach Deutschland. Williams hatte den Auftrag, hier eine Gesellschaft zum Erwerb seiner Patente und den Vertrieb der Hollerith-Maschinen aufzubauen. Mit einem Kapital von 120 Reichsmark wurde am 30. November 1910 in Berlin die „Deutsche Hollerith-Maschinen Gesellschaft mbH“, kurz DEHOMAG gegründet. Damit beginnt die Geschichte der IBM in Deutschland, die auch eng mit den Städten Böblingen und Sindelfingen verbunden ist.
Lochkarten revolutionieren die Informationstechnologie
Lochkarten waren ein im 19. Jahrhundert entwickeltes mechanisches Speichermedium. In der Regel bestanden sie aus stabilem Karton, auf dem der Dateninhalt in Form eines Lochcodes eingestanzt wurde.
Bereits im Dezember 1910 führten die damaligen Länder Preußen,Württemberg, Baden, Elsaß-Lothringen und Sachsen ihre Volkszählung mit dem neuen, von Hollerith entwickelten Lochkartenverfahren durch. Auch die deutsche Industrie entdeckte schnell den kaufmännischen Nutzen eigener Lochkartenabteilungen und schon bald las sich die Kundenliste der DEHOMAG wie ein Who is Who der deutschen Wirtschaft: Bayer in Elberfeld, Hoechst in Frankfurt am Main, BASF in Ludwigshafen, AEG, Siemens-Schuckert und Osram in Berlin sowie Brown-Boveri in Mannheim.
Charismatische Persönlichkeit: Thomas J. Watson, Präsident der IBM in den 1920er Jahren. (Bild: IBM Archiv / Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0)
1914 beschäftigte die Berliner DEHOMAG 23 Mitarbeiter und setzte mit immerhin 44 Kunden im Kaiserreich 250.000 Mark um. Im Ersten Weltkrieg zählte sie zu den kriegswichtigen Betrieben. Aufgrund der britischen Seeblockade gab es schon bald Probleme mit der Belieferung aus den Vereinigten Staaten und spätestens mit dem Kriegseintritt der USA im April 1917 musste sich die DEHOMAG selbst versorgen. 1918 eröffnete sie in Villingen ihr erstes eigenes Werk in Deutschland. Bis dahin waren nur importierte Maschinen vertrieben worden.
Mittlerweile war 1914 in den USA Thomas J. Watson Präsident der „Computing Tabulating Recording Company“ (CTR) geworden, in der Holleriths „Tabulating Machine Company“ bereits 1911 aufgegangen war. Der charismatische Watson entwickelte eine global ausgerichtete Unternehmensstrategie und eine eigene, stark vertriebsorientiere Unternehmenskultur, die großen Wert auf Motivation und Loyalität ihrer Mitarbeiter legte. 1922 stieg die CTR bei der DEHOMAG ein, die als Lizenznehmerin infolge der deutschen Inflation Schulden von über 100.000 Dollar – das entsprach damals etwa 100.000 Billionen Mark – angehäuft hatte. Seit 1924 führte die CTR den Geschäftsnamen „International Business Machines Corporation“, kurz IBM.
Lochkarte der Deutschen Hollerith-Maschinen Gesellschaft mbH, kurz „DEHOMAG“, zur Durchführung der ersten auf diesem Verfahren basierenden Volkszählungen im Deutschen Kaiserreich im Jahre 1910. (Foto: IBM Bildarchiv Deutschland)
In Sindelfingen hatte man bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel von diesen revolutionären Entwicklungen gehört. Lochkarten waren allerdings in dem kleinen Weberstädtchen durchaus ein Begriff, hatte man sich hier doch auf die Jacquardweberei, die seit dem frühen 19. Jahrhundert mit Lochkarten arbeitete, spezialisiert.
Im Jahre 1927 begann dann aber auch in Sindelfingen das Zeitalter der Datenverarbeitungs-Produktion. Im Süden der Stadt, unweit des Böblinger Flughafens, lag die Optima Maschinenfabrik AG. Sie war Nachfolgerin der Firma Kabisch, die hier Maschinen und Webutensilien produzierte. Und hier wurde nun Schritt um Schritt dazu übergegangen, neben Waagen auch Locher, Prüfer und Ersatzteile für Lochkartenmaschinen herzustellen. Denn das Optima-Werk, in dem auch eine Weberei zu finden war, war mit der DEHOMAG eine Kooperation eingegangen. 1932 verließ die letzte Optima-Waage das Sindelfinger Werk. Im Juli 1934 wurde die Maschinenfabrik offiziell aufgelöst und von der Deutschen Hollerith als Abteilung Werk „Optima - Sindelfingen“ übernommen. Damals wurden also die Grundlagen dafür gelegt, dass Sindelfingen nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit zum Mittelpunkt der dann unter dem Namen “Internationale Büro-Maschinen“ (IBM) firmierenden US-Gesellschaft wurde.
Ein neues Zeitalter in der Datenverarbeitung begann schließlich im Jahre 1936. Damals kam in Deutschland die schalttafelgesteuerte Tabelliermaschine „D11″ auf den Markt. Die “D11″ konnte alle 4 Grundrechenarten ausführen und war weitgehend programmierbar.
1936 übernahm die DEHOMAG das Gebäude der Sindelfinger Strumpfweberei Entreß und nutzte es als Lochkarten-Druckerei. In Sindelfingen wurden nun auch Druckpressenmaschinen gefertigt, die bisher aus Amerika importiert werden mussten. Zusätzlich entstand in Sindelfingen auch eine Lehrwerkstatt für metallverarbeitende Berufe.
Bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges machte die Dehomag als Tochtergesellschaft der IBM auch im nationalsozialistischen Deutschland weiterhin gute Geschäfte. Die bisher größte Unternehmung der DEHOMAG fand schließlich im Mai 1939 statt. Bei der „Großdeutschen Volkszählung“ wurden 22 Millionen Haushalte in Deutschland, Österreich, dem Sudentenland und dem Saarland erfasst. Über 90 Millionen Lochkarten kamen zum Einsatz. Zweifellos erlebte die Datenverarbeitung damit einen spektakulären Höhepunkt. Doch war die Volkszählung von 1939 noch in anderer Beziehung ein denkwürdiges Ereignis: Auf einer sog. „Ergänzungskarte“ ließ die nationalsozialistische Reichsregierung nun auch die „rassischen Merkmale“ jedes Haushalts statistisch erfassen. Das totalitäre Überwachungssystem des 3. Reiches erreicht damit einen bisher unerreichten Grad der Perfektion.
1936 übernahm die DEHOMAG das alte Fabrikgebäude der Strumpfstrickerei Entreß an der Sindelfinger Bahnhofstraße 43 und nutzte es als Lochkartendruckerei. Bis 2012 war hier das Haus zur Geschichte der IBM-Datenverarbeitung untergebracht. Nach der Sanierung beherbergt das geschichtsträchtige Gebäude jetzt u.a. ein Architekturbüro. (Foto: Stadtarchiv Sindelfingen)
Nach dem Ende des 2. Weltkriegs waren die Gebäude der Deutschen Hollerith in Berlin zu 89% zerstört. Das Unternehmen, das nach dem Kriegseintritt der USA unter NS-Zwangsverwaltung gestellt worden war, unterlag dem alliierten Kontrollratsgesetz und wurde von einem Treuhänder verwaltet.
Bereits 1943 waren infolge der Kriegseinwirkungen wichtige Unternehmensbereiche in das zu dieser Zeit noch ruhigere Süddeutschland ausgelagert worden. Der Bereich Großmaschinen nach Hechingen, die Zentralbuchhaltung nach Kuchen bei Geislingen, die kaufmännische Schule nach Reutlingen und die technische Schule nach Urach. Zum Sammelpunkt der versprengten DEHOMAG-Mitarbeiter nach dem Krieg wurde jedoch das Werk in Sindelfingen, das nach Abzug der Franzosen im Juli 1945 in der amerikanischen Besatzungszone lag.
Mit der Produktion von Aschenbechern, Pfannen und Spielzeug begann 1945 der Wiederaufbau ähnlich unspektakulär wie bei der Firma Daimler, wo man die erste Zeit ebenfalls mit Holzspielzeug, Bestecken und Tellern überbrückte. Schon ab Oktober 1945 durften in Berlin wieder Lochkartenmaschinen hergestellt werden und auch im Werk Sindelfingen wurde zwischen 1947 und 1950 die Teilefertigung schrittweise wieder aufgenommen.
Anzeige der IBM aus dem Jahr 1950. (Quelle: IBM)
Zukunftsweisend für die wirtschaftliche und strukturelle Entwicklung der gesamten Region war die Entscheidung der DEHOMAG, im Jahre 1948 ihre Hauptverwaltung von Berlin nach Sindelfingen in die Tübinger Allee zu verlegen. Während die Lage im geteilten Berlin immer unsicherer wurde, profitierte der Großraum Stuttgart vom Kalten Krieg, der seit 1947 die Ost-West-Beziehungen überschattete. Mit der Berlinblockade, – Antwort der Sowjetunion auf die Währungsreform in den Westzonen – erreichte dieser im Juni 1948 einen ersten dramatischen Höhepunkt. Im Zuge der immer engeren politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den USA sollte nun auch der amerikanische Name der Firma öffentlich gemacht werden. Am 6. Mai 1949 wurde die Deutsche Hollerith-Maschinen Gesellschaft mbH in „Internationale Büro-Maschinen Gesellschaft mbH“, kurz IBM, umbenannt. Eine neue Ära hatte begonnen.
Nachdem zunächst Sindelfingen zum neuen Mittelpunkt der Deutschen Hollerith (DEHOMAG) geworden war, begann fünf Jahre später auch in Böblingen die „Morgenröte des Informationszeitalters“.21950 erwarb die IBM das noch vom Krieg mitgenommene Gebäude der ehemaligen Klemm-Flugzeug-Fabrik an der Sindelfinger Straße.
Wer Böblingen heute über die Eisenbahnbrücke in Richtung Sindelfingen verlässt, fährt an der Niederlassung der zum Daimler-Konzern zählenden Firma SMART vorbei. Dem heutigen Gebäudekomplex sieht man es so nicht mehr an, aber der Industriestandort an der Sindelfinger Straße gehört zu den geschichtsträchtigsten der Region.
Bereits 1912 hatte ein Schraubenfabrikant hinter der Bahnüberführung einen Industriebau aus Backstein mit den zeittypischen Sheddächern errichtet. Nachdem dort kurzzeitig eine Strumpffabrik eingezogen war, übernahmen 1917 die Contessa-Werke die Anlage. Ursprünglich eine „Fabrik photographischer Apparate“, produzierte Contessa damals kriegsbedingt Minenzünder. Nach dem 1. Weltkrieg verlegte Contessa die Produktion von Fotozubehör nach Böblingen. Mit seinen großen, horizontal ausgerichteten Fensterreihen entsprach der 1925 bezogene Neubau ganz dem zwischen 1900 – 1910 in den USA entwickelten Typus einer modernen Tageslichtfabrik. Zeitweise arbeiteten an die 400 Frauen bei „der Gräfin“. Nachdem Contessa in der Zeiss-Ikon-AG aufgegangen war, wurde der Betrieb 1932 geschlossen. Bereits 1930 hatte die Stadt dort Räume angemietet, um dem Schweizer Künstler und Flugzeugpionier Alexander Soldenhoff mit seiner Aero-Gesellschaft den Bau von schwanzlosen Flugzeugen zu ermöglichen. Soldenhoff musste schon nach einem Jahr wieder aufgeben. Der nächste Nutzer war die Firma Hanns Klemm, die in den 30er Jahren Teile ihrer Flugzeugproduktion hierher verlegte. Nach Kriegsende wurden die Werksanlagen demontiert und die Räume übergangsweise mit ehemaligen „Fremdarbeitern“ belegt.
Im traditionsreichen „Klemmbau“ nahm die IBM im Jahre 1950 die Produktion auf. Bis 1960 diente er als Montagewerk, einige Zeit war auch die Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter hier untergebracht. „In den 50er Jahren“, so Erich Kläger, „war der Klemmbau eine typische Fabrik jener Zeit: Transmissionsriemen und lärmende Maschinen bestimmen das Bild; im unteren Stock war der Großmaschinenbau untergebracht, darüber Locherbau (für die Hollerith-Datenverarbeitungssysteme), Auftragsabeilung, Kopieranstalt und Konstruktionsbüro“.3
1952 siedelten auch die Geschäftsleitung und die Hauptverwaltung der IBM von Sindelfingen in den Klemmbau nach Böblingen über. 20 Jahre lang diente der in den 60er Jahre modernisierte Bau der IBM Deutschland als Sitz der Hauptverwaltung. 1972 wurde sie auf den sog. „Eiermann-Campus“ nach Stuttgart-Vaihingen verlegt. Auf dem Areal entstand ein neues Rechenzentrum.
Im Jahre 1953 besucht IBM Präsident Thomas J. Watson sen. zum ersten Mal nach dem Krieg die IBM Deutschland. Unmittelbare Folge des Besuchs war der Startschuss zum Aufbau eines Entwicklungslabors unter der Leitung des aus Sindelfingen stammenden Karl Ganzhorn. Der war 1952 als Entwicklungsphysiker bei der IBM eingetreten und präsentierte Watson bei seinem Besuch in Böblingen Ansätze und Vorstellungen für eine elektronische Entwicklung in der Datenverarbeitung.
Bereits am Tag nach der firmeninternen Entscheidung zum Bau eines deutschen IBM-Labors riefen die Stadtbauämter von Böblingen und Sindelfingen bei Ganzhorn an und offerierten ihm ihre Bauplätze. Im Rennen um den Standort hatte dann Sindelfingen gegenüber Böblingen das Nachsehen. Da die Firmenleitung zugesichert hatte, dass beide Städte gleichmäßig von der Gewerbesteuer profitieren sollten und in Sindelfingen bereits eine Fabrik stand, fiel die Entscheidung für Böblingen. In Reichweite der Produktion in Sindelfingen wurde die “Denkfabrik im Grünen“ ab 1959 auf dem Schönaicher First gebaut. Im November 1959 begannen die Bauarbeiten und schon im Dezember 1960 konnten dort die ersten Ingenieure ihre Arbeit aufnehmen. Lagen in der Vergangenheit die Schwerpunkte des IBM Labors fast ausschließlich in der Entwicklung von Hardware, so gewann die Softwareentwicklung und die dazugehörigen Dienstleistungen mit der Zeit immer mehr Bedeutung.4,
„I think there is a world market for maybe five computers“ – so soll Thomas J. Watson sen. im Jahre 1943 angeblich den Bedarf an Computern eingeschätzt haben. In diesem Fall hatte er sich getäuscht. Beschleunigt durch die enorme militärtechnische Entwicklung im 2. Weltkrieg, ging die Anwendung der Computertechnologie schon bald über die Berechnung von Geschossbahnen und das Kalkulieren von Tabellenwerken hinaus. Die Entwicklung der Kybernetik und die Erfindung der Transistoren führten von den mechanischen immer schneller zu elektronischen Strukturen. Trotz der anfänglich zögerlichen Haltung des Firmenpatriarchen wurde die Geschichte des Computers im Nachkriegsdeutschland maßgeblich von der IBM geschrieben.
Das IBM-Entwicklungslabor auf dem Schönaicher First ist das größte Entwicklungszentrum außerhalb der USA. Rund 1700 Beschäftigte aus 30 Nationen arbeiten derzeit am Böblinger Standort nahe Schönaich. (Bild: IBM)
Das Zeitalter der Elektronischen Datenverarbeitung begann bei IBM im Jahre 1953 mit dem Modell 701, das zudem als erster Computer mit einem Magnetband als Speichermedium ausgestattet war. Mit dem Magnettrommelrechner IBM 650 konnte 1955 der weltweit erste „echt“ programmierbare Computer vorgestellt werden. Das Verdienst, die zukunftsweisende Rolle der neuen Technologie erkannt zu haben, kam Thomas J. Watson jr. zu, der 1956 die Firmenleitung von seinem Vater übernommen hatte. 1961 wurde das IBM System 1401, der erste mit Transistoren und gedruckten Schaltungen ausgerüstete Computer, ausgeliefert. Es wurde ein Riesenerfolg. Gefertigt wurde dieser Computer für den europäischen Markt im Sindelfinger IBM-Werk. Dafür wurde die Produktion von Schreibmaschinen nach Berlin, Amsterdam und Stockholm verlagert. Mit der Umstellung der Produktion auf die Herstellung von Leiterplatten wurde der ehemals mechanische Fertigungsprozess schließlich in einen chemischen umgewandelt.
Dennoch blieb der Computer noch einige Zeit ein Feld für Spezialisten. Erst Anfang der 70er Jahre deutete sich mit der Verfügbarkeit billiger universeller Mikroprozessoren die Revolution auf dem Computermarkt an. Damals begann sich die elektronische Datenverarbeitung mit zunehmender Geschwindigkeit in Wirtschaft, Industrie und Handel durchzusetzen. Der richtige Durchbruch kam jedoch mit dem IBM Personal Computer. Weder war, wie Kritiker nicht müde werden zu betonen, dieser PC der technisch fortschrittlichste, noch war das von Bill Gates entwickelte Betriebssystem das beste. Nicht einmal die Anwendungssoftware gehörte zu den fortschrittlichsten, aber alles in allem hatte der IBM-PC einen hohen Gebrauchswert und wurde mit gigantischem Werbeaufwand auf den Markt gebracht, den er bald dominierte.
Der IBM Personal Computer, Modell 5150, war 1981 das Urmodell der heutigen IBM-kompatiblen PCs. (Bild: Boffy b / Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0)
Im Jahre 1974, – drei Jahre vor dem 50-jährigen Jubiläum des Werks -, wurde die IBM-Lochkartendruckerei in Sindelfingen geschlossen. Neue Anlagen für die Halbleiterfertigung wurden im selben Jahr auch auf der Böblinger Hulb in Betrieb genommen. Weitere Niederlassungen der IBM-Deutschland entstanden ab 1981 in Herrenberg, wo der Grundstein für ein neues Schulungszentrum gelegt wurde und in Ehningen, wo sich seit dem Jahr 2009 auch die Zentrale der IBM Deutschland befindet.
1985 wurde erstmals ein 288-Kilobit-Chip verwendet, der sich im Werk Sindelfingen in der Mengenfertigung befand. Um die durch Unterbrechungen im Fertigungsprozess bedingten Ausfallraten zu reduzieren wurde 1988 in der Chip-Produktion der Werke Sindelfingen und Böblingen eine kontinuierliche 7-Tage-Schicht eingeführt.
Die damaligen Auseinandersetzungen um die sog. „Kontischicht“ sind mittlerweile Geschichte. Geschichte ist seit 2003 allerdings auch die Produktion von Chips und Halbleitern in Sindelfingen. Nach und nach trennte sich „Big Blue“, wie der Global Player IBM aufgrund seiner Firmenfarbe auch genannt wird, von der unrentabel gewordenen Halbleiterproduktion. Ähnlich wie bei HP begann man auch bei IBM, die Produktion weitgehend auszulagern –bzw., wie es auf Neudeutsch heißt, „outzusourcen“ und sich auf Softwareentwicklung und Dienstleistungen wie Finanzierungs- und Strategieplanung zu konzentrieren.
Das Werk Sindelfingen als Tochter-GmbH der IBM hörte auf den Namen Sindelfinger Technologie Produkte (STP) und wurde 1995 an den Rundstrickmaschinenhersteller Mayer & Cie in Albstadt verkauft. Bald darauf geriet das Werk in die Krise. 2002 beantragte die STP Insolvenz, 850 Mitarbeiter verloren Zug um Zug ihre Arbeitsplätze. Das endgültige Aus kam am 31. Juli 2003. Das Areal wurde schließlich 2007 an die Firma Daimler verkauft, die die Gebäude 2012 abbrachen und auf dem Gelände neu bauten.
Das bittere Ende von STP beschäftigte damals nicht nur in Sindelfingen die Gemüter. Die Zukunft der gesamten Region, die einst als das „schwäbische Silicon Valley“ gefeiert wurde, schien plötzlich in Frage gestellt.
Blick auf das ehemalige IBM-Werk im Sindelfinger Wiesengrund. Das Werk wurde später unter dem Namen STP aus der IBM ausgegliedert und im Juli 2003 geschlossen. Das Gebäude wurde von der DailmerChrsyler AG aufgekauft und später abgerissen. (Bild: Susanne Schmidt)
Die wichtigsten Meilensteine der technischen Entwicklung der IBM, von Holleriths „Electric Tabulating System“ bis zu Megachip-Großrechnern, konnten Besucher lange Zeit im ehemaligen „Haus zur Geschichte der IBM-Datenverarbeitung“ nachvollziehen, das IBM Pensionäre in der ehemaligen Lochkartendruckerei in Sindelfingen (Bahnhofstraße 43) eingerichtet hatten. Als sich die IBM 2012 von dem baufälligen Gebäude trennte, konnte mit der Stadt Sindelfingen leider keine Regelung für eine Übernahme der bedeutenden Sammlung getroffen werden. So wurde sie – zumindest vorübergehend – ins IBM-Labor auf den Schönaicher First gebracht. Das Gebäude wurde mittlerweile saniert und beherbergt heute u.a. ein Architekturbüro.
Wie nun die IBM Ende 2018 offiziell begannt gab, wird die Firma demnächst auch ihren letzten verblieben Standort in Böblingen aufgeben. Das Labor soll in einen Neubau in Ehningen umziehen, wo sich auch die Deutschlandzentrale der Firma befindet.
Damit endet für Böblingen und Sindelfingen ein wichtiges Kapitel Industriegeschichte, das beide Städte neben der Automobilindustrie seit den Zeiten der Weimarer Republik fast ein Jahrhundert lang in vieler Hinsicht geprägt hat.
In der ehemaligen Lochkartendruckerei der deutschen Hollerith in der Sindelfinger Bahnhofstraße befand sich bis 2012 das Haus zur Geschichte der IBM-Datenverarbeitung. Das Foto aus dem Jahre 2003 zeigt das damals weiß angestrichene Backsteingebäude vor dem letzten Umbau. (Foto: Susanne Schmidt)
Weitere Informationen zur Geschichte der IBM im Kreis BB finden sie bei zeitreise-bb unter:
Denkfabrik im Grünen
Der IBMer – ein Nachruf
Karl Ganzhorn
Internet-Links:
IBM
Kleine Chronik der IBM Deutschland
Wikipedia-Artikel zur DEHOMAG
Wikipedia-Artikel zur Geschichte der IBM
Referenz
↑1 | Mit Hilfe der von Hollerith entwickelten Lochkarten-Technologie gelang den USA, bei der Volkszählung von 1890 die schnellste statistische Erfassung ihrer Bevölkerung aller Zeiten. Vermittelt durch eine Reihe von gestanzten Löchern, erfasste jede Karte das Geschlecht, die Religion, die Nationalität und den Besitz eines Individuums. |
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↑2 | Alexander Behrens, Auf dem Weg zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum – Böblingen seit 1945. In: Böblingen – Vom Mammutzahn zum Mikro-Chip, hrsg. von S. Lorenz u. G. Scholz, Böblingen 2003, S. 399. [Schriftenreihe Gemeinde im Wandel, Bd. 14] |
↑3 | Erich Kläger: Ein Standort schreibt Industriegeschichte. In: Böblingen – Geschichte in Gestalten. Von den Anfängen bis zum Ende der Ära Brumme, Böblingen 2003, S. 487. |
↑4 | Das erste monolithische Halbleiterchip der gesamten IBM wurde im Böblinger IBM-Labor entwickelt. Auch der damals weltweit leistungsstärkste und schnellste Mikroprozessor mit CMOS-Technologie und einer Rechenleistung von einer Milliarde Taktzyklen pro Sekunde (1 GHz) kam 1998 aus dem Böblinger IBM Labor. |